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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gewinnt Nichts dabei; wenigstens ist Platen in diesem Punkt originell, aber er
hat die Aristophanische Form dadurch noch abstracter gemacht, daß er sie, wie
Tieck seine Komödie, ans literarische Gegenstände anwendete. Seine verhäng-
nißvolle Gabel (1826) ist eine Satyre ans die Schicksalstragödie, die einen
an sich ganz vortrefflichen Einfall zu Tode hetzt; sein romantischer Oedipus
(1828), eine Satyre gegen Immermann, der ihn durch das bereits angeführte
Epigramm geärgert hatte. Immermann, dessen Stücke Car denio und Celinde
(1826) und das Trauerspiel in Tyrol (1827), damals einiges Aufsehen ge¬
macht hatten, gab der Kritik einen hinreichenden Stoff zur Satyre; zum Gegen¬
stand eines satyrischen Drama's ist er aber nicht geeignet, weil sein Charakter in
derselben ängstlichen dilettantischen Unsicherheit des Suchens besteht, die wir in
Platen wiederfinden. Immermann hat weniger Geläufigkeit in der Form, aber
etwas mehr Inhalt, als unser Dichter. An Empfindlichkeit und unsicherm Selbst¬
gefühl gab er ihm Nichts uach. Seine Erwiderung, "der im Irrgarten der
Metrik nmhertanmelnde Kavalier" (1829), war ebenso tactlos und ebenso unpoe¬
tisch, als der Angriff seines Gegners, und eine zweite Satyre, "Tulifäntcheu"
(1830), war so fein gehalten, daß Niemand sie verstanden hat. Von dem un¬
flätigen Angriff, den Heine in seinen Reisebildern gegen Platen richtete, habe ich
schon gesprochen: mit dergleichen beschäftigten sich damals die auserlesenen Geister
unsrer Nation, die sich in ihrem phantastischen Dünkel einbildeten, im himmelreinen
Aether hoch über dem Gewühl der Sterblichen zu schweben. Die Poesie hat ihre
Seelen nicht geläutert, sie hat sie vielmehr, wie es immer geschieht, wenn kleine
Seelen sich ihr hingeben, noch tiefer in den Staub herabgezogen.

Ich darf wol kaum noch bemerken, daß der Kunstwerth jener beiden Stücke,
auch wenn man von der Form im Allgemeinen absteht, ein höchst unbedeutender
ist. Die Wahrheiten, die in den Parabasen ausgesprochen werden, sind die nack¬
teste Prosa, und weder eine heitere Stimmung, noch eine sittliche Erhebung bleibt
zurück, wenn man sie gelesen hat, denn die Satyre besteht, wie bei Tieck und
z. B. bei Hauff gegen Clauren, in nichts Anderem, als daß die Verkehrtheiten
der Gegner mit einiger Uebertreibung wiederholt werden. Von einer Freude am
Spaß, von Humor ist keine Rede; es herrscht überall die Bitterkeit eines literarisch
Unzufriedenen, und auch persönlich Beleidigten. Und doch war in den wunder-
- lichen Gestatte", welche die damalige Romantik ans die Bühne gebracht hatte, die
Werner, Müllner, Houwald, Arnim, Brentano, Fouquv u. s. w., Stoff genug
vorhanden, um eine lebenskräftige Komik darauf zu gründen. Nur hätte man
mit diesen Gestalten scheinbar Ernst machen, man hätte diese Ahnfrauen, Teufel,
Kobolde, Allraunen ze. mit Fleisch und Blut bekleiden, sie als lebendige inviduelle
Wesen darstellen, nicht blos als literarische Reminiscenzen verwerthen müssen.
Arnim selbst hat es einige Mal nicht ohne Glück versucht, seine eignen Schöpfungen,
z. B. den Feldmarschall Cornelius Nepos und den todten Bärenhäuter, zu iro-


gewinnt Nichts dabei; wenigstens ist Platen in diesem Punkt originell, aber er
hat die Aristophanische Form dadurch noch abstracter gemacht, daß er sie, wie
Tieck seine Komödie, ans literarische Gegenstände anwendete. Seine verhäng-
nißvolle Gabel (1826) ist eine Satyre ans die Schicksalstragödie, die einen
an sich ganz vortrefflichen Einfall zu Tode hetzt; sein romantischer Oedipus
(1828), eine Satyre gegen Immermann, der ihn durch das bereits angeführte
Epigramm geärgert hatte. Immermann, dessen Stücke Car denio und Celinde
(1826) und das Trauerspiel in Tyrol (1827), damals einiges Aufsehen ge¬
macht hatten, gab der Kritik einen hinreichenden Stoff zur Satyre; zum Gegen¬
stand eines satyrischen Drama's ist er aber nicht geeignet, weil sein Charakter in
derselben ängstlichen dilettantischen Unsicherheit des Suchens besteht, die wir in
Platen wiederfinden. Immermann hat weniger Geläufigkeit in der Form, aber
etwas mehr Inhalt, als unser Dichter. An Empfindlichkeit und unsicherm Selbst¬
gefühl gab er ihm Nichts uach. Seine Erwiderung, „der im Irrgarten der
Metrik nmhertanmelnde Kavalier" (1829), war ebenso tactlos und ebenso unpoe¬
tisch, als der Angriff seines Gegners, und eine zweite Satyre, „Tulifäntcheu"
(1830), war so fein gehalten, daß Niemand sie verstanden hat. Von dem un¬
flätigen Angriff, den Heine in seinen Reisebildern gegen Platen richtete, habe ich
schon gesprochen: mit dergleichen beschäftigten sich damals die auserlesenen Geister
unsrer Nation, die sich in ihrem phantastischen Dünkel einbildeten, im himmelreinen
Aether hoch über dem Gewühl der Sterblichen zu schweben. Die Poesie hat ihre
Seelen nicht geläutert, sie hat sie vielmehr, wie es immer geschieht, wenn kleine
Seelen sich ihr hingeben, noch tiefer in den Staub herabgezogen.

Ich darf wol kaum noch bemerken, daß der Kunstwerth jener beiden Stücke,
auch wenn man von der Form im Allgemeinen absteht, ein höchst unbedeutender
ist. Die Wahrheiten, die in den Parabasen ausgesprochen werden, sind die nack¬
teste Prosa, und weder eine heitere Stimmung, noch eine sittliche Erhebung bleibt
zurück, wenn man sie gelesen hat, denn die Satyre besteht, wie bei Tieck und
z. B. bei Hauff gegen Clauren, in nichts Anderem, als daß die Verkehrtheiten
der Gegner mit einiger Uebertreibung wiederholt werden. Von einer Freude am
Spaß, von Humor ist keine Rede; es herrscht überall die Bitterkeit eines literarisch
Unzufriedenen, und auch persönlich Beleidigten. Und doch war in den wunder-
- lichen Gestatte», welche die damalige Romantik ans die Bühne gebracht hatte, die
Werner, Müllner, Houwald, Arnim, Brentano, Fouquv u. s. w., Stoff genug
vorhanden, um eine lebenskräftige Komik darauf zu gründen. Nur hätte man
mit diesen Gestalten scheinbar Ernst machen, man hätte diese Ahnfrauen, Teufel,
Kobolde, Allraunen ze. mit Fleisch und Blut bekleiden, sie als lebendige inviduelle
Wesen darstellen, nicht blos als literarische Reminiscenzen verwerthen müssen.
Arnim selbst hat es einige Mal nicht ohne Glück versucht, seine eignen Schöpfungen,
z. B. den Feldmarschall Cornelius Nepos und den todten Bärenhäuter, zu iro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/224>, abgerufen am 29.05.2024.