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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ungeordnet sei und daß blos dynastische Factionen daselbst bestehen. Dies ist
aber wie manches Andere mir halb wahr; es sind wirklich politische Parteien
da, und die dynastischen Verhältnisse haben dabei eine ganz secnndaire Rolle. Das
serbische Volk ist numerisch und durch seine geistige Kraft der bedeutendste und
wichtigste Stamm der Südslaven, und als solcher berechtigt, seinen Einfluß aus
die Bruderstämme auszubreiten und zur Geltung zu bringen. Diese Aufgabe
scheint die gegenwärtige serbische Regierung nicht gefaßt zu haben; wenigstens hat
sie nicht so gehandelt, wie sie bei richtiger Würdigung ihrer Stellung hätte han¬
deln können und sollen. Die Bulgarischen und Bohnischen Angelegenheiten waren
hinlänglich wichtig, um von Serbien berücksichtigt zu werden; sie hätten eine
andere Wendung genommen, wenn die serbische Regierung den Muth gehabt
hätte, das moralische Gewicht Serbiens in die Wagschale zu legen. Dies ist
aber nicht geschehen, und Serbiens Einfluß ist seit zwei Jahren immer mehr und
mehr gesunken. Begreiflichermaßen gefällt dies dem Volke uicht -- und da die
Persönlichkeit des Regenten hier keine staatsrechtliche Fiction ist, sondern eine
tiefe Bedeutung fürs Leben selbst hat, so ist es erklärlich, daß sich die Parteien
daran halten. Nicht um die Dynastien Obrenowitsch oder Karadschordschewitsch
handelt es sich dabei, sondern um die Person der Fürsten Alexander oder Michael,
als Repräsentanten zweier politischen Systeme, zweier Principien, deren Bedeu¬
tung aus dem Gesagten klar genug ersichtlich ist.

Die jüngere Generation, die "Pariser", parix-lM, wie sie von den Alten genannt
werden, weil viele derselben in Paris studirt hatten, findet die Freundschaft zur
Pforte für überflüssig, ja hinderlich, und hat hierin die Zustimmung des größern
Theils vom Volke. Von dieser Seite wünscht man, daß die Regierung Serbiens,
des einzigen freien Staates der Südslaven, um welchen sich nationale Elemente
zu gruppiren vermöchten, dem christlich-Slavischen Elemente das Wort rede und
an seiner progressiven Emancipation mitwirke. Die geographische Lage und die
nationalen und religiösen Verhältnisse machen dies zu einer Bedingung der eigenen
Existenz ; und da die Regierung dies übersieht, so wage ich es nicht zu bestimmen,
ob und auf wen sie sich nöthigen Falls verlassen konnte.

Soviel ist aber andrerseits gewiß, daß dieser Augenblick zu einer Aenderung
in den serbischen Zuständen wenig geeignet ist. Besonders bedenklich würden
sich in einem solchen Fälle die Bohnischen Verhältnisse gestalten müssen, -- die
Pforte müßte die Raja den Bohnischen Aristokraten preisgeben, "in ihre Kräfte
aus einem andern Pnnkte gebrauchen zu können. Auch Bulgarien hätte keine
Vortheile davon zu gewärtigen. Daher ist anzunehmen, daß diejenige Partei in
Serbien, welche eben in Opposition zur Regierung steht, tu richtiger Erkenntniß
dieser Verhältnisse, sich nicht übereilen und den precairen Vortheil des Augenblicks
nicht mit großem Nachtheile an der Zukunft erkaufen werde.




Grenzboten. I>, 1851.W

ungeordnet sei und daß blos dynastische Factionen daselbst bestehen. Dies ist
aber wie manches Andere mir halb wahr; es sind wirklich politische Parteien
da, und die dynastischen Verhältnisse haben dabei eine ganz secnndaire Rolle. Das
serbische Volk ist numerisch und durch seine geistige Kraft der bedeutendste und
wichtigste Stamm der Südslaven, und als solcher berechtigt, seinen Einfluß aus
die Bruderstämme auszubreiten und zur Geltung zu bringen. Diese Aufgabe
scheint die gegenwärtige serbische Regierung nicht gefaßt zu haben; wenigstens hat
sie nicht so gehandelt, wie sie bei richtiger Würdigung ihrer Stellung hätte han¬
deln können und sollen. Die Bulgarischen und Bohnischen Angelegenheiten waren
hinlänglich wichtig, um von Serbien berücksichtigt zu werden; sie hätten eine
andere Wendung genommen, wenn die serbische Regierung den Muth gehabt
hätte, das moralische Gewicht Serbiens in die Wagschale zu legen. Dies ist
aber nicht geschehen, und Serbiens Einfluß ist seit zwei Jahren immer mehr und
mehr gesunken. Begreiflichermaßen gefällt dies dem Volke uicht — und da die
Persönlichkeit des Regenten hier keine staatsrechtliche Fiction ist, sondern eine
tiefe Bedeutung fürs Leben selbst hat, so ist es erklärlich, daß sich die Parteien
daran halten. Nicht um die Dynastien Obrenowitsch oder Karadschordschewitsch
handelt es sich dabei, sondern um die Person der Fürsten Alexander oder Michael,
als Repräsentanten zweier politischen Systeme, zweier Principien, deren Bedeu¬
tung aus dem Gesagten klar genug ersichtlich ist.

Die jüngere Generation, die „Pariser", parix-lM, wie sie von den Alten genannt
werden, weil viele derselben in Paris studirt hatten, findet die Freundschaft zur
Pforte für überflüssig, ja hinderlich, und hat hierin die Zustimmung des größern
Theils vom Volke. Von dieser Seite wünscht man, daß die Regierung Serbiens,
des einzigen freien Staates der Südslaven, um welchen sich nationale Elemente
zu gruppiren vermöchten, dem christlich-Slavischen Elemente das Wort rede und
an seiner progressiven Emancipation mitwirke. Die geographische Lage und die
nationalen und religiösen Verhältnisse machen dies zu einer Bedingung der eigenen
Existenz ; und da die Regierung dies übersieht, so wage ich es nicht zu bestimmen,
ob und auf wen sie sich nöthigen Falls verlassen konnte.

Soviel ist aber andrerseits gewiß, daß dieser Augenblick zu einer Aenderung
in den serbischen Zuständen wenig geeignet ist. Besonders bedenklich würden
sich in einem solchen Fälle die Bohnischen Verhältnisse gestalten müssen, — die
Pforte müßte die Raja den Bohnischen Aristokraten preisgeben, »in ihre Kräfte
aus einem andern Pnnkte gebrauchen zu können. Auch Bulgarien hätte keine
Vortheile davon zu gewärtigen. Daher ist anzunehmen, daß diejenige Partei in
Serbien, welche eben in Opposition zur Regierung steht, tu richtiger Erkenntniß
dieser Verhältnisse, sich nicht übereilen und den precairen Vortheil des Augenblicks
nicht mit großem Nachtheile an der Zukunft erkaufen werde.




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[0237] ungeordnet sei und daß blos dynastische Factionen daselbst bestehen. Dies ist aber wie manches Andere mir halb wahr; es sind wirklich politische Parteien da, und die dynastischen Verhältnisse haben dabei eine ganz secnndaire Rolle. Das serbische Volk ist numerisch und durch seine geistige Kraft der bedeutendste und wichtigste Stamm der Südslaven, und als solcher berechtigt, seinen Einfluß aus die Bruderstämme auszubreiten und zur Geltung zu bringen. Diese Aufgabe scheint die gegenwärtige serbische Regierung nicht gefaßt zu haben; wenigstens hat sie nicht so gehandelt, wie sie bei richtiger Würdigung ihrer Stellung hätte han¬ deln können und sollen. Die Bulgarischen und Bohnischen Angelegenheiten waren hinlänglich wichtig, um von Serbien berücksichtigt zu werden; sie hätten eine andere Wendung genommen, wenn die serbische Regierung den Muth gehabt hätte, das moralische Gewicht Serbiens in die Wagschale zu legen. Dies ist aber nicht geschehen, und Serbiens Einfluß ist seit zwei Jahren immer mehr und mehr gesunken. Begreiflichermaßen gefällt dies dem Volke uicht — und da die Persönlichkeit des Regenten hier keine staatsrechtliche Fiction ist, sondern eine tiefe Bedeutung fürs Leben selbst hat, so ist es erklärlich, daß sich die Parteien daran halten. Nicht um die Dynastien Obrenowitsch oder Karadschordschewitsch handelt es sich dabei, sondern um die Person der Fürsten Alexander oder Michael, als Repräsentanten zweier politischen Systeme, zweier Principien, deren Bedeu¬ tung aus dem Gesagten klar genug ersichtlich ist. Die jüngere Generation, die „Pariser", parix-lM, wie sie von den Alten genannt werden, weil viele derselben in Paris studirt hatten, findet die Freundschaft zur Pforte für überflüssig, ja hinderlich, und hat hierin die Zustimmung des größern Theils vom Volke. Von dieser Seite wünscht man, daß die Regierung Serbiens, des einzigen freien Staates der Südslaven, um welchen sich nationale Elemente zu gruppiren vermöchten, dem christlich-Slavischen Elemente das Wort rede und an seiner progressiven Emancipation mitwirke. Die geographische Lage und die nationalen und religiösen Verhältnisse machen dies zu einer Bedingung der eigenen Existenz ; und da die Regierung dies übersieht, so wage ich es nicht zu bestimmen, ob und auf wen sie sich nöthigen Falls verlassen konnte. Soviel ist aber andrerseits gewiß, daß dieser Augenblick zu einer Aenderung in den serbischen Zuständen wenig geeignet ist. Besonders bedenklich würden sich in einem solchen Fälle die Bohnischen Verhältnisse gestalten müssen, — die Pforte müßte die Raja den Bohnischen Aristokraten preisgeben, »in ihre Kräfte aus einem andern Pnnkte gebrauchen zu können. Auch Bulgarien hätte keine Vortheile davon zu gewärtigen. Daher ist anzunehmen, daß diejenige Partei in Serbien, welche eben in Opposition zur Regierung steht, tu richtiger Erkenntniß dieser Verhältnisse, sich nicht übereilen und den precairen Vortheil des Augenblicks nicht mit großem Nachtheile an der Zukunft erkaufen werde. Grenzboten. I>, 1851.W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/237>, abgerufen am 15.05.2024.