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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Man könnte mich fragen, warum ich mich bei diesen Werthlosigkeiten so lange
aufgehalten habe, da ein todter Dichter doch kein Gegner mehr sein kann? Es
kommt mir aber hier ganz und gar nicht auf Platen an, sondern lediglich ans
eine falsche Richtung der Zeit, für die er nur der Typus ist. In derjenigen
Periode unsrer literarischen Entwickelung, welcher Ramler angehörte, hatte die
lyrische Poesie eine ganz andere Bedeutung, als in der unsrigen. Damals kam
es darauf an, der vollständig verwilderten Sprache eine neue edlere Form und
einen neuen tiefern Inhalt zu geben, sie in Rhythmus, Melodie, Bildern,
Wortfügungen, kurz in den eigentlichen Elementen der Kunst zu bereichern
und zu veredeln, und zu gleicher Zeit durch die Gewalt des Beispiels die
Spreu vom Weizen zu sondern. Jene lyrischen Dichter, deren unendliches
Verdienst für unsre Sprache und für unsre Poesie noch immer nicht genug
gewürdigt ist, haben mit Mühe und Anstrengung gearbeitet, nicht tun den
Empfindungen ihres Herzens Luft zu machen," sondern um der Kunst eine Stätte
zu bereiten. Das ist heute aber nicht mehr der Fall; unsre Sprache leidet nicht
mehr an Armuth, an Einseitigkeit, sondern an einem sindürr^ as rieksssss;
seit Goethe und Schiller wird es schwer sein, für sie ein neues Gebiet zu erobern.
Verse machen kann heute ein Jeder, der auf der Schule gewesen ist, und wenn
er uur einen leidlichen Geschmack besitzt, so wird er ohne Mühe ans den currenten
poetischen Vorstellungen, Bildern und Empfindungen ein erträgliches Gedicht
combiniren. Jeder Versuch, sich von dieser Masse zu unterscheiden, Lieder zu
verfertigen, welche den Schatz unsrer Sprache bereichern sollen, führt nur zu
einer neuen Verdrehung unsrer Sprache. Uns thut es noth, ans der unüber¬
sehbaren Fülle, deren wir gar nicht mehr Herr werden können, zur Einfachheit
und Natur wieder zurückzukehren, freilich nicht zu der Natur der Hölty'schen
Gedichte, zu denen eine Rückkehr ebenso wenig möglich ist, als eine Rückkehr
aus dem Mannesalter zur Kindheit, sondern zu der Gewalt jener ursprünglichen
Natur, die aus dem Herzen quillt und wieder zu Herzen geht. Wer heute sich
als lyrischer Dichter darstellen will, kann seine Berechtigung uur in einer über¬
wältigenden Gluth des Herzens suchen; aber dazu reicht nicht hin, wenn man
dem Guckuck ähnlich alle Tage in die Winde schreit: Ich bin ein großer Mann,
und wer es nicht glaubt, sei verflucht!

Folgende Grabschrift, die Platen -- auch darin uicht einmal originell, denn
sie ist Flemming nachgemacht -- sich selber gesetzt hat, wird also noch nicht
genügen, ihn zu einem großen Dichter zu stempeln:


Man könnte mich fragen, warum ich mich bei diesen Werthlosigkeiten so lange
aufgehalten habe, da ein todter Dichter doch kein Gegner mehr sein kann? Es
kommt mir aber hier ganz und gar nicht auf Platen an, sondern lediglich ans
eine falsche Richtung der Zeit, für die er nur der Typus ist. In derjenigen
Periode unsrer literarischen Entwickelung, welcher Ramler angehörte, hatte die
lyrische Poesie eine ganz andere Bedeutung, als in der unsrigen. Damals kam
es darauf an, der vollständig verwilderten Sprache eine neue edlere Form und
einen neuen tiefern Inhalt zu geben, sie in Rhythmus, Melodie, Bildern,
Wortfügungen, kurz in den eigentlichen Elementen der Kunst zu bereichern
und zu veredeln, und zu gleicher Zeit durch die Gewalt des Beispiels die
Spreu vom Weizen zu sondern. Jene lyrischen Dichter, deren unendliches
Verdienst für unsre Sprache und für unsre Poesie noch immer nicht genug
gewürdigt ist, haben mit Mühe und Anstrengung gearbeitet, nicht tun den
Empfindungen ihres Herzens Luft zu machen,» sondern um der Kunst eine Stätte
zu bereiten. Das ist heute aber nicht mehr der Fall; unsre Sprache leidet nicht
mehr an Armuth, an Einseitigkeit, sondern an einem sindürr^ as rieksssss;
seit Goethe und Schiller wird es schwer sein, für sie ein neues Gebiet zu erobern.
Verse machen kann heute ein Jeder, der auf der Schule gewesen ist, und wenn
er uur einen leidlichen Geschmack besitzt, so wird er ohne Mühe ans den currenten
poetischen Vorstellungen, Bildern und Empfindungen ein erträgliches Gedicht
combiniren. Jeder Versuch, sich von dieser Masse zu unterscheiden, Lieder zu
verfertigen, welche den Schatz unsrer Sprache bereichern sollen, führt nur zu
einer neuen Verdrehung unsrer Sprache. Uns thut es noth, ans der unüber¬
sehbaren Fülle, deren wir gar nicht mehr Herr werden können, zur Einfachheit
und Natur wieder zurückzukehren, freilich nicht zu der Natur der Hölty'schen
Gedichte, zu denen eine Rückkehr ebenso wenig möglich ist, als eine Rückkehr
aus dem Mannesalter zur Kindheit, sondern zu der Gewalt jener ursprünglichen
Natur, die aus dem Herzen quillt und wieder zu Herzen geht. Wer heute sich
als lyrischer Dichter darstellen will, kann seine Berechtigung uur in einer über¬
wältigenden Gluth des Herzens suchen; aber dazu reicht nicht hin, wenn man
dem Guckuck ähnlich alle Tage in die Winde schreit: Ich bin ein großer Mann,
und wer es nicht glaubt, sei verflucht!

Folgende Grabschrift, die Platen — auch darin uicht einmal originell, denn
sie ist Flemming nachgemacht — sich selber gesetzt hat, wird also noch nicht
genügen, ihn zu einem großen Dichter zu stempeln:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/220>, abgerufen am 29.05.2024.