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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Beim Dornröschen fällt dem Dichter die christliche Auferstehung der Todten
ein. Die Sage vom Schatz des Rhampfinit, die bekanntlich darin besteht, daß
zwei Söhne eines Baumeisters, denen der Vater einen geheimen Weg in die
königliche Schatzkammer gezeigt hat, dieselbe bestehlen, bis der Eine durch eine
Falle gefangen wird, worauf der Andere, um ihn unkenntlich zu machen, ihm das
Haupt abschlägt und nach einigen ähnlichen brutalen Schwänken die Hand der
Königstochter gewinnt, wird dadurch bunter gemacht, daß eine beständige Polemik
gegen die Hegel'sche Philosophie dazwischen geht. Der König selbst spricht von
philosophischen Zergliederungen, ein Prinz Bliomberis tritt auf, als eine getreue
Copie der Tieckschen Nestor und Zerbino, der das Publicum unter dem Anschein
einer Satyre gegen eine nirgend vorhandene Pedanterie mit faden, pedantischen
Redensarten langweilt u. s. w., und dazwischen steckt fortwährend der Dichter
seineu Kops zwischen der Coulisse hervor und ruft dem Publicum zu: das ist
Alles sehr schön, aber ich könnte es noch viel besser machen. Genug davon.

Diese Verirrungen sind um so wunderbarer, da Platen in einem Aufsatz:
"das Theater als Nationalinstitnt" (182S) eine vollkommen richtige Ansicht von dem
Wesen des Drama's ausspricht, und auch über Einzelnes ganz treffende Einfälle
hat. Er legt namentlich ein sehr großes Gewicht auf die Nothwendigkeit, daß
die dramatische Kunst sich aus der Bühne bethätigen muß, wenn sie überhaupt
gedeihen soll, daß diese Nachahmung fremder Literaturen, namentlich der antiken,
die Deutsche Poesie verwirrt hat ; aber es geht ihm, wie unfruchtbaren Geistern
überhaupt, sie sehen das Richtige und greifen nach dem Falschen; sie treibt nicht
die innere Fülle., sondern irgend ein äußeres Beispiel; sie pointiren sich auf
Kleinlichkeiten, auf die Sicherheit des Handwerks, richtige Reime, Metrum u. s. w.,
weil das Wesentliche zu erfassen ihre Kraft nicht hinreicht. Dieses Haschen nach
Kleinlichkeiten geht bei Platen so weit, daß er sich mit besonderem Eifer auf die
Reform der Orthographie wirft: er schreibt "Haube" nicht: Haupt, "rot", nicht:
roth, "tot", nicht: todt, u. s. w., und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß
viele seiner Gedichte nur gemacht sind, um dem Publicum diese neue Orthographie
einzuschärfen.

Die neue Wendung, welche Platen seit dem Gedicht an Ludwig von Baiern
im Drama nahm, nämlich die Rückkehr aus der Romantik in das Aristophanische
Lustspiel, ist keine wesentliche Veränderung. Die lose Form der Aristophanischen
Komödie, die den Dichter der Mühe überhebt, lebendige Charaktere zu zeichnen,
eine spannende Fabel zu ersinnen und sie nach dem Gesetz der Steigerung und
der Oekonomie durchzuführen, die ihm außerdem günstige Gelegenheit gibt, so
oft es ihm beliebt, mit einer Parabase persönlich aus die Bühne zu treten und
dem Publicum seine eigenste Weisheit aufzutischen, ist für unproductive Dichter,
die sich einer ziemlichen Belesenheit und eines gewissen Geschicks in der Hand¬
habung der Meeren erfreuen, die bequemste Form von der Welt, aber die Kunst


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Beim Dornröschen fällt dem Dichter die christliche Auferstehung der Todten
ein. Die Sage vom Schatz des Rhampfinit, die bekanntlich darin besteht, daß
zwei Söhne eines Baumeisters, denen der Vater einen geheimen Weg in die
königliche Schatzkammer gezeigt hat, dieselbe bestehlen, bis der Eine durch eine
Falle gefangen wird, worauf der Andere, um ihn unkenntlich zu machen, ihm das
Haupt abschlägt und nach einigen ähnlichen brutalen Schwänken die Hand der
Königstochter gewinnt, wird dadurch bunter gemacht, daß eine beständige Polemik
gegen die Hegel'sche Philosophie dazwischen geht. Der König selbst spricht von
philosophischen Zergliederungen, ein Prinz Bliomberis tritt auf, als eine getreue
Copie der Tieckschen Nestor und Zerbino, der das Publicum unter dem Anschein
einer Satyre gegen eine nirgend vorhandene Pedanterie mit faden, pedantischen
Redensarten langweilt u. s. w., und dazwischen steckt fortwährend der Dichter
seineu Kops zwischen der Coulisse hervor und ruft dem Publicum zu: das ist
Alles sehr schön, aber ich könnte es noch viel besser machen. Genug davon.

Diese Verirrungen sind um so wunderbarer, da Platen in einem Aufsatz:
„das Theater als Nationalinstitnt" (182S) eine vollkommen richtige Ansicht von dem
Wesen des Drama's ausspricht, und auch über Einzelnes ganz treffende Einfälle
hat. Er legt namentlich ein sehr großes Gewicht auf die Nothwendigkeit, daß
die dramatische Kunst sich aus der Bühne bethätigen muß, wenn sie überhaupt
gedeihen soll, daß diese Nachahmung fremder Literaturen, namentlich der antiken,
die Deutsche Poesie verwirrt hat ; aber es geht ihm, wie unfruchtbaren Geistern
überhaupt, sie sehen das Richtige und greifen nach dem Falschen; sie treibt nicht
die innere Fülle., sondern irgend ein äußeres Beispiel; sie pointiren sich auf
Kleinlichkeiten, auf die Sicherheit des Handwerks, richtige Reime, Metrum u. s. w.,
weil das Wesentliche zu erfassen ihre Kraft nicht hinreicht. Dieses Haschen nach
Kleinlichkeiten geht bei Platen so weit, daß er sich mit besonderem Eifer auf die
Reform der Orthographie wirft: er schreibt „Haube" nicht: Haupt, „rot", nicht:
roth, „tot", nicht: todt, u. s. w., und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß
viele seiner Gedichte nur gemacht sind, um dem Publicum diese neue Orthographie
einzuschärfen.

Die neue Wendung, welche Platen seit dem Gedicht an Ludwig von Baiern
im Drama nahm, nämlich die Rückkehr aus der Romantik in das Aristophanische
Lustspiel, ist keine wesentliche Veränderung. Die lose Form der Aristophanischen
Komödie, die den Dichter der Mühe überhebt, lebendige Charaktere zu zeichnen,
eine spannende Fabel zu ersinnen und sie nach dem Gesetz der Steigerung und
der Oekonomie durchzuführen, die ihm außerdem günstige Gelegenheit gibt, so
oft es ihm beliebt, mit einer Parabase persönlich aus die Bühne zu treten und
dem Publicum seine eigenste Weisheit aufzutischen, ist für unproductive Dichter,
die sich einer ziemlichen Belesenheit und eines gewissen Geschicks in der Hand¬
habung der Meeren erfreuen, die bequemste Form von der Welt, aber die Kunst


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[0223] Beim Dornröschen fällt dem Dichter die christliche Auferstehung der Todten ein. Die Sage vom Schatz des Rhampfinit, die bekanntlich darin besteht, daß zwei Söhne eines Baumeisters, denen der Vater einen geheimen Weg in die königliche Schatzkammer gezeigt hat, dieselbe bestehlen, bis der Eine durch eine Falle gefangen wird, worauf der Andere, um ihn unkenntlich zu machen, ihm das Haupt abschlägt und nach einigen ähnlichen brutalen Schwänken die Hand der Königstochter gewinnt, wird dadurch bunter gemacht, daß eine beständige Polemik gegen die Hegel'sche Philosophie dazwischen geht. Der König selbst spricht von philosophischen Zergliederungen, ein Prinz Bliomberis tritt auf, als eine getreue Copie der Tieckschen Nestor und Zerbino, der das Publicum unter dem Anschein einer Satyre gegen eine nirgend vorhandene Pedanterie mit faden, pedantischen Redensarten langweilt u. s. w., und dazwischen steckt fortwährend der Dichter seineu Kops zwischen der Coulisse hervor und ruft dem Publicum zu: das ist Alles sehr schön, aber ich könnte es noch viel besser machen. Genug davon. Diese Verirrungen sind um so wunderbarer, da Platen in einem Aufsatz: „das Theater als Nationalinstitnt" (182S) eine vollkommen richtige Ansicht von dem Wesen des Drama's ausspricht, und auch über Einzelnes ganz treffende Einfälle hat. Er legt namentlich ein sehr großes Gewicht auf die Nothwendigkeit, daß die dramatische Kunst sich aus der Bühne bethätigen muß, wenn sie überhaupt gedeihen soll, daß diese Nachahmung fremder Literaturen, namentlich der antiken, die Deutsche Poesie verwirrt hat ; aber es geht ihm, wie unfruchtbaren Geistern überhaupt, sie sehen das Richtige und greifen nach dem Falschen; sie treibt nicht die innere Fülle., sondern irgend ein äußeres Beispiel; sie pointiren sich auf Kleinlichkeiten, auf die Sicherheit des Handwerks, richtige Reime, Metrum u. s. w., weil das Wesentliche zu erfassen ihre Kraft nicht hinreicht. Dieses Haschen nach Kleinlichkeiten geht bei Platen so weit, daß er sich mit besonderem Eifer auf die Reform der Orthographie wirft: er schreibt „Haube" nicht: Haupt, „rot", nicht: roth, „tot", nicht: todt, u. s. w., und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß viele seiner Gedichte nur gemacht sind, um dem Publicum diese neue Orthographie einzuschärfen. Die neue Wendung, welche Platen seit dem Gedicht an Ludwig von Baiern im Drama nahm, nämlich die Rückkehr aus der Romantik in das Aristophanische Lustspiel, ist keine wesentliche Veränderung. Die lose Form der Aristophanischen Komödie, die den Dichter der Mühe überhebt, lebendige Charaktere zu zeichnen, eine spannende Fabel zu ersinnen und sie nach dem Gesetz der Steigerung und der Oekonomie durchzuführen, die ihm außerdem günstige Gelegenheit gibt, so oft es ihm beliebt, mit einer Parabase persönlich aus die Bühne zu treten und dem Publicum seine eigenste Weisheit aufzutischen, ist für unproductive Dichter, die sich einer ziemlichen Belesenheit und eines gewissen Geschicks in der Hand¬ habung der Meeren erfreuen, die bequemste Form von der Welt, aber die Kunst 27"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/223>, abgerufen am 29.05.2024.