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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Bosnien durch seine Aristokratie das schlimmste Ueberbleibsel vortürkischer Zeit bis
hente gewahrt hat, so ist in Serbien das Lehenswesen eben durch die Türken
vernichtet und jeder Unterschied der Stände ausgehoben worden. Serbien ist eine
wahrhafte Demokratie; hier gibt es weder Spcchije noch Bojaren, das Volk ist
Alles, und die fürstliche Regierung ist ungeachtet ihres Namens demokratischer,
als die der Demokratien Frankreich oder der Schweiz. Es ist in Serbien auch
nicht anders möglich; denn das Volk kennt und wahrt seine Interessen zu gut,
als daß es Uebergriffe, welche seine gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen
gefährden könnten, dulden würde. Dies hat es an Milvsch Obrenowitsch gethan,
welcher, trotz allen seinen Verdiensten um das Land und trotz dem, daß er dem
Volke als sein Mann lieb und theuer war, über Nacht gestürzt wurde. Es
scheint, daß sich der jetzige Fürst Alexander Karadschordschewitsch ein ernstes Ex¬
empel daran genommen habe, wenigstens vermeidet er es seinerseits sichtlich, das
Volk zu reizen und zum Widerstande desselben Veranlassung zu geben.

Ohne hervorragende Talente, einfach und achteuswerth im Privatleben,
überhebt sich der Fürst nicht über das Volk, welches ihn auf deu Thron gebracht.
Nichts kann einfacher sein, als das Hofleben in Belgrad, und schon um des Ge¬
gensatzes willen dürften einige Andeutungen darüber uicht überflüssig sein. Dabei
möge man nicht vergessen, daß das Fürstenthum Serbien in seinen auswärtigen
Verhältnissen freier als die kleinen Staaten Deutschlands, an Größe und Macht
aber den Deutschen Großherzogthümern weit überlegen ist.

Der Fürst bewohnt mit seiner Familie ein sehr unscheinbares Haus (Iiong,K) in
Belgrad. Das innere Meublement ist von dem des wohlhabenden Belgrader Bürgers
nicht verschieden. Es gibt da weder Kammerherren, noch andere Hofschranzen, noch
einen Domestikentroß, -- einige Adjutanten und ein Paar Diener machen die
ganze Hofhaltung aus. Vom Antichambriren und Audienztagen ist keine Rede;
der Fürst ist von acht Uhr Morgens bis in die Nacht für Jedermann zu sprechen.
Fast täglich kommen Leute vom Lande, um den XnMs zu sprechen; das Volk
kennt keinen andern Titel für ihn, als "Kospoclar", Herr, und redet ihn stets
mit dem "vertraulichen" Du an. Ein so vertraulicher und herzlicher und zugleich
achtungsvoller Ton herrscht hier, daß der Fremde unwillkürlich staunt und an die
Zeiten denkt, wo die Fürsten noch Menschen wie andere Menschenkinder waren.
In Kroatien ist es schon ganz anders. Im Jahre 18i8 hörte man auch da Na¬
turlaute, wenn man mit dem Ban sprach; aber im Jahre 18ö0 wurde der "Lan¬
desvater" der Kluft inne, welche zwischen ihm und dem Volke besteht, und es
ward eine Art von Hofetikette eingeführt, welche eben so gut Spanisch, Oestreichisch,
als Chinesisch genannt werden könnte, wenn sie nicht durchaus Kroatisch sein wollte.
Der Landesvater heißt demnach "SvMi, Kein", durchlauchtigster Ban, und ertheilt
nur einmal wöchentlich Audienzen. Derlei Vornehmthuerei wäre in Serbien nicht
practicabel, aber in Kroatien fügt man sich darein; will ja doch Kroatien, weil


Bosnien durch seine Aristokratie das schlimmste Ueberbleibsel vortürkischer Zeit bis
hente gewahrt hat, so ist in Serbien das Lehenswesen eben durch die Türken
vernichtet und jeder Unterschied der Stände ausgehoben worden. Serbien ist eine
wahrhafte Demokratie; hier gibt es weder Spcchije noch Bojaren, das Volk ist
Alles, und die fürstliche Regierung ist ungeachtet ihres Namens demokratischer,
als die der Demokratien Frankreich oder der Schweiz. Es ist in Serbien auch
nicht anders möglich; denn das Volk kennt und wahrt seine Interessen zu gut,
als daß es Uebergriffe, welche seine gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen
gefährden könnten, dulden würde. Dies hat es an Milvsch Obrenowitsch gethan,
welcher, trotz allen seinen Verdiensten um das Land und trotz dem, daß er dem
Volke als sein Mann lieb und theuer war, über Nacht gestürzt wurde. Es
scheint, daß sich der jetzige Fürst Alexander Karadschordschewitsch ein ernstes Ex¬
empel daran genommen habe, wenigstens vermeidet er es seinerseits sichtlich, das
Volk zu reizen und zum Widerstande desselben Veranlassung zu geben.

Ohne hervorragende Talente, einfach und achteuswerth im Privatleben,
überhebt sich der Fürst nicht über das Volk, welches ihn auf deu Thron gebracht.
Nichts kann einfacher sein, als das Hofleben in Belgrad, und schon um des Ge¬
gensatzes willen dürften einige Andeutungen darüber uicht überflüssig sein. Dabei
möge man nicht vergessen, daß das Fürstenthum Serbien in seinen auswärtigen
Verhältnissen freier als die kleinen Staaten Deutschlands, an Größe und Macht
aber den Deutschen Großherzogthümern weit überlegen ist.

Der Fürst bewohnt mit seiner Familie ein sehr unscheinbares Haus (Iiong,K) in
Belgrad. Das innere Meublement ist von dem des wohlhabenden Belgrader Bürgers
nicht verschieden. Es gibt da weder Kammerherren, noch andere Hofschranzen, noch
einen Domestikentroß, — einige Adjutanten und ein Paar Diener machen die
ganze Hofhaltung aus. Vom Antichambriren und Audienztagen ist keine Rede;
der Fürst ist von acht Uhr Morgens bis in die Nacht für Jedermann zu sprechen.
Fast täglich kommen Leute vom Lande, um den XnMs zu sprechen; das Volk
kennt keinen andern Titel für ihn, als „Kospoclar", Herr, und redet ihn stets
mit dem „vertraulichen" Du an. Ein so vertraulicher und herzlicher und zugleich
achtungsvoller Ton herrscht hier, daß der Fremde unwillkürlich staunt und an die
Zeiten denkt, wo die Fürsten noch Menschen wie andere Menschenkinder waren.
In Kroatien ist es schon ganz anders. Im Jahre 18i8 hörte man auch da Na¬
turlaute, wenn man mit dem Ban sprach; aber im Jahre 18ö0 wurde der „Lan¬
desvater" der Kluft inne, welche zwischen ihm und dem Volke besteht, und es
ward eine Art von Hofetikette eingeführt, welche eben so gut Spanisch, Oestreichisch,
als Chinesisch genannt werden könnte, wenn sie nicht durchaus Kroatisch sein wollte.
Der Landesvater heißt demnach „SvMi, Kein", durchlauchtigster Ban, und ertheilt
nur einmal wöchentlich Audienzen. Derlei Vornehmthuerei wäre in Serbien nicht
practicabel, aber in Kroatien fügt man sich darein; will ja doch Kroatien, weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/233>, abgerufen am 15.05.2024.