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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die er genießt, nicht popnlair. Es leuchtet dem Volke nicht ein, warum die Re¬
gierung die von der Pforte selbst dargebotene Gelegenheit, sich völlig souverain
zu machen, nicht benutzte und die scheinbare Abhängigkeit von der Pforte nicht
in völlige Unabhängigkeit verwandelte. Garaschcmin calculirte aber von seinem
Standpunkte gewiß richtig, wenn er jenen Schein fortbestehen ließ, wodurch er
manche Kollision vermied, die sonst unausweichlich gewesen wäre.

In letzter Zeit versuchte es Garaschcmin, die Verwaltung näher an die Per¬
son des Fürsten zu binden, um dadurch die Regierung mehr zu consolidiren. Es
wurde eine "fürstliche Kanzlei" errichtet, in welcher für die Justiz, die Admini¬
stration und das Militairwesen eigene Referenten angestellt wurden, wodurch der
Geschäftskreis der Ministerien bedeutend verengert wurde. Daher wurden im
Ministerium selbst schwere Bedenken dagegen erhoben, da die Maßregel der In¬
dividualität des Fürsten einen zu großen Spielraum gewährt, um nicht dem con-
stitutionellen Systeme, welches man doch ostensibel befolgen will, bedeutenden
Abbruch zu thun. Es konnte daher nicht fehlen, daß die Errichtung der fürst¬
lichen Kanzlei sehr ungünstig beurtheilt "ud von der Partei, die Garaschanin's
System niemals recht goutirte, nach.Erfordernis) ausgebeutet wurde. Die Ma߬
regel wurde vorzüglich dazu benutzt, die Nothwendigkeit der alsbaldigen Einbe¬
rufung der Nationalversammlung, Skupschtina, darzuthun und mit allen Kräften
zu betreiben. Die Regierung, welche der Skupschtina nicht ohne große Besorg¬
nisse entgegenzusehen scheint, will sich freilich dazu nicht verstehen, aber ich zweifle
nicht, daß sie nachgeben werde.

Uebrigens ist die serbische Regierung, wie es scheint, sehr zaghaft geworden
-- man spricht von der Verlegung der Regierung nach Kragujewaz, von der
Beurlaubung mehrer Minister, von einer längern Reise des Statsrathspräsidenten
Stojan Simitsch und dergleichen mehr, was sonst wenig Gewicht hätte, aber im
Augenblicke nicht ohne schwere Bedeutung ist. Wenn die Regierung auf solche
Weise ihre Schwäche zeigt, so räumt sie das Feld ihren Gegnern selbst ein.
Man wird sich zur Einberufung der Skupschtina endlich doch verstehen müssen,
und schon jetzt sind Aller Augen auf den Wojwvden Wntschitsch gerichtet, welcher
dadurch möglicher Weise Herr der Situativ" wird, daß sich, vielleicht ohne sein
Zuthun, alle oppositionellen Elemente um ihn herum zu lagern beginnen. Eine
kühne, gewaltige Natur wie Wutschitsch paßt zum Volke vortrefflich, und es wäre
sehr möglich, daß die Skupschtina thut was Wulschitsch will. Außer manchen
Fragen der innern Politik dürfte besonders das Verhältniß zur Pforte die
Achillesferse des Ministeriums werden, und ein Mißtrauensvotum, eine gar ernste
Sache in Serbien, würde nicht wie in Frankreich oder Deutschland enden, son¬
dern leichtmöglich das ganze Regierungögebau mit Mann und Mans im Schütte
begraben.

. Mau glaubt im Auslande vielfach, daß das Parteiwesen in Serbien ganz


die er genießt, nicht popnlair. Es leuchtet dem Volke nicht ein, warum die Re¬
gierung die von der Pforte selbst dargebotene Gelegenheit, sich völlig souverain
zu machen, nicht benutzte und die scheinbare Abhängigkeit von der Pforte nicht
in völlige Unabhängigkeit verwandelte. Garaschcmin calculirte aber von seinem
Standpunkte gewiß richtig, wenn er jenen Schein fortbestehen ließ, wodurch er
manche Kollision vermied, die sonst unausweichlich gewesen wäre.

In letzter Zeit versuchte es Garaschcmin, die Verwaltung näher an die Per¬
son des Fürsten zu binden, um dadurch die Regierung mehr zu consolidiren. Es
wurde eine „fürstliche Kanzlei" errichtet, in welcher für die Justiz, die Admini¬
stration und das Militairwesen eigene Referenten angestellt wurden, wodurch der
Geschäftskreis der Ministerien bedeutend verengert wurde. Daher wurden im
Ministerium selbst schwere Bedenken dagegen erhoben, da die Maßregel der In¬
dividualität des Fürsten einen zu großen Spielraum gewährt, um nicht dem con-
stitutionellen Systeme, welches man doch ostensibel befolgen will, bedeutenden
Abbruch zu thun. Es konnte daher nicht fehlen, daß die Errichtung der fürst¬
lichen Kanzlei sehr ungünstig beurtheilt »ud von der Partei, die Garaschanin's
System niemals recht goutirte, nach.Erfordernis) ausgebeutet wurde. Die Ma߬
regel wurde vorzüglich dazu benutzt, die Nothwendigkeit der alsbaldigen Einbe¬
rufung der Nationalversammlung, Skupschtina, darzuthun und mit allen Kräften
zu betreiben. Die Regierung, welche der Skupschtina nicht ohne große Besorg¬
nisse entgegenzusehen scheint, will sich freilich dazu nicht verstehen, aber ich zweifle
nicht, daß sie nachgeben werde.

Uebrigens ist die serbische Regierung, wie es scheint, sehr zaghaft geworden
— man spricht von der Verlegung der Regierung nach Kragujewaz, von der
Beurlaubung mehrer Minister, von einer längern Reise des Statsrathspräsidenten
Stojan Simitsch und dergleichen mehr, was sonst wenig Gewicht hätte, aber im
Augenblicke nicht ohne schwere Bedeutung ist. Wenn die Regierung auf solche
Weise ihre Schwäche zeigt, so räumt sie das Feld ihren Gegnern selbst ein.
Man wird sich zur Einberufung der Skupschtina endlich doch verstehen müssen,
und schon jetzt sind Aller Augen auf den Wojwvden Wntschitsch gerichtet, welcher
dadurch möglicher Weise Herr der Situativ» wird, daß sich, vielleicht ohne sein
Zuthun, alle oppositionellen Elemente um ihn herum zu lagern beginnen. Eine
kühne, gewaltige Natur wie Wutschitsch paßt zum Volke vortrefflich, und es wäre
sehr möglich, daß die Skupschtina thut was Wulschitsch will. Außer manchen
Fragen der innern Politik dürfte besonders das Verhältniß zur Pforte die
Achillesferse des Ministeriums werden, und ein Mißtrauensvotum, eine gar ernste
Sache in Serbien, würde nicht wie in Frankreich oder Deutschland enden, son¬
dern leichtmöglich das ganze Regierungögebau mit Mann und Mans im Schütte
begraben.

. Mau glaubt im Auslande vielfach, daß das Parteiwesen in Serbien ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/236>, abgerufen am 29.05.2024.