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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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bei Bruno Bauer; dieser fing mit der abstrakten Doctrin an und blickte erst
dann von der einsamen Warte seines Dogmatismus nachlässig ans das Gewühl
der Menschen herunter; Herr Rogge dagegen ging von der Anschauung des Ein¬
zelnen aus, er war zuerst unbefangener Tourist, der die Lächerlichkeiten und
Widersprüche des parlamentarischen Wesens mit großem Behagen aufzufassen suchte,
und sich erst baun ans dem Gefühl eines innern Mangels dem Dogmatismus
der Schule unterwarf. Dieser Dogmatismus geht nicht von dem Meister selbst,
sondern von dessen jüngern Freunden aus, den Stirner, Buhl, Faucher n. s. w.,
die sich mit den Freihändlern associirt haben, und die Freiheit des Menschen in
dem Aufhören aller allgemein verbindlichen Bande, namentlich in dem Aufhören
des Staats und des Rechts suchen. Das scheint nnn ein recht tüchtiger und ein
recht extremer Standpunkt zu sein; er ist aber so lange eine leere Negation, als
man sich nicht ein genaues Bild von der neuen Ordnung der Dinge, die sich
von unter auf entwickeln soll, gemacht, und zu gleicher Zeit den Weg, der dahin
führen soll, angegeben hat. Bis jetzt sind diejenigen Unternehmungen, ans welche
die absoluten Freihändler alle menschliche Thätigkeit reduciren wollen, die Asso¬
ciationen für Eisenbahnen, Handelsunternehmungen u. tgi,, ,die Selbstverwaltung
der kleinen Gemeinden n.s. w., nur dadurch möglich geworden, daß sie auf dem allge¬
meinen Fundament deö Rechtsstaats basirten, daß der Contrahent gegen einen
willkürlichen Rechtsbruch der Andern durch die Garantie, welche der Staat seinem
Vertrag gab, geschützt wurde. Wie ohne diese Garantie irgend ein Vertrag
oder irgend ein Credit zu Stande kommen soll, das zu beantworten, hat die
Schule noch nicht der Mühe werth gesunden; sie ist also für das wirkliche Urtheil
wenigstens vorläufig unfruchtbar. Dagegen gibt sie eine Masse liebenswürdiger
Kategorien an die Hand, die man mit den alten Bruno Bauer'schen verbinden
und zur Heiterkeit und Erbauung der Gläubigen verwerthen kann. So operirt
Herr Rogge namentlich mit den Kategorien "Staatsmann" und "Nechtsnarr",
die etwas Aehnliches ausdrücken sollen, als bei Bauer der Lichtfreund und der
Bürger.

Diese Kategorien spuken in den Portraits, die Herr Rogge von den
Persönlichkeiten der beiden Hauptparteien im Preußischen Staate gibt, ans eine
höchst unbequeme Weise herum. Jede seiner Personen repräsentirt ihm einen
Moment seiner selbstgebildeten Stufenleiter vom unpolitischen Spießbürger;
er beschränkt sich daraus, die einzelne Eigenschaft, die er bei seinem Gegenstand
zuweilen ganz glücklich herausfindet, nach allen Seiten hin auszubeuten"), und



") Daß er eS besser machen kann, zeige" einzelne Charakteristiken, z, B. die von
Kirchmann und Uhiich; dnrch das Aufsuche" der positive" Momente in ihnen kommt Fleisch
und Blut hinein, "ut es ist nicht blos eine Caricatur ä I" I>unc-U, wo eine große Nase auf
"" Paar kleine Beinchen gesetzt wird, die wol an die vortrailirte Figur erinnern, aber
sie nicht wiedergeben.
Grenzbote". II. I8öl,

bei Bruno Bauer; dieser fing mit der abstrakten Doctrin an und blickte erst
dann von der einsamen Warte seines Dogmatismus nachlässig ans das Gewühl
der Menschen herunter; Herr Rogge dagegen ging von der Anschauung des Ein¬
zelnen aus, er war zuerst unbefangener Tourist, der die Lächerlichkeiten und
Widersprüche des parlamentarischen Wesens mit großem Behagen aufzufassen suchte,
und sich erst baun ans dem Gefühl eines innern Mangels dem Dogmatismus
der Schule unterwarf. Dieser Dogmatismus geht nicht von dem Meister selbst,
sondern von dessen jüngern Freunden aus, den Stirner, Buhl, Faucher n. s. w.,
die sich mit den Freihändlern associirt haben, und die Freiheit des Menschen in
dem Aufhören aller allgemein verbindlichen Bande, namentlich in dem Aufhören
des Staats und des Rechts suchen. Das scheint nnn ein recht tüchtiger und ein
recht extremer Standpunkt zu sein; er ist aber so lange eine leere Negation, als
man sich nicht ein genaues Bild von der neuen Ordnung der Dinge, die sich
von unter auf entwickeln soll, gemacht, und zu gleicher Zeit den Weg, der dahin
führen soll, angegeben hat. Bis jetzt sind diejenigen Unternehmungen, ans welche
die absoluten Freihändler alle menschliche Thätigkeit reduciren wollen, die Asso¬
ciationen für Eisenbahnen, Handelsunternehmungen u. tgi,, ,die Selbstverwaltung
der kleinen Gemeinden n.s. w., nur dadurch möglich geworden, daß sie auf dem allge¬
meinen Fundament deö Rechtsstaats basirten, daß der Contrahent gegen einen
willkürlichen Rechtsbruch der Andern durch die Garantie, welche der Staat seinem
Vertrag gab, geschützt wurde. Wie ohne diese Garantie irgend ein Vertrag
oder irgend ein Credit zu Stande kommen soll, das zu beantworten, hat die
Schule noch nicht der Mühe werth gesunden; sie ist also für das wirkliche Urtheil
wenigstens vorläufig unfruchtbar. Dagegen gibt sie eine Masse liebenswürdiger
Kategorien an die Hand, die man mit den alten Bruno Bauer'schen verbinden
und zur Heiterkeit und Erbauung der Gläubigen verwerthen kann. So operirt
Herr Rogge namentlich mit den Kategorien „Staatsmann" und „Nechtsnarr",
die etwas Aehnliches ausdrücken sollen, als bei Bauer der Lichtfreund und der
Bürger.

Diese Kategorien spuken in den Portraits, die Herr Rogge von den
Persönlichkeiten der beiden Hauptparteien im Preußischen Staate gibt, ans eine
höchst unbequeme Weise herum. Jede seiner Personen repräsentirt ihm einen
Moment seiner selbstgebildeten Stufenleiter vom unpolitischen Spießbürger;
er beschränkt sich daraus, die einzelne Eigenschaft, die er bei seinem Gegenstand
zuweilen ganz glücklich herausfindet, nach allen Seiten hin auszubeuten"), und



") Daß er eS besser machen kann, zeige» einzelne Charakteristiken, z, B. die von
Kirchmann und Uhiich; dnrch das Aufsuche» der positive» Momente in ihnen kommt Fleisch
und Blut hinein, »ut es ist nicht blos eine Caricatur ä I» I>unc-U, wo eine große Nase auf
"» Paar kleine Beinchen gesetzt wird, die wol an die vortrailirte Figur erinnern, aber
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[0261] bei Bruno Bauer; dieser fing mit der abstrakten Doctrin an und blickte erst dann von der einsamen Warte seines Dogmatismus nachlässig ans das Gewühl der Menschen herunter; Herr Rogge dagegen ging von der Anschauung des Ein¬ zelnen aus, er war zuerst unbefangener Tourist, der die Lächerlichkeiten und Widersprüche des parlamentarischen Wesens mit großem Behagen aufzufassen suchte, und sich erst baun ans dem Gefühl eines innern Mangels dem Dogmatismus der Schule unterwarf. Dieser Dogmatismus geht nicht von dem Meister selbst, sondern von dessen jüngern Freunden aus, den Stirner, Buhl, Faucher n. s. w., die sich mit den Freihändlern associirt haben, und die Freiheit des Menschen in dem Aufhören aller allgemein verbindlichen Bande, namentlich in dem Aufhören des Staats und des Rechts suchen. Das scheint nnn ein recht tüchtiger und ein recht extremer Standpunkt zu sein; er ist aber so lange eine leere Negation, als man sich nicht ein genaues Bild von der neuen Ordnung der Dinge, die sich von unter auf entwickeln soll, gemacht, und zu gleicher Zeit den Weg, der dahin führen soll, angegeben hat. Bis jetzt sind diejenigen Unternehmungen, ans welche die absoluten Freihändler alle menschliche Thätigkeit reduciren wollen, die Asso¬ ciationen für Eisenbahnen, Handelsunternehmungen u. tgi,, ,die Selbstverwaltung der kleinen Gemeinden n.s. w., nur dadurch möglich geworden, daß sie auf dem allge¬ meinen Fundament deö Rechtsstaats basirten, daß der Contrahent gegen einen willkürlichen Rechtsbruch der Andern durch die Garantie, welche der Staat seinem Vertrag gab, geschützt wurde. Wie ohne diese Garantie irgend ein Vertrag oder irgend ein Credit zu Stande kommen soll, das zu beantworten, hat die Schule noch nicht der Mühe werth gesunden; sie ist also für das wirkliche Urtheil wenigstens vorläufig unfruchtbar. Dagegen gibt sie eine Masse liebenswürdiger Kategorien an die Hand, die man mit den alten Bruno Bauer'schen verbinden und zur Heiterkeit und Erbauung der Gläubigen verwerthen kann. So operirt Herr Rogge namentlich mit den Kategorien „Staatsmann" und „Nechtsnarr", die etwas Aehnliches ausdrücken sollen, als bei Bauer der Lichtfreund und der Bürger. Diese Kategorien spuken in den Portraits, die Herr Rogge von den Persönlichkeiten der beiden Hauptparteien im Preußischen Staate gibt, ans eine höchst unbequeme Weise herum. Jede seiner Personen repräsentirt ihm einen Moment seiner selbstgebildeten Stufenleiter vom unpolitischen Spießbürger; er beschränkt sich daraus, die einzelne Eigenschaft, die er bei seinem Gegenstand zuweilen ganz glücklich herausfindet, nach allen Seiten hin auszubeuten"), und ") Daß er eS besser machen kann, zeige» einzelne Charakteristiken, z, B. die von Kirchmann und Uhiich; dnrch das Aufsuche» der positive» Momente in ihnen kommt Fleisch und Blut hinein, »ut es ist nicht blos eine Caricatur ä I» I>unc-U, wo eine große Nase auf "» Paar kleine Beinchen gesetzt wird, die wol an die vortrailirte Figur erinnern, aber sie nicht wiedergeben. Grenzbote». II. I8öl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/261>, abgerufen am 31.05.2024.