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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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vorkommen, die königliche Dulderin plötzlich in tigcrartiger Wuth ans dem Theater
herumrasen und alle unsere Begriffe von Weiblichkeit mit Füßen treten zu sehen.
Ich bin auch weit entfernt, die Auffassung der Rachel in allen Punkten zu billigen.
Die gewöhnliche Manier ihrer Darstellung, zuerst in marmorner Ruhe den leiden¬
schaftlich bewegten Personen gegenüber zu figuriren Aud dann plötzlich mit aller
Gewalt ihrer dämonischen Natur loszubrechen, wird durch das Stück, in welchem
sie mir in einer Scene autonom auftritt, in alleu übrigen leidet, nur zu sehr be¬
günstigt. Allein unsere Schauspielerinnen könnten doch daraus Manches lernen.
Soll Maria Stuart wirklich eine dramatische Figur und sogar die Heldin der
Tragödie sein, so muß während des Stücks in ihrer Seele irgend eine Bewegung
vorgehen. Wenn sie schon in der ersten Scene wirklich mit der Welt abgeschlossen
und sich in ihr Schicksal ergeben hat, so hört sie auf, Gegenstand einer dramati¬
schen Entwickelung zu sein; sie ist dann blos ein leidendes Spiel der Ereignisse
Außerdem wird in diesem Fall der Gegensatz gegen die harten Charaktere, die
um eines bestimmten Zwecks willen ihr Leben bedrohen, zu grell. Die leiden¬
schaftliche Energie der Elisabeth, die in ihren Irrwegen mit dramatischer Meister¬
schaft gezeichnet ist, verlangt eine ebenbürtige Gegnerin. Es verdient das eine
genaue Besprechung..

Vergleichen wir zunächst die Bearbeitung von Pierre Lebrun (1820)
für das IkL-Urs I^-an^ais, so finden wir das Stück etwa auf die Hälfte zusam-
mengeschnitten, zum Theil aus der äußerlichen Rücksicht aus die Einheit des Orts
und der Zeit, die zu sehr ungeschickten Combinationen Veranlassung gibt, zum
Theil aber auch ans einer Art von dramatischem Motiv. In Schiller's Stück ist
die Königin Elisabeth die eigentlich dramatische Figur. Der innere Kampf ihrer
Leidenschaft und ihres Interesses mit den Rücksichten der Pflicht, welche ihre
Stellung ihr auferlegt, ist im Detail ausgeführt, und die Spannung concentrirt
sich zuletzt lediglich auf den Eindruck, welchen ihr zweideutiges Verfahren auf die
Mäuner machen muß, denen sie Achtung abnöthigen möchte. Es ist daher ganz
folgerichtig, wenn das Stück nicht mit dem Tode der Maria schließt, sondern in
der letzten Scene den Bruch darstellt, in welchen die Königin durch Verletzung
ihres Gewissens trotz aller Schlauheit, die sie anwendet, um sie zu beschönigen,
mit dem sittlichen Kreise, in dem sie lebt, verfallen muß. Ohne diesen Umstand
hätte der letzte Act gar nichts Dramatisches mehr, denn es wäre keine^Spannung
darin vorhanden; am Schlüsse des vierten Actes wäre Alles angeordnet und
abgemacht, und es bliebe nur noch die mechanische Ausführung übrig. Da nun
Lebrun um der Einheit der Handlung willen die Königin von England in Schatten
stellt, da er in Folge dessen alle die Scenen ausläßt, in welchen nicht wesentlich
von dem Schicksal Mariens die Rede ist, also die Debatten des Staatsraths,
die Versuchung Mortimer's u. s. w., da er auch das katholische Gepränge, in
welchem Maria sich mit ihrem Schöpfer versöhnt, bei Seite wirft, so muß er


vorkommen, die königliche Dulderin plötzlich in tigcrartiger Wuth ans dem Theater
herumrasen und alle unsere Begriffe von Weiblichkeit mit Füßen treten zu sehen.
Ich bin auch weit entfernt, die Auffassung der Rachel in allen Punkten zu billigen.
Die gewöhnliche Manier ihrer Darstellung, zuerst in marmorner Ruhe den leiden¬
schaftlich bewegten Personen gegenüber zu figuriren Aud dann plötzlich mit aller
Gewalt ihrer dämonischen Natur loszubrechen, wird durch das Stück, in welchem
sie mir in einer Scene autonom auftritt, in alleu übrigen leidet, nur zu sehr be¬
günstigt. Allein unsere Schauspielerinnen könnten doch daraus Manches lernen.
Soll Maria Stuart wirklich eine dramatische Figur und sogar die Heldin der
Tragödie sein, so muß während des Stücks in ihrer Seele irgend eine Bewegung
vorgehen. Wenn sie schon in der ersten Scene wirklich mit der Welt abgeschlossen
und sich in ihr Schicksal ergeben hat, so hört sie auf, Gegenstand einer dramati¬
schen Entwickelung zu sein; sie ist dann blos ein leidendes Spiel der Ereignisse
Außerdem wird in diesem Fall der Gegensatz gegen die harten Charaktere, die
um eines bestimmten Zwecks willen ihr Leben bedrohen, zu grell. Die leiden¬
schaftliche Energie der Elisabeth, die in ihren Irrwegen mit dramatischer Meister¬
schaft gezeichnet ist, verlangt eine ebenbürtige Gegnerin. Es verdient das eine
genaue Besprechung..

Vergleichen wir zunächst die Bearbeitung von Pierre Lebrun (1820)
für das IkL-Urs I^-an^ais, so finden wir das Stück etwa auf die Hälfte zusam-
mengeschnitten, zum Theil aus der äußerlichen Rücksicht aus die Einheit des Orts
und der Zeit, die zu sehr ungeschickten Combinationen Veranlassung gibt, zum
Theil aber auch ans einer Art von dramatischem Motiv. In Schiller's Stück ist
die Königin Elisabeth die eigentlich dramatische Figur. Der innere Kampf ihrer
Leidenschaft und ihres Interesses mit den Rücksichten der Pflicht, welche ihre
Stellung ihr auferlegt, ist im Detail ausgeführt, und die Spannung concentrirt
sich zuletzt lediglich auf den Eindruck, welchen ihr zweideutiges Verfahren auf die
Mäuner machen muß, denen sie Achtung abnöthigen möchte. Es ist daher ganz
folgerichtig, wenn das Stück nicht mit dem Tode der Maria schließt, sondern in
der letzten Scene den Bruch darstellt, in welchen die Königin durch Verletzung
ihres Gewissens trotz aller Schlauheit, die sie anwendet, um sie zu beschönigen,
mit dem sittlichen Kreise, in dem sie lebt, verfallen muß. Ohne diesen Umstand
hätte der letzte Act gar nichts Dramatisches mehr, denn es wäre keine^Spannung
darin vorhanden; am Schlüsse des vierten Actes wäre Alles angeordnet und
abgemacht, und es bliebe nur noch die mechanische Ausführung übrig. Da nun
Lebrun um der Einheit der Handlung willen die Königin von England in Schatten
stellt, da er in Folge dessen alle die Scenen ausläßt, in welchen nicht wesentlich
von dem Schicksal Mariens die Rede ist, also die Debatten des Staatsraths,
die Versuchung Mortimer's u. s. w., da er auch das katholische Gepränge, in
welchem Maria sich mit ihrem Schöpfer versöhnt, bei Seite wirft, so muß er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/24>, abgerufen am 14.05.2024.