Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

legt sich gar nicht die Frage vor, ob derselbe nicht noch andere Eigenschaften
habe, und ob es für eine Partei nicht vortheilhaft sei, wenn jedes ihrer Mitglie¬
der eine bestimmte Eigenschaft, die Vortheil bringt, ausgebildet hat. Es ist z. B.
kein großes Unglück für die constitutionelle Partei, wenn sie Einen hat, der gut
repräsentirt, wie Simson, Einen, der die Theorien aufstellt, wie Dahlmann,
Einen, der als unermüdlicher Tirailleur auf dem Kampfplatz sich bewegt, wie
Mücke u. s. w. Daß sich nicht alle diese Eigenschaften in einer Person verei¬
nigen, ist zwar ein Unglück, das aber von endlichen Dingen nicht zu trennen ist.
Durch diese Erwägung verliert sein Witz den größten Theil seiner Schärfe.

Das Buch hat eigentlich anch nicht den Zweck, zu belehren. Die Gra¬
vität des nihilistischen Dogmatikers tritt nur von Zeit zu Zeit hervor, um dem
Ragout der übrigen Schilderung noch ein recht pikantes Gewürz hinzuzufügen.
Eigentlich siud es bloße Feuilletonartikel, die aber, weil sie wenigstens amüsant
siud, als persönlicher Klatsch zu den unbestimmten phänomenologischen Nebelbildern
Bruno Bauers die wesentliche Ergänzung bilden.

Herr Rogge hat einen großen Vorzug vor Bruno Bauer; er versteht
wirklich zu sehen, sogar recht scharf zu sehe", und die Fülle seiner Anschauung
drängt sich oft genug über das Schneckenhaus seiner nihilistischen Dogmen hinaus.
Wenn er mit der ziemlich reichen Belesenheit und seinem Talent für concrete An¬
schauungen eine gewissenhafte Kritik -- die ihm jetzt so vollständig abgeht, daß er
ausgemachte Lügen, leeren Klatsch und wirkliche Geschichte bunt durch einander
wirft -- und jenes ernste Interesse verbände, das ohne persönliche Betheiligung an
dem allgemeinen Streben nicht denkbar ist, wenn er seinen Witz durch Geschmack
und Anstand läuterte, und wenn er mit seinen touristische" Studien ein gründ¬
liches Studium der Staatswissenschaften, mit denen er bisher nur auf eine höchst
bequeme Weise coquettirt, verbände, so könnte er ein guter Geschichtschreiber
werde". So lange ihm aber der Witz eines gute" Einfalls über die Wahrheit
und das Pikante einer Combination über Sinn und Zusammenhang geht, kann
er wol für den Augenblick reizen, aber kein dauerndes Interesse erregen.

Er schwebt dabei uoch in eiuer größern Gefahr. Die Schule der Sophistik,
deren Wesen darin besteht, durch Mikroskopie und durch Vielseitigkeit der Ge¬
sichtspunkte die Einheit und Totalität des Blicks zu verwirre", erstreckt sich
namentlich aus den Charakter. Eine harte oder eine noble Natur wird dadurch
uicht verkehrt. Bruno Bauer z. B. kann durch seine sophistischen Irrwege auf
die allerverdrehtesteu Gedanken gebracht werden, er kaun möglicher Weise einmal
zu der Ansicht gelangen, daß die Kreuzzeitung oder daß Fürst Schwarzenberg
allein in Deutschland das Richtige getroffen hat, er wird aber nie auf den Ein¬
fall kommen, bei der Kreuzzeitung oder bei Mrst Schwarzenberg in Dienst zu
treten. Weiche, bestimmbare Naturen dagegen, wie z. B. Herr v. Florencourt,
und wie auch Herr Rogge eine zu sein scheint, haben alle Ursache, auf ihrer Hut


legt sich gar nicht die Frage vor, ob derselbe nicht noch andere Eigenschaften
habe, und ob es für eine Partei nicht vortheilhaft sei, wenn jedes ihrer Mitglie¬
der eine bestimmte Eigenschaft, die Vortheil bringt, ausgebildet hat. Es ist z. B.
kein großes Unglück für die constitutionelle Partei, wenn sie Einen hat, der gut
repräsentirt, wie Simson, Einen, der die Theorien aufstellt, wie Dahlmann,
Einen, der als unermüdlicher Tirailleur auf dem Kampfplatz sich bewegt, wie
Mücke u. s. w. Daß sich nicht alle diese Eigenschaften in einer Person verei¬
nigen, ist zwar ein Unglück, das aber von endlichen Dingen nicht zu trennen ist.
Durch diese Erwägung verliert sein Witz den größten Theil seiner Schärfe.

Das Buch hat eigentlich anch nicht den Zweck, zu belehren. Die Gra¬
vität des nihilistischen Dogmatikers tritt nur von Zeit zu Zeit hervor, um dem
Ragout der übrigen Schilderung noch ein recht pikantes Gewürz hinzuzufügen.
Eigentlich siud es bloße Feuilletonartikel, die aber, weil sie wenigstens amüsant
siud, als persönlicher Klatsch zu den unbestimmten phänomenologischen Nebelbildern
Bruno Bauers die wesentliche Ergänzung bilden.

Herr Rogge hat einen großen Vorzug vor Bruno Bauer; er versteht
wirklich zu sehen, sogar recht scharf zu sehe», und die Fülle seiner Anschauung
drängt sich oft genug über das Schneckenhaus seiner nihilistischen Dogmen hinaus.
Wenn er mit der ziemlich reichen Belesenheit und seinem Talent für concrete An¬
schauungen eine gewissenhafte Kritik — die ihm jetzt so vollständig abgeht, daß er
ausgemachte Lügen, leeren Klatsch und wirkliche Geschichte bunt durch einander
wirft — und jenes ernste Interesse verbände, das ohne persönliche Betheiligung an
dem allgemeinen Streben nicht denkbar ist, wenn er seinen Witz durch Geschmack
und Anstand läuterte, und wenn er mit seinen touristische» Studien ein gründ¬
liches Studium der Staatswissenschaften, mit denen er bisher nur auf eine höchst
bequeme Weise coquettirt, verbände, so könnte er ein guter Geschichtschreiber
werde». So lange ihm aber der Witz eines gute» Einfalls über die Wahrheit
und das Pikante einer Combination über Sinn und Zusammenhang geht, kann
er wol für den Augenblick reizen, aber kein dauerndes Interesse erregen.

Er schwebt dabei uoch in eiuer größern Gefahr. Die Schule der Sophistik,
deren Wesen darin besteht, durch Mikroskopie und durch Vielseitigkeit der Ge¬
sichtspunkte die Einheit und Totalität des Blicks zu verwirre», erstreckt sich
namentlich aus den Charakter. Eine harte oder eine noble Natur wird dadurch
uicht verkehrt. Bruno Bauer z. B. kann durch seine sophistischen Irrwege auf
die allerverdrehtesteu Gedanken gebracht werden, er kaun möglicher Weise einmal
zu der Ansicht gelangen, daß die Kreuzzeitung oder daß Fürst Schwarzenberg
allein in Deutschland das Richtige getroffen hat, er wird aber nie auf den Ein¬
fall kommen, bei der Kreuzzeitung oder bei Mrst Schwarzenberg in Dienst zu
treten. Weiche, bestimmbare Naturen dagegen, wie z. B. Herr v. Florencourt,
und wie auch Herr Rogge eine zu sein scheint, haben alle Ursache, auf ihrer Hut


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91455"/>
          <p xml:id="ID_729" prev="#ID_728"> legt sich gar nicht die Frage vor, ob derselbe nicht noch andere Eigenschaften<lb/>
habe, und ob es für eine Partei nicht vortheilhaft sei, wenn jedes ihrer Mitglie¬<lb/>
der eine bestimmte Eigenschaft, die Vortheil bringt, ausgebildet hat. Es ist z. B.<lb/>
kein großes Unglück für die constitutionelle Partei, wenn sie Einen hat, der gut<lb/>
repräsentirt, wie Simson, Einen, der die Theorien aufstellt, wie Dahlmann,<lb/>
Einen, der als unermüdlicher Tirailleur auf dem Kampfplatz sich bewegt, wie<lb/>
Mücke u. s. w. Daß sich nicht alle diese Eigenschaften in einer Person verei¬<lb/>
nigen, ist zwar ein Unglück, das aber von endlichen Dingen nicht zu trennen ist.<lb/>
Durch diese Erwägung verliert sein Witz den größten Theil seiner Schärfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_730"> Das Buch hat eigentlich anch nicht den Zweck, zu belehren. Die Gra¬<lb/>
vität des nihilistischen Dogmatikers tritt nur von Zeit zu Zeit hervor, um dem<lb/>
Ragout der übrigen Schilderung noch ein recht pikantes Gewürz hinzuzufügen.<lb/>
Eigentlich siud es bloße Feuilletonartikel, die aber, weil sie wenigstens amüsant<lb/>
siud, als persönlicher Klatsch zu den unbestimmten phänomenologischen Nebelbildern<lb/>
Bruno Bauers die wesentliche Ergänzung bilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_731"> Herr Rogge hat einen großen Vorzug vor Bruno Bauer; er versteht<lb/>
wirklich zu sehen, sogar recht scharf zu sehe», und die Fülle seiner Anschauung<lb/>
drängt sich oft genug über das Schneckenhaus seiner nihilistischen Dogmen hinaus.<lb/>
Wenn er mit der ziemlich reichen Belesenheit und seinem Talent für concrete An¬<lb/>
schauungen eine gewissenhafte Kritik &#x2014; die ihm jetzt so vollständig abgeht, daß er<lb/>
ausgemachte Lügen, leeren Klatsch und wirkliche Geschichte bunt durch einander<lb/>
wirft &#x2014; und jenes ernste Interesse verbände, das ohne persönliche Betheiligung an<lb/>
dem allgemeinen Streben nicht denkbar ist, wenn er seinen Witz durch Geschmack<lb/>
und Anstand läuterte, und wenn er mit seinen touristische» Studien ein gründ¬<lb/>
liches Studium der Staatswissenschaften, mit denen er bisher nur auf eine höchst<lb/>
bequeme Weise coquettirt, verbände, so könnte er ein guter Geschichtschreiber<lb/>
werde». So lange ihm aber der Witz eines gute» Einfalls über die Wahrheit<lb/>
und das Pikante einer Combination über Sinn und Zusammenhang geht, kann<lb/>
er wol für den Augenblick reizen, aber kein dauerndes Interesse erregen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_732" next="#ID_733"> Er schwebt dabei uoch in eiuer größern Gefahr. Die Schule der Sophistik,<lb/>
deren Wesen darin besteht, durch Mikroskopie und durch Vielseitigkeit der Ge¬<lb/>
sichtspunkte die Einheit und Totalität des Blicks zu verwirre», erstreckt sich<lb/>
namentlich aus den Charakter. Eine harte oder eine noble Natur wird dadurch<lb/>
uicht verkehrt. Bruno Bauer z. B. kann durch seine sophistischen Irrwege auf<lb/>
die allerverdrehtesteu Gedanken gebracht werden, er kaun möglicher Weise einmal<lb/>
zu der Ansicht gelangen, daß die Kreuzzeitung oder daß Fürst Schwarzenberg<lb/>
allein in Deutschland das Richtige getroffen hat, er wird aber nie auf den Ein¬<lb/>
fall kommen, bei der Kreuzzeitung oder bei Mrst Schwarzenberg in Dienst zu<lb/>
treten. Weiche, bestimmbare Naturen dagegen, wie z. B. Herr v. Florencourt,<lb/>
und wie auch Herr Rogge eine zu sein scheint, haben alle Ursache, auf ihrer Hut</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] legt sich gar nicht die Frage vor, ob derselbe nicht noch andere Eigenschaften habe, und ob es für eine Partei nicht vortheilhaft sei, wenn jedes ihrer Mitglie¬ der eine bestimmte Eigenschaft, die Vortheil bringt, ausgebildet hat. Es ist z. B. kein großes Unglück für die constitutionelle Partei, wenn sie Einen hat, der gut repräsentirt, wie Simson, Einen, der die Theorien aufstellt, wie Dahlmann, Einen, der als unermüdlicher Tirailleur auf dem Kampfplatz sich bewegt, wie Mücke u. s. w. Daß sich nicht alle diese Eigenschaften in einer Person verei¬ nigen, ist zwar ein Unglück, das aber von endlichen Dingen nicht zu trennen ist. Durch diese Erwägung verliert sein Witz den größten Theil seiner Schärfe. Das Buch hat eigentlich anch nicht den Zweck, zu belehren. Die Gra¬ vität des nihilistischen Dogmatikers tritt nur von Zeit zu Zeit hervor, um dem Ragout der übrigen Schilderung noch ein recht pikantes Gewürz hinzuzufügen. Eigentlich siud es bloße Feuilletonartikel, die aber, weil sie wenigstens amüsant siud, als persönlicher Klatsch zu den unbestimmten phänomenologischen Nebelbildern Bruno Bauers die wesentliche Ergänzung bilden. Herr Rogge hat einen großen Vorzug vor Bruno Bauer; er versteht wirklich zu sehen, sogar recht scharf zu sehe», und die Fülle seiner Anschauung drängt sich oft genug über das Schneckenhaus seiner nihilistischen Dogmen hinaus. Wenn er mit der ziemlich reichen Belesenheit und seinem Talent für concrete An¬ schauungen eine gewissenhafte Kritik — die ihm jetzt so vollständig abgeht, daß er ausgemachte Lügen, leeren Klatsch und wirkliche Geschichte bunt durch einander wirft — und jenes ernste Interesse verbände, das ohne persönliche Betheiligung an dem allgemeinen Streben nicht denkbar ist, wenn er seinen Witz durch Geschmack und Anstand läuterte, und wenn er mit seinen touristische» Studien ein gründ¬ liches Studium der Staatswissenschaften, mit denen er bisher nur auf eine höchst bequeme Weise coquettirt, verbände, so könnte er ein guter Geschichtschreiber werde». So lange ihm aber der Witz eines gute» Einfalls über die Wahrheit und das Pikante einer Combination über Sinn und Zusammenhang geht, kann er wol für den Augenblick reizen, aber kein dauerndes Interesse erregen. Er schwebt dabei uoch in eiuer größern Gefahr. Die Schule der Sophistik, deren Wesen darin besteht, durch Mikroskopie und durch Vielseitigkeit der Ge¬ sichtspunkte die Einheit und Totalität des Blicks zu verwirre», erstreckt sich namentlich aus den Charakter. Eine harte oder eine noble Natur wird dadurch uicht verkehrt. Bruno Bauer z. B. kann durch seine sophistischen Irrwege auf die allerverdrehtesteu Gedanken gebracht werden, er kaun möglicher Weise einmal zu der Ansicht gelangen, daß die Kreuzzeitung oder daß Fürst Schwarzenberg allein in Deutschland das Richtige getroffen hat, er wird aber nie auf den Ein¬ fall kommen, bei der Kreuzzeitung oder bei Mrst Schwarzenberg in Dienst zu treten. Weiche, bestimmbare Naturen dagegen, wie z. B. Herr v. Florencourt, und wie auch Herr Rogge eine zu sein scheint, haben alle Ursache, auf ihrer Hut

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/262>, abgerufen am 15.05.2024.