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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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einer Zeit der unbedingten Tendenzen gefallen lassen konnte. Platen ist mich
darin Epigone und hat, wie es bei Epigonen zu geschehen pflegt, die Fehler
seines Meisters ins Ungeheuerliche getrieben. An einen innern Zusammenhang
seiner Fabel oder Charaktere ist gar nicht mehr zu denken. Wir haben eine be¬
ständige Ironie vor uns, ohne zu wissen, wem diese Ironie gilt; wir haben
einerseits eine angeblich poetische Sprache, die aber Nichts ist als Ziererei; wir
haben Pedanten, deren gespreiztes Wesen in den ganz ähnlichen Figuren bei
Tieck schon besser dargestellt ist, und daneben den angeblichen Witz der Shake-
speareschen Clowns, von dem ich unter einige Proben gebe,^) weil diese deut¬
licher sind, als alles Raisonnement.

Ein ähnlicher äußerlicher Kontrast wird in die Stoffe gelegt; die Komik soll
darin bestehen, daß jene Ammenmärchen in einer ihrem Wesen durchaus zuwider¬
laufenden Denk - und Empstndnugsweise dargestellt werden. Aschenbrödels
Schwestern suchen ihr durch journalistische Lectüre Geschmack am Schönen beizu¬
bringen; sie selber sagt zur Fee Chrhsalide: "Ach, Ihre Gegenwart, verehrte
Fee, läßt meine kleinen Wünsche mich vergessen." Die Fee spricht sich bald dar¬
auf mit einigen Reminiscenzen an den Mcrcutio über das Wesen ihrer Kunst aus:

Da soll man noch an Ammenmärchen glauben, zumal wenn zwei Liebhaber
sich in folgender Sprache unterhalten:

^. Und welch ein Schmerz bedrückt Dich in der Seele?
L. Die Seele selbst ist dieser große Schmerz.
ä,. Und diese Qual, die Eins mit Dir geworden? u. s. w. --


*) /V. Wie geht's, Bcrnolo? -- K. Das heißt wol, ich soll gehen, denn gegenwärtig
steh' ich still. -- ^V. Wie Dein Verstand zuweilen. -- IZ. Das machte ihn zum Verstand,
daß er steht; wenn er ginge, so würd' es ein Vergang sein, -- ^. Vergänglich scheint er
mir allerdings.--^V. Uraca und Ursula haben Beide viel unter sich gemein, sie fangen
Beide mit Ur an. -- IZ. Es ist etwas UranfänglichcS in diesen Namen. -- ^, Das Wort
Uranfang scheint mir mit Urangutcmg verwandt zu sein :c,--/V. Welcher Hälfte schenkst
Du den Vorzug? -- L. Ich schenke ihr keinen Vorzug, ich schenke ihr die andere Hälfte. --
^. Dagegen läßt sich Nichts vorbringen. -- L. Du sollst auch Nichts vorbringen, bringe lieber
Etwas hervor in.--Wo sind die Träume meiner Kinderjahre? -- L. In Deinen
Windeln mit noch anderm Stoff ",--Es ist gestern eine Prinzeß auf dem Ball
gewesen. -- L. Eine Prinzeß? -- ^. Eine Prinzeß oder Baroncß , oder sonst etwas E߬
bares. --Ich konnte noch vieles Andere citiren, man wird aber an dieser Heiterkeit mit
der Leichenbittermiene bereits genug haben.

einer Zeit der unbedingten Tendenzen gefallen lassen konnte. Platen ist mich
darin Epigone und hat, wie es bei Epigonen zu geschehen pflegt, die Fehler
seines Meisters ins Ungeheuerliche getrieben. An einen innern Zusammenhang
seiner Fabel oder Charaktere ist gar nicht mehr zu denken. Wir haben eine be¬
ständige Ironie vor uns, ohne zu wissen, wem diese Ironie gilt; wir haben
einerseits eine angeblich poetische Sprache, die aber Nichts ist als Ziererei; wir
haben Pedanten, deren gespreiztes Wesen in den ganz ähnlichen Figuren bei
Tieck schon besser dargestellt ist, und daneben den angeblichen Witz der Shake-
speareschen Clowns, von dem ich unter einige Proben gebe,^) weil diese deut¬
licher sind, als alles Raisonnement.

Ein ähnlicher äußerlicher Kontrast wird in die Stoffe gelegt; die Komik soll
darin bestehen, daß jene Ammenmärchen in einer ihrem Wesen durchaus zuwider¬
laufenden Denk - und Empstndnugsweise dargestellt werden. Aschenbrödels
Schwestern suchen ihr durch journalistische Lectüre Geschmack am Schönen beizu¬
bringen; sie selber sagt zur Fee Chrhsalide: „Ach, Ihre Gegenwart, verehrte
Fee, läßt meine kleinen Wünsche mich vergessen." Die Fee spricht sich bald dar¬
auf mit einigen Reminiscenzen an den Mcrcutio über das Wesen ihrer Kunst aus:

Da soll man noch an Ammenmärchen glauben, zumal wenn zwei Liebhaber
sich in folgender Sprache unterhalten:

^. Und welch ein Schmerz bedrückt Dich in der Seele?
L. Die Seele selbst ist dieser große Schmerz.
ä,. Und diese Qual, die Eins mit Dir geworden? u. s. w. —


*) /V. Wie geht's, Bcrnolo? — K. Das heißt wol, ich soll gehen, denn gegenwärtig
steh' ich still. — ^V. Wie Dein Verstand zuweilen. — IZ. Das machte ihn zum Verstand,
daß er steht; wenn er ginge, so würd' es ein Vergang sein, — ^. Vergänglich scheint er
mir allerdings.--^V. Uraca und Ursula haben Beide viel unter sich gemein, sie fangen
Beide mit Ur an. — IZ. Es ist etwas UranfänglichcS in diesen Namen. — ^, Das Wort
Uranfang scheint mir mit Urangutcmg verwandt zu sein :c,--/V. Welcher Hälfte schenkst
Du den Vorzug? — L. Ich schenke ihr keinen Vorzug, ich schenke ihr die andere Hälfte. —
^. Dagegen läßt sich Nichts vorbringen. — L. Du sollst auch Nichts vorbringen, bringe lieber
Etwas hervor in.--Wo sind die Träume meiner Kinderjahre? — L. In Deinen
Windeln mit noch anderm Stoff «,--Es ist gestern eine Prinzeß auf dem Ball
gewesen. — L. Eine Prinzeß? — ^. Eine Prinzeß oder Baroncß , oder sonst etwas E߬
bares. --Ich konnte noch vieles Andere citiren, man wird aber an dieser Heiterkeit mit
der Leichenbittermiene bereits genug haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/222>, abgerufen am 03.06.2024.