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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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nistrcn, nur daß man bei den wunderlichen Launen dieses Dichters niemals die
eigentliche Stimmung herausempfindet, man weiß niemals, ob der Dichter selber
besessen ist oder mit der Besessenheit nur spielt. Wenn man diese humoristische
ProductivM aber nicht besitzt, so soll man die Kritik des Schlechten in der Form
halten, die ihr eigentlich zukommt, man soll die Verkehrtheit durch Witz und Ver¬
stand auslösen, und sie dadurch dem Geist vermitteln. Dialogisirte Recensionen
machen aber im Leben kein Drama. -- Auf die Ungerechtigkeiten, die sich Platen
in seinen Angrissen zu Schulden kommen läßt, würde ich weniger Gewicht legen,
wenn er nicht selber fortwährend zu einem Vergleich aufforderte. Nach jeder
Parabase, in welcher Immermann schlecht gemacht wird, folgt eine andere, die
Platen feiert, und da sieht man sich nothgedrungen, auf die positiven Leistungen
des Letztern sein Augenmerk zu richten. Eigentlich hat er nnr ein Drama ge¬
schrieben, in welchem ein ernster Anlauf genommen wird, die Liga von Cambrai
(1832). Dieses Stück zeigt eine wahrhaft erschreckende Unfähigkeit, ein gege¬
benes Thema mit einigem Verstand und Phantasie zu behandeln; von einer Span¬
nung des Interesse, von Charakterschilderungen und dergleichen ist keine Spur
darin vorhanden, und es würde vergebens sein, nach einer poetischen Intention
des Dichters zu fragen. -- Ein anderes Gedicht, die Abbassiden (1829), ist
ein Versuch, im Ariostischen Styl zu schreiben, also wieder ein Rückfall in die
Romantik, die er in seinen Satyren mit so leidenschaftlicher Bitterkeit bekämpft.
Die Ariostische Maschinerie wird in dem steifen serbischen Versmaß, dem fünf¬
füßigen Trochäus, den er diesmal anwendet, bis zum Uebermaß ausgebeutet.
Flügelrosse, Wallfische, Feen, Sultane, irrende Ritter und dergleichen sind zur
Genüge vorhanden, aber es fehlt jene sprudelnde Phantasie, die bei dem Italieni¬
schen Dichter wenigstens einigermaßen die Gedankenlosigkeit vergessen läßt. --
So bleibt denn der einzige Vorzug, dessen er sich gegen die Tagesdichter rühmen
kann, die reinere Sprache, und hier müssen wir allerdings einen großen Fort¬
schritt erkennen. Die beiden Aristophanischen Dramen sind zwar meistens sehr
prosaisch gehalten, aber die Verse fließen anmuthig dahin und vermeiden sowol
den Schwulst der Houwald, Müllner u. s. w., als die Rohheiten, die uns bei
Immermann wenigstens in jener Periode fast in jeder Zeile verletzen. Wir be¬
wegen uns in einer aristokratischen Gesellschaft, und das ist schon immer ein
Gewinn für die Poesie.

Ich komme zum Schluß. Bei den edlen Intentionen, welche Platen häufig
genug in Beziehung aus die Kunst ausspricht, und von denen wir unten ein Bei¬
spiel geben"), müssen wir das Verfehlte seiner Versuche in der nämlichen Richtung



Z. B. Er spricht von seiner Auffassung der Komödie.
Merkt Ihr endlich, daß eS komisch keineswegs ihm dünkt und fein,
Euch Gemeines nur zu geben und zu geben es gemein?
Nein, was häßlich scheint und niedrig und entblößt von Halt und Norm,
*)

nistrcn, nur daß man bei den wunderlichen Launen dieses Dichters niemals die
eigentliche Stimmung herausempfindet, man weiß niemals, ob der Dichter selber
besessen ist oder mit der Besessenheit nur spielt. Wenn man diese humoristische
ProductivM aber nicht besitzt, so soll man die Kritik des Schlechten in der Form
halten, die ihr eigentlich zukommt, man soll die Verkehrtheit durch Witz und Ver¬
stand auslösen, und sie dadurch dem Geist vermitteln. Dialogisirte Recensionen
machen aber im Leben kein Drama. — Auf die Ungerechtigkeiten, die sich Platen
in seinen Angrissen zu Schulden kommen läßt, würde ich weniger Gewicht legen,
wenn er nicht selber fortwährend zu einem Vergleich aufforderte. Nach jeder
Parabase, in welcher Immermann schlecht gemacht wird, folgt eine andere, die
Platen feiert, und da sieht man sich nothgedrungen, auf die positiven Leistungen
des Letztern sein Augenmerk zu richten. Eigentlich hat er nnr ein Drama ge¬
schrieben, in welchem ein ernster Anlauf genommen wird, die Liga von Cambrai
(1832). Dieses Stück zeigt eine wahrhaft erschreckende Unfähigkeit, ein gege¬
benes Thema mit einigem Verstand und Phantasie zu behandeln; von einer Span¬
nung des Interesse, von Charakterschilderungen und dergleichen ist keine Spur
darin vorhanden, und es würde vergebens sein, nach einer poetischen Intention
des Dichters zu fragen. — Ein anderes Gedicht, die Abbassiden (1829), ist
ein Versuch, im Ariostischen Styl zu schreiben, also wieder ein Rückfall in die
Romantik, die er in seinen Satyren mit so leidenschaftlicher Bitterkeit bekämpft.
Die Ariostische Maschinerie wird in dem steifen serbischen Versmaß, dem fünf¬
füßigen Trochäus, den er diesmal anwendet, bis zum Uebermaß ausgebeutet.
Flügelrosse, Wallfische, Feen, Sultane, irrende Ritter und dergleichen sind zur
Genüge vorhanden, aber es fehlt jene sprudelnde Phantasie, die bei dem Italieni¬
schen Dichter wenigstens einigermaßen die Gedankenlosigkeit vergessen läßt. —
So bleibt denn der einzige Vorzug, dessen er sich gegen die Tagesdichter rühmen
kann, die reinere Sprache, und hier müssen wir allerdings einen großen Fort¬
schritt erkennen. Die beiden Aristophanischen Dramen sind zwar meistens sehr
prosaisch gehalten, aber die Verse fließen anmuthig dahin und vermeiden sowol
den Schwulst der Houwald, Müllner u. s. w., als die Rohheiten, die uns bei
Immermann wenigstens in jener Periode fast in jeder Zeile verletzen. Wir be¬
wegen uns in einer aristokratischen Gesellschaft, und das ist schon immer ein
Gewinn für die Poesie.

Ich komme zum Schluß. Bei den edlen Intentionen, welche Platen häufig
genug in Beziehung aus die Kunst ausspricht, und von denen wir unten ein Bei¬
spiel geben"), müssen wir das Verfehlte seiner Versuche in der nämlichen Richtung



Z. B. Er spricht von seiner Auffassung der Komödie.
Merkt Ihr endlich, daß eS komisch keineswegs ihm dünkt und fein,
Euch Gemeines nur zu geben und zu geben es gemein?
Nein, was häßlich scheint und niedrig und entblößt von Halt und Norm,
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[0225] nistrcn, nur daß man bei den wunderlichen Launen dieses Dichters niemals die eigentliche Stimmung herausempfindet, man weiß niemals, ob der Dichter selber besessen ist oder mit der Besessenheit nur spielt. Wenn man diese humoristische ProductivM aber nicht besitzt, so soll man die Kritik des Schlechten in der Form halten, die ihr eigentlich zukommt, man soll die Verkehrtheit durch Witz und Ver¬ stand auslösen, und sie dadurch dem Geist vermitteln. Dialogisirte Recensionen machen aber im Leben kein Drama. — Auf die Ungerechtigkeiten, die sich Platen in seinen Angrissen zu Schulden kommen läßt, würde ich weniger Gewicht legen, wenn er nicht selber fortwährend zu einem Vergleich aufforderte. Nach jeder Parabase, in welcher Immermann schlecht gemacht wird, folgt eine andere, die Platen feiert, und da sieht man sich nothgedrungen, auf die positiven Leistungen des Letztern sein Augenmerk zu richten. Eigentlich hat er nnr ein Drama ge¬ schrieben, in welchem ein ernster Anlauf genommen wird, die Liga von Cambrai (1832). Dieses Stück zeigt eine wahrhaft erschreckende Unfähigkeit, ein gege¬ benes Thema mit einigem Verstand und Phantasie zu behandeln; von einer Span¬ nung des Interesse, von Charakterschilderungen und dergleichen ist keine Spur darin vorhanden, und es würde vergebens sein, nach einer poetischen Intention des Dichters zu fragen. — Ein anderes Gedicht, die Abbassiden (1829), ist ein Versuch, im Ariostischen Styl zu schreiben, also wieder ein Rückfall in die Romantik, die er in seinen Satyren mit so leidenschaftlicher Bitterkeit bekämpft. Die Ariostische Maschinerie wird in dem steifen serbischen Versmaß, dem fünf¬ füßigen Trochäus, den er diesmal anwendet, bis zum Uebermaß ausgebeutet. Flügelrosse, Wallfische, Feen, Sultane, irrende Ritter und dergleichen sind zur Genüge vorhanden, aber es fehlt jene sprudelnde Phantasie, die bei dem Italieni¬ schen Dichter wenigstens einigermaßen die Gedankenlosigkeit vergessen läßt. — So bleibt denn der einzige Vorzug, dessen er sich gegen die Tagesdichter rühmen kann, die reinere Sprache, und hier müssen wir allerdings einen großen Fort¬ schritt erkennen. Die beiden Aristophanischen Dramen sind zwar meistens sehr prosaisch gehalten, aber die Verse fließen anmuthig dahin und vermeiden sowol den Schwulst der Houwald, Müllner u. s. w., als die Rohheiten, die uns bei Immermann wenigstens in jener Periode fast in jeder Zeile verletzen. Wir be¬ wegen uns in einer aristokratischen Gesellschaft, und das ist schon immer ein Gewinn für die Poesie. Ich komme zum Schluß. Bei den edlen Intentionen, welche Platen häufig genug in Beziehung aus die Kunst ausspricht, und von denen wir unten ein Bei¬ spiel geben"), müssen wir das Verfehlte seiner Versuche in der nämlichen Richtung Z. B. Er spricht von seiner Auffassung der Komödie. Merkt Ihr endlich, daß eS komisch keineswegs ihm dünkt und fein, Euch Gemeines nur zu geben und zu geben es gemein? Nein, was häßlich scheint und niedrig und entblößt von Halt und Norm, *)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/225>, abgerufen am 04.06.2024.