Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schärft, Napoleon sei der wirkliche Alliirte seines Königs und er solle sich so gut
als möglich mit den Franzosen stellen. Der leitende Gesichtspunkt, von welchem
er ausging, war der, im Sinne des Königs zu handeln. Er koar gern bereit,
sich später ofstciell desavoniren und von einem Kriegsgericht verurtheilen zu lassen;
aber er wollte Nichts thun, als den eigentlichen, wenn auch durch drängende Um¬
stände zurückgehaltenen Willen des' Königs erfüllen. Daß dieses Princip im
monarchischen Staat das allein richtige ist, so lange nicht eine.gebieterische Noth¬
wendigkeit zu einer Verläugnung desselben zwingt, werden auch Diejenigen zu¬
geben, die im Staatsdiener keine bloße Maschine sehen. Es' muß in letzter In¬
stanz ein souverainer Wille sein, ans den sich alle Thätigkeit des Staats bezieht,
wenn nicht der subjectiven Vermessenheit und zuletzt prätorianischer Willkür ein
unheilvoller Spielraum gestattet werden soll. -- Ueber den Willen des Königs
mußte aber Aork wenigstens in Zweifel sein. Zwar war vor dem Abschluß des
Ällianzvertrags mit Napoleon in einer Sendung des Generals Knesebeck nach
Petersburg der Plan in Anregung gebracht worden, die große Armee in das
Innere Rußlands zu locken und dann mit gemeinsamen Kräften zU vernichten,
und die Situation schien diesem Plan zu entsprechen, allein von einer Ratification
desselben war keine Rede gewesen, und obgleich Uork Couriere über Couriere
schickte, die Lage aus das Genaueste schilderte, die Vorschläge der russisches Ge¬
nerale mittheilte, so erhielt er auch nicht den leisesten Wink über eine Aenderung
der preußischen Politik. Wollte er also seine Pflicht erfüllen, so konnte er nichts
Anderes thun, als sich die volle Disposition über sein Corps den Franzosen wie
den Russen gegenüber so lange zu bewahren, bis ein bestimmter Befehl eintraf.

Denn die Lage der Dinge war, auch abgesehen von dem Gebot der Pflicht,
uicht von der Art, daß er die Folgen eines Abfalls von der französischen Armee
für den preußischen Staat vollständig hätte übersehen können, und auf diesen allein
kam es ihm an und konnte es ihm nur ankommen. Er mußte dem Cabinet in
Berlin eine bessere Uebersicht über die Lage der Verhältnisse zutrauen; er zauderte
daher so lauge, bis er wenigstens beti Anschein einer gebieterischen Nothwendigkeit
vorschieben konnte, und er that anch den entscheidendes Schritt nur halb, er Per¬
band sich nicht mit den Russen, sondern blieb neutral, womit er nicht allein dem
König eine größere Möglichkeit ließ, erforderlichen Falls seinen Schritt zü desa¬
voniren, sondern ihm auch die Mittel zur Disposition stellte, eine Unabhängige
Stellung einzunehmen. Und dieses war nach deu alten Erfahrungen den Russen
gegenüber fast ebenso nöthig, als den Franzosen.

Es kommt noch eilt anderes Moment in Betracht. Der Abfall von der franzö¬
sischen Armee, ein wie gerechter Haß auch jedes preußische Herz gegen die Uiiter-
drücker beseelen mochte, blieb immer ein Verrath an den bisherigen Kampfgenossen.
Aork hatte sich zwar sehr dnvvr gehütet, nach dem Beispiele eines großen Theils
der deutschen Officier'e sich dnrch die Liebenswürdigkeit des französischen comman-


schärft, Napoleon sei der wirkliche Alliirte seines Königs und er solle sich so gut
als möglich mit den Franzosen stellen. Der leitende Gesichtspunkt, von welchem
er ausging, war der, im Sinne des Königs zu handeln. Er koar gern bereit,
sich später ofstciell desavoniren und von einem Kriegsgericht verurtheilen zu lassen;
aber er wollte Nichts thun, als den eigentlichen, wenn auch durch drängende Um¬
stände zurückgehaltenen Willen des' Königs erfüllen. Daß dieses Princip im
monarchischen Staat das allein richtige ist, so lange nicht eine.gebieterische Noth¬
wendigkeit zu einer Verläugnung desselben zwingt, werden auch Diejenigen zu¬
geben, die im Staatsdiener keine bloße Maschine sehen. Es' muß in letzter In¬
stanz ein souverainer Wille sein, ans den sich alle Thätigkeit des Staats bezieht,
wenn nicht der subjectiven Vermessenheit und zuletzt prätorianischer Willkür ein
unheilvoller Spielraum gestattet werden soll. — Ueber den Willen des Königs
mußte aber Aork wenigstens in Zweifel sein. Zwar war vor dem Abschluß des
Ällianzvertrags mit Napoleon in einer Sendung des Generals Knesebeck nach
Petersburg der Plan in Anregung gebracht worden, die große Armee in das
Innere Rußlands zu locken und dann mit gemeinsamen Kräften zU vernichten,
und die Situation schien diesem Plan zu entsprechen, allein von einer Ratification
desselben war keine Rede gewesen, und obgleich Uork Couriere über Couriere
schickte, die Lage aus das Genaueste schilderte, die Vorschläge der russisches Ge¬
nerale mittheilte, so erhielt er auch nicht den leisesten Wink über eine Aenderung
der preußischen Politik. Wollte er also seine Pflicht erfüllen, so konnte er nichts
Anderes thun, als sich die volle Disposition über sein Corps den Franzosen wie
den Russen gegenüber so lange zu bewahren, bis ein bestimmter Befehl eintraf.

Denn die Lage der Dinge war, auch abgesehen von dem Gebot der Pflicht,
uicht von der Art, daß er die Folgen eines Abfalls von der französischen Armee
für den preußischen Staat vollständig hätte übersehen können, und auf diesen allein
kam es ihm an und konnte es ihm nur ankommen. Er mußte dem Cabinet in
Berlin eine bessere Uebersicht über die Lage der Verhältnisse zutrauen; er zauderte
daher so lauge, bis er wenigstens beti Anschein einer gebieterischen Nothwendigkeit
vorschieben konnte, und er that anch den entscheidendes Schritt nur halb, er Per¬
band sich nicht mit den Russen, sondern blieb neutral, womit er nicht allein dem
König eine größere Möglichkeit ließ, erforderlichen Falls seinen Schritt zü desa¬
voniren, sondern ihm auch die Mittel zur Disposition stellte, eine Unabhängige
Stellung einzunehmen. Und dieses war nach deu alten Erfahrungen den Russen
gegenüber fast ebenso nöthig, als den Franzosen.

Es kommt noch eilt anderes Moment in Betracht. Der Abfall von der franzö¬
sischen Armee, ein wie gerechter Haß auch jedes preußische Herz gegen die Uiiter-
drücker beseelen mochte, blieb immer ein Verrath an den bisherigen Kampfgenossen.
Aork hatte sich zwar sehr dnvvr gehütet, nach dem Beispiele eines großen Theils
der deutschen Officier'e sich dnrch die Liebenswürdigkeit des französischen comman-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91383"/>
          <p xml:id="ID_516" prev="#ID_515"> schärft, Napoleon sei der wirkliche Alliirte seines Königs und er solle sich so gut<lb/>
als möglich mit den Franzosen stellen. Der leitende Gesichtspunkt, von welchem<lb/>
er ausging, war der, im Sinne des Königs zu handeln. Er koar gern bereit,<lb/>
sich später ofstciell desavoniren und von einem Kriegsgericht verurtheilen zu lassen;<lb/>
aber er wollte Nichts thun, als den eigentlichen, wenn auch durch drängende Um¬<lb/>
stände zurückgehaltenen Willen des' Königs erfüllen. Daß dieses Princip im<lb/>
monarchischen Staat das allein richtige ist, so lange nicht eine.gebieterische Noth¬<lb/>
wendigkeit zu einer Verläugnung desselben zwingt, werden auch Diejenigen zu¬<lb/>
geben, die im Staatsdiener keine bloße Maschine sehen. Es' muß in letzter In¬<lb/>
stanz ein souverainer Wille sein, ans den sich alle Thätigkeit des Staats bezieht,<lb/>
wenn nicht der subjectiven Vermessenheit und zuletzt prätorianischer Willkür ein<lb/>
unheilvoller Spielraum gestattet werden soll. &#x2014; Ueber den Willen des Königs<lb/>
mußte aber Aork wenigstens in Zweifel sein. Zwar war vor dem Abschluß des<lb/>
Ällianzvertrags mit Napoleon in einer Sendung des Generals Knesebeck nach<lb/>
Petersburg der Plan in Anregung gebracht worden, die große Armee in das<lb/>
Innere Rußlands zu locken und dann mit gemeinsamen Kräften zU vernichten,<lb/>
und die Situation schien diesem Plan zu entsprechen, allein von einer Ratification<lb/>
desselben war keine Rede gewesen, und obgleich Uork Couriere über Couriere<lb/>
schickte, die Lage aus das Genaueste schilderte, die Vorschläge der russisches Ge¬<lb/>
nerale mittheilte, so erhielt er auch nicht den leisesten Wink über eine Aenderung<lb/>
der preußischen Politik. Wollte er also seine Pflicht erfüllen, so konnte er nichts<lb/>
Anderes thun, als sich die volle Disposition über sein Corps den Franzosen wie<lb/>
den Russen gegenüber so lange zu bewahren, bis ein bestimmter Befehl eintraf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517"> Denn die Lage der Dinge war, auch abgesehen von dem Gebot der Pflicht,<lb/>
uicht von der Art, daß er die Folgen eines Abfalls von der französischen Armee<lb/>
für den preußischen Staat vollständig hätte übersehen können, und auf diesen allein<lb/>
kam es ihm an und konnte es ihm nur ankommen. Er mußte dem Cabinet in<lb/>
Berlin eine bessere Uebersicht über die Lage der Verhältnisse zutrauen; er zauderte<lb/>
daher so lauge, bis er wenigstens beti Anschein einer gebieterischen Nothwendigkeit<lb/>
vorschieben konnte, und er that anch den entscheidendes Schritt nur halb, er Per¬<lb/>
band sich nicht mit den Russen, sondern blieb neutral, womit er nicht allein dem<lb/>
König eine größere Möglichkeit ließ, erforderlichen Falls seinen Schritt zü desa¬<lb/>
voniren, sondern ihm auch die Mittel zur Disposition stellte, eine Unabhängige<lb/>
Stellung einzunehmen. Und dieses war nach deu alten Erfahrungen den Russen<lb/>
gegenüber fast ebenso nöthig, als den Franzosen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Es kommt noch eilt anderes Moment in Betracht. Der Abfall von der franzö¬<lb/>
sischen Armee, ein wie gerechter Haß auch jedes preußische Herz gegen die Uiiter-<lb/>
drücker beseelen mochte, blieb immer ein Verrath an den bisherigen Kampfgenossen.<lb/>
Aork hatte sich zwar sehr dnvvr gehütet, nach dem Beispiele eines großen Theils<lb/>
der deutschen Officier'e sich dnrch die Liebenswürdigkeit des französischen comman-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] schärft, Napoleon sei der wirkliche Alliirte seines Königs und er solle sich so gut als möglich mit den Franzosen stellen. Der leitende Gesichtspunkt, von welchem er ausging, war der, im Sinne des Königs zu handeln. Er koar gern bereit, sich später ofstciell desavoniren und von einem Kriegsgericht verurtheilen zu lassen; aber er wollte Nichts thun, als den eigentlichen, wenn auch durch drängende Um¬ stände zurückgehaltenen Willen des' Königs erfüllen. Daß dieses Princip im monarchischen Staat das allein richtige ist, so lange nicht eine.gebieterische Noth¬ wendigkeit zu einer Verläugnung desselben zwingt, werden auch Diejenigen zu¬ geben, die im Staatsdiener keine bloße Maschine sehen. Es' muß in letzter In¬ stanz ein souverainer Wille sein, ans den sich alle Thätigkeit des Staats bezieht, wenn nicht der subjectiven Vermessenheit und zuletzt prätorianischer Willkür ein unheilvoller Spielraum gestattet werden soll. — Ueber den Willen des Königs mußte aber Aork wenigstens in Zweifel sein. Zwar war vor dem Abschluß des Ällianzvertrags mit Napoleon in einer Sendung des Generals Knesebeck nach Petersburg der Plan in Anregung gebracht worden, die große Armee in das Innere Rußlands zu locken und dann mit gemeinsamen Kräften zU vernichten, und die Situation schien diesem Plan zu entsprechen, allein von einer Ratification desselben war keine Rede gewesen, und obgleich Uork Couriere über Couriere schickte, die Lage aus das Genaueste schilderte, die Vorschläge der russisches Ge¬ nerale mittheilte, so erhielt er auch nicht den leisesten Wink über eine Aenderung der preußischen Politik. Wollte er also seine Pflicht erfüllen, so konnte er nichts Anderes thun, als sich die volle Disposition über sein Corps den Franzosen wie den Russen gegenüber so lange zu bewahren, bis ein bestimmter Befehl eintraf. Denn die Lage der Dinge war, auch abgesehen von dem Gebot der Pflicht, uicht von der Art, daß er die Folgen eines Abfalls von der französischen Armee für den preußischen Staat vollständig hätte übersehen können, und auf diesen allein kam es ihm an und konnte es ihm nur ankommen. Er mußte dem Cabinet in Berlin eine bessere Uebersicht über die Lage der Verhältnisse zutrauen; er zauderte daher so lauge, bis er wenigstens beti Anschein einer gebieterischen Nothwendigkeit vorschieben konnte, und er that anch den entscheidendes Schritt nur halb, er Per¬ band sich nicht mit den Russen, sondern blieb neutral, womit er nicht allein dem König eine größere Möglichkeit ließ, erforderlichen Falls seinen Schritt zü desa¬ voniren, sondern ihm auch die Mittel zur Disposition stellte, eine Unabhängige Stellung einzunehmen. Und dieses war nach deu alten Erfahrungen den Russen gegenüber fast ebenso nöthig, als den Franzosen. Es kommt noch eilt anderes Moment in Betracht. Der Abfall von der franzö¬ sischen Armee, ein wie gerechter Haß auch jedes preußische Herz gegen die Uiiter- drücker beseelen mochte, blieb immer ein Verrath an den bisherigen Kampfgenossen. Aork hatte sich zwar sehr dnvvr gehütet, nach dem Beispiele eines großen Theils der deutschen Officier'e sich dnrch die Liebenswürdigkeit des französischen comman-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/190>, abgerufen am 31.05.2024.