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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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digung, denn der Gesang der Sphären dürfe nur geahnet, nicht begriffen werden,
n. s. w.: daß diese Coquetterie, gegen deren sieches, eitles und herzloses Wesen
es hohe Zeit wäre, daß in Deutschland einmal ein rücksichtsloses Wort gesprochen
würde, bei Platen den höchsten Grad erreicht. Noch eine einzelne Kuriosität ist
mir aufgefallen. Von allen Deutschen Dichtern der frühern Zeit hat keiner so
viel Aehnlichkeit mit Platen, als Ramler, nur daß es Diesem wirklich gelungen ist,
was Platen vergebens angestrebt hat, nämlich die Sprache zu veredeln, zu be¬
reichern und der Deutschen Poesie fremde Gebiete zu unterwerfen. Nun galt es
aber in der romantischen Schule, welcher Platen wenigstens in seinen Dramen
angehörte, für einen unumstößlichen Glaubensartikel, daß Ramler ein seichter,
poesieloser Reimer gewesen sei. Platen fingirt also in einem Gedicht: "Klagen
eines Nmnleriancrs bei Durchlesnug des gläsernen Pantoffels" eiuen Kritiker aus
der alten Schule, der über die Neuerungen der jungen Poeten aufgebracht ist,
und der zu den alten Dichtern, "die Sonntags ihren Lämmerbraten ohne Lorbeer¬
blätter nie verzehrt", folgendermaßen singt:

Der gute Platen hat wol nie eiuen Vers von Ramler gelesen.
Am Schlimmsten ist die Verirrung in einigen der Nachbildungen antiker
Versmaße, namentlich in den sogenannten Hymnen nach Pindar's Vorbild, die
sich in Rhythmen bewegen, welche kein modernes Ohr mehr versteht, und sich
durch den Umstand, daß Pindar's Oden für nus, die wir die vielen An¬
spielungen in denselben nicht mehr kennen, unverständlich sind, verleiten läßt,
durch künstlich eiugeflochteue Anspielungen, die nicht zur Sache gehöre", durch
Verdrehung der Construction, durch Umschreibungen, wo das einfache Wort poe¬
tischer wäre, sich jenen Nimbus des Erhabenen zu geben, der dem Inhalt fehlt.
Aber auch in den Epigrammen, mit denen man überhaupt seit Goethe und Schiller
einen unverantwortlichen Mißbrauch getrieben hat, finden sich die wunderlichsten
Einfälle. Z. B. folgende inhaltreiche Gedanken:

Und zum Schluß, nachdem in einigen zwanzig Epigrammen alle Recensenten, die ihn
nicht für einen großenDichter halten, abgefertigt sind, folgendes bescheidene Geständniß:


digung, denn der Gesang der Sphären dürfe nur geahnet, nicht begriffen werden,
n. s. w.: daß diese Coquetterie, gegen deren sieches, eitles und herzloses Wesen
es hohe Zeit wäre, daß in Deutschland einmal ein rücksichtsloses Wort gesprochen
würde, bei Platen den höchsten Grad erreicht. Noch eine einzelne Kuriosität ist
mir aufgefallen. Von allen Deutschen Dichtern der frühern Zeit hat keiner so
viel Aehnlichkeit mit Platen, als Ramler, nur daß es Diesem wirklich gelungen ist,
was Platen vergebens angestrebt hat, nämlich die Sprache zu veredeln, zu be¬
reichern und der Deutschen Poesie fremde Gebiete zu unterwerfen. Nun galt es
aber in der romantischen Schule, welcher Platen wenigstens in seinen Dramen
angehörte, für einen unumstößlichen Glaubensartikel, daß Ramler ein seichter,
poesieloser Reimer gewesen sei. Platen fingirt also in einem Gedicht: „Klagen
eines Nmnleriancrs bei Durchlesnug des gläsernen Pantoffels" eiuen Kritiker aus
der alten Schule, der über die Neuerungen der jungen Poeten aufgebracht ist,
und der zu den alten Dichtern, „die Sonntags ihren Lämmerbraten ohne Lorbeer¬
blätter nie verzehrt", folgendermaßen singt:

Der gute Platen hat wol nie eiuen Vers von Ramler gelesen.
Am Schlimmsten ist die Verirrung in einigen der Nachbildungen antiker
Versmaße, namentlich in den sogenannten Hymnen nach Pindar's Vorbild, die
sich in Rhythmen bewegen, welche kein modernes Ohr mehr versteht, und sich
durch den Umstand, daß Pindar's Oden für nus, die wir die vielen An¬
spielungen in denselben nicht mehr kennen, unverständlich sind, verleiten läßt,
durch künstlich eiugeflochteue Anspielungen, die nicht zur Sache gehöre», durch
Verdrehung der Construction, durch Umschreibungen, wo das einfache Wort poe¬
tischer wäre, sich jenen Nimbus des Erhabenen zu geben, der dem Inhalt fehlt.
Aber auch in den Epigrammen, mit denen man überhaupt seit Goethe und Schiller
einen unverantwortlichen Mißbrauch getrieben hat, finden sich die wunderlichsten
Einfälle. Z. B. folgende inhaltreiche Gedanken:

Und zum Schluß, nachdem in einigen zwanzig Epigrammen alle Recensenten, die ihn
nicht für einen großenDichter halten, abgefertigt sind, folgendes bescheidene Geständniß:


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[0219] digung, denn der Gesang der Sphären dürfe nur geahnet, nicht begriffen werden, n. s. w.: daß diese Coquetterie, gegen deren sieches, eitles und herzloses Wesen es hohe Zeit wäre, daß in Deutschland einmal ein rücksichtsloses Wort gesprochen würde, bei Platen den höchsten Grad erreicht. Noch eine einzelne Kuriosität ist mir aufgefallen. Von allen Deutschen Dichtern der frühern Zeit hat keiner so viel Aehnlichkeit mit Platen, als Ramler, nur daß es Diesem wirklich gelungen ist, was Platen vergebens angestrebt hat, nämlich die Sprache zu veredeln, zu be¬ reichern und der Deutschen Poesie fremde Gebiete zu unterwerfen. Nun galt es aber in der romantischen Schule, welcher Platen wenigstens in seinen Dramen angehörte, für einen unumstößlichen Glaubensartikel, daß Ramler ein seichter, poesieloser Reimer gewesen sei. Platen fingirt also in einem Gedicht: „Klagen eines Nmnleriancrs bei Durchlesnug des gläsernen Pantoffels" eiuen Kritiker aus der alten Schule, der über die Neuerungen der jungen Poeten aufgebracht ist, und der zu den alten Dichtern, „die Sonntags ihren Lämmerbraten ohne Lorbeer¬ blätter nie verzehrt", folgendermaßen singt: Der gute Platen hat wol nie eiuen Vers von Ramler gelesen. Am Schlimmsten ist die Verirrung in einigen der Nachbildungen antiker Versmaße, namentlich in den sogenannten Hymnen nach Pindar's Vorbild, die sich in Rhythmen bewegen, welche kein modernes Ohr mehr versteht, und sich durch den Umstand, daß Pindar's Oden für nus, die wir die vielen An¬ spielungen in denselben nicht mehr kennen, unverständlich sind, verleiten läßt, durch künstlich eiugeflochteue Anspielungen, die nicht zur Sache gehöre», durch Verdrehung der Construction, durch Umschreibungen, wo das einfache Wort poe¬ tischer wäre, sich jenen Nimbus des Erhabenen zu geben, der dem Inhalt fehlt. Aber auch in den Epigrammen, mit denen man überhaupt seit Goethe und Schiller einen unverantwortlichen Mißbrauch getrieben hat, finden sich die wunderlichsten Einfälle. Z. B. folgende inhaltreiche Gedanken: Und zum Schluß, nachdem in einigen zwanzig Epigrammen alle Recensenten, die ihn nicht für einen großenDichter halten, abgefertigt sind, folgendes bescheidene Geständniß:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/219>, abgerufen am 04.06.2024.