Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es dem Westen nur einige Meilen näher, feiner und gebildeter sein, als das
orientale Serbien. Lassen wir ihm die Freude!

Militärische Puppenspiele kennt man in Belgrad nicht; an Festtagen halt
das Militair eine Kirchenparade vor dein Fürsten, der bei solchen Gelegenheiten
in Militairuniform erscheint, während er sonst gewöhnlich einen Polnischen Schnur¬
rock und das Fes am Kopfe trägt. Von obligatem Jubelgeschrei ist hier Nichts
zu hören; schwerlich würde sich Jemand zum Olacjuour hergeben. Der Fürst grüßt,
man dankt, bietet ihm respectvoll einen guten Morgen; man läßt ihn zuerst in
die Kirche treten und Herausgehen; wenn er aber ins Theater kommt, ist es
Brauch, daß Alle aufstehen, und erst, nachdem er Platz genommen, niedersten.
Dies ist die ganze Hofetikette in Belgrad; von mehr will man Nichts hören.

Das häusliche Leben der fürstlichen Familie ist bürgerlich einfach und in
jeder Hinsicht musterhaft. Der Fürst speist mit seiner Familie und seiner nähern
Umgebung ; Fremde, welche dem Fürsten Visite machen, werden ebenfalls zur Tafel
gezogen. Natürlich gibt es hier keinen Hofmarschall, keinen Hosceremonienmeister,
keinen Hofküchenmeister und keinen Mundschenk, -- Alles ist wie in einem wohl¬
habenden Privathause eingerichtet. Nach Tische wird Kaffee und Tschibuk jedem
Gaste gereicht, und nachdem die Fürstin und die Prinzessinnen sich zurückgezogen
haben, häufig bis zum Abend ganz ungezwungen conversirt, gescherzt und gelacht. --

Der Fürst führt die Regierung mit dem Ministerium und dem Staatsrathe
(8vvH<z>.). Man machte sich auswärts häufig lustig über Minister und Staats¬
räthe, die kaum lesen und schreiben können; aber mit großem Unrechte. Man
denke an die Stürme von 18i8; als in Nachbarländern von Serbien, in Ungarn
und den Romanischen Fürstenthümern Aufruhr und Krieg wüthete, blieb Serbien
von allen diesen Drangsalen verschont, und dies hat es hauptsächlich seinen als
Ignoranten und Barbaren verschrienen Ministern und Staatsräthen zu verdanken.
Es scheint also doch, daß es diesen Männern, deren einige freilich kaum ihren
Namen zu unterschreiben gelernt haben, weder an Kopf noch an Herz fehle, was
man von vielen "hochgebildeten" und "tiefgelehrten" Staatsmännern im Occident
leider nicht sagen kann. Die weise Haltung der serbischen Regierung hielt im
Jahre 18i8 eine Krise ab, die damals bei der allgemeinen Erregtheit der Geister
leichter als jemals eintreten konnte, und befestigte die Ruhe ans eine lange Zeit
hinaus. Dieses Verdienst ist gewiß nicht gering anzuschlagen, wenn man an die
Zustände der Moldau und Walachei denkt und erwägt, was im gleichen Falle in
Serbien hätte geschehen können. Man mag daher über die gegenwärtige serbi¬
sche Regierung urtheilen, wie man will; das Verdienst darf man ihr nicht streitig
machen, daß sie ihr Land vor fremden Uebergriffen sicher gestellt hat.

Als Repräsentant der serbischen Negierung gilt der Minister des Innern,
Jlija Garaschanin, und da es vielleicht manchem Flachseufingischen "Staats-


es dem Westen nur einige Meilen näher, feiner und gebildeter sein, als das
orientale Serbien. Lassen wir ihm die Freude!

Militärische Puppenspiele kennt man in Belgrad nicht; an Festtagen halt
das Militair eine Kirchenparade vor dein Fürsten, der bei solchen Gelegenheiten
in Militairuniform erscheint, während er sonst gewöhnlich einen Polnischen Schnur¬
rock und das Fes am Kopfe trägt. Von obligatem Jubelgeschrei ist hier Nichts
zu hören; schwerlich würde sich Jemand zum Olacjuour hergeben. Der Fürst grüßt,
man dankt, bietet ihm respectvoll einen guten Morgen; man läßt ihn zuerst in
die Kirche treten und Herausgehen; wenn er aber ins Theater kommt, ist es
Brauch, daß Alle aufstehen, und erst, nachdem er Platz genommen, niedersten.
Dies ist die ganze Hofetikette in Belgrad; von mehr will man Nichts hören.

Das häusliche Leben der fürstlichen Familie ist bürgerlich einfach und in
jeder Hinsicht musterhaft. Der Fürst speist mit seiner Familie und seiner nähern
Umgebung ; Fremde, welche dem Fürsten Visite machen, werden ebenfalls zur Tafel
gezogen. Natürlich gibt es hier keinen Hofmarschall, keinen Hosceremonienmeister,
keinen Hofküchenmeister und keinen Mundschenk, — Alles ist wie in einem wohl¬
habenden Privathause eingerichtet. Nach Tische wird Kaffee und Tschibuk jedem
Gaste gereicht, und nachdem die Fürstin und die Prinzessinnen sich zurückgezogen
haben, häufig bis zum Abend ganz ungezwungen conversirt, gescherzt und gelacht. —

Der Fürst führt die Regierung mit dem Ministerium und dem Staatsrathe
(8vvH<z>.). Man machte sich auswärts häufig lustig über Minister und Staats¬
räthe, die kaum lesen und schreiben können; aber mit großem Unrechte. Man
denke an die Stürme von 18i8; als in Nachbarländern von Serbien, in Ungarn
und den Romanischen Fürstenthümern Aufruhr und Krieg wüthete, blieb Serbien
von allen diesen Drangsalen verschont, und dies hat es hauptsächlich seinen als
Ignoranten und Barbaren verschrienen Ministern und Staatsräthen zu verdanken.
Es scheint also doch, daß es diesen Männern, deren einige freilich kaum ihren
Namen zu unterschreiben gelernt haben, weder an Kopf noch an Herz fehle, was
man von vielen „hochgebildeten" und „tiefgelehrten" Staatsmännern im Occident
leider nicht sagen kann. Die weise Haltung der serbischen Regierung hielt im
Jahre 18i8 eine Krise ab, die damals bei der allgemeinen Erregtheit der Geister
leichter als jemals eintreten konnte, und befestigte die Ruhe ans eine lange Zeit
hinaus. Dieses Verdienst ist gewiß nicht gering anzuschlagen, wenn man an die
Zustände der Moldau und Walachei denkt und erwägt, was im gleichen Falle in
Serbien hätte geschehen können. Man mag daher über die gegenwärtige serbi¬
sche Regierung urtheilen, wie man will; das Verdienst darf man ihr nicht streitig
machen, daß sie ihr Land vor fremden Uebergriffen sicher gestellt hat.

Als Repräsentant der serbischen Negierung gilt der Minister des Innern,
Jlija Garaschanin, und da es vielleicht manchem Flachseufingischen „Staats-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91427"/>
          <p xml:id="ID_646" prev="#ID_645"> es dem Westen nur einige Meilen näher, feiner und gebildeter sein, als das<lb/>
orientale Serbien.  Lassen wir ihm die Freude!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Militärische Puppenspiele kennt man in Belgrad nicht; an Festtagen halt<lb/>
das Militair eine Kirchenparade vor dein Fürsten, der bei solchen Gelegenheiten<lb/>
in Militairuniform erscheint, während er sonst gewöhnlich einen Polnischen Schnur¬<lb/>
rock und das Fes am Kopfe trägt. Von obligatem Jubelgeschrei ist hier Nichts<lb/>
zu hören; schwerlich würde sich Jemand zum Olacjuour hergeben. Der Fürst grüßt,<lb/>
man dankt, bietet ihm respectvoll einen guten Morgen; man läßt ihn zuerst in<lb/>
die Kirche treten und Herausgehen; wenn er aber ins Theater kommt, ist es<lb/>
Brauch, daß Alle aufstehen, und erst, nachdem er Platz genommen, niedersten.<lb/>
Dies ist die ganze Hofetikette in Belgrad; von mehr will man Nichts hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> Das häusliche Leben der fürstlichen Familie ist bürgerlich einfach und in<lb/>
jeder Hinsicht musterhaft. Der Fürst speist mit seiner Familie und seiner nähern<lb/>
Umgebung ; Fremde, welche dem Fürsten Visite machen, werden ebenfalls zur Tafel<lb/>
gezogen. Natürlich gibt es hier keinen Hofmarschall, keinen Hosceremonienmeister,<lb/>
keinen Hofküchenmeister und keinen Mundschenk, &#x2014; Alles ist wie in einem wohl¬<lb/>
habenden Privathause eingerichtet. Nach Tische wird Kaffee und Tschibuk jedem<lb/>
Gaste gereicht, und nachdem die Fürstin und die Prinzessinnen sich zurückgezogen<lb/>
haben, häufig bis zum Abend ganz ungezwungen conversirt, gescherzt und gelacht. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Der Fürst führt die Regierung mit dem Ministerium und dem Staatsrathe<lb/>
(8vvH&lt;z&gt;.). Man machte sich auswärts häufig lustig über Minister und Staats¬<lb/>
räthe, die kaum lesen und schreiben können; aber mit großem Unrechte. Man<lb/>
denke an die Stürme von 18i8; als in Nachbarländern von Serbien, in Ungarn<lb/>
und den Romanischen Fürstenthümern Aufruhr und Krieg wüthete, blieb Serbien<lb/>
von allen diesen Drangsalen verschont, und dies hat es hauptsächlich seinen als<lb/>
Ignoranten und Barbaren verschrienen Ministern und Staatsräthen zu verdanken.<lb/>
Es scheint also doch, daß es diesen Männern, deren einige freilich kaum ihren<lb/>
Namen zu unterschreiben gelernt haben, weder an Kopf noch an Herz fehle, was<lb/>
man von vielen &#x201E;hochgebildeten" und &#x201E;tiefgelehrten" Staatsmännern im Occident<lb/>
leider nicht sagen kann. Die weise Haltung der serbischen Regierung hielt im<lb/>
Jahre 18i8 eine Krise ab, die damals bei der allgemeinen Erregtheit der Geister<lb/>
leichter als jemals eintreten konnte, und befestigte die Ruhe ans eine lange Zeit<lb/>
hinaus. Dieses Verdienst ist gewiß nicht gering anzuschlagen, wenn man an die<lb/>
Zustände der Moldau und Walachei denkt und erwägt, was im gleichen Falle in<lb/>
Serbien hätte geschehen können. Man mag daher über die gegenwärtige serbi¬<lb/>
sche Regierung urtheilen, wie man will; das Verdienst darf man ihr nicht streitig<lb/>
machen, daß sie ihr Land vor fremden Uebergriffen sicher gestellt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650" next="#ID_651"> Als Repräsentant der serbischen Negierung gilt der Minister des Innern,<lb/>
Jlija Garaschanin, und da es vielleicht manchem Flachseufingischen &#x201E;Staats-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] es dem Westen nur einige Meilen näher, feiner und gebildeter sein, als das orientale Serbien. Lassen wir ihm die Freude! Militärische Puppenspiele kennt man in Belgrad nicht; an Festtagen halt das Militair eine Kirchenparade vor dein Fürsten, der bei solchen Gelegenheiten in Militairuniform erscheint, während er sonst gewöhnlich einen Polnischen Schnur¬ rock und das Fes am Kopfe trägt. Von obligatem Jubelgeschrei ist hier Nichts zu hören; schwerlich würde sich Jemand zum Olacjuour hergeben. Der Fürst grüßt, man dankt, bietet ihm respectvoll einen guten Morgen; man läßt ihn zuerst in die Kirche treten und Herausgehen; wenn er aber ins Theater kommt, ist es Brauch, daß Alle aufstehen, und erst, nachdem er Platz genommen, niedersten. Dies ist die ganze Hofetikette in Belgrad; von mehr will man Nichts hören. Das häusliche Leben der fürstlichen Familie ist bürgerlich einfach und in jeder Hinsicht musterhaft. Der Fürst speist mit seiner Familie und seiner nähern Umgebung ; Fremde, welche dem Fürsten Visite machen, werden ebenfalls zur Tafel gezogen. Natürlich gibt es hier keinen Hofmarschall, keinen Hosceremonienmeister, keinen Hofküchenmeister und keinen Mundschenk, — Alles ist wie in einem wohl¬ habenden Privathause eingerichtet. Nach Tische wird Kaffee und Tschibuk jedem Gaste gereicht, und nachdem die Fürstin und die Prinzessinnen sich zurückgezogen haben, häufig bis zum Abend ganz ungezwungen conversirt, gescherzt und gelacht. — Der Fürst führt die Regierung mit dem Ministerium und dem Staatsrathe (8vvH<z>.). Man machte sich auswärts häufig lustig über Minister und Staats¬ räthe, die kaum lesen und schreiben können; aber mit großem Unrechte. Man denke an die Stürme von 18i8; als in Nachbarländern von Serbien, in Ungarn und den Romanischen Fürstenthümern Aufruhr und Krieg wüthete, blieb Serbien von allen diesen Drangsalen verschont, und dies hat es hauptsächlich seinen als Ignoranten und Barbaren verschrienen Ministern und Staatsräthen zu verdanken. Es scheint also doch, daß es diesen Männern, deren einige freilich kaum ihren Namen zu unterschreiben gelernt haben, weder an Kopf noch an Herz fehle, was man von vielen „hochgebildeten" und „tiefgelehrten" Staatsmännern im Occident leider nicht sagen kann. Die weise Haltung der serbischen Regierung hielt im Jahre 18i8 eine Krise ab, die damals bei der allgemeinen Erregtheit der Geister leichter als jemals eintreten konnte, und befestigte die Ruhe ans eine lange Zeit hinaus. Dieses Verdienst ist gewiß nicht gering anzuschlagen, wenn man an die Zustände der Moldau und Walachei denkt und erwägt, was im gleichen Falle in Serbien hätte geschehen können. Man mag daher über die gegenwärtige serbi¬ sche Regierung urtheilen, wie man will; das Verdienst darf man ihr nicht streitig machen, daß sie ihr Land vor fremden Uebergriffen sicher gestellt hat. Als Repräsentant der serbischen Negierung gilt der Minister des Innern, Jlija Garaschanin, und da es vielleicht manchem Flachseufingischen „Staats-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/234>, abgerufen am 29.05.2024.