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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Dieses unglückliche Verhältniß dauert seit Jahrhunderten in gleicher Weise fort;
was uicht von Stambul ans befohlen wurde, thaten die Paschas und Veziere
ans eigenem Antriebe, und da sich das Volk an den stets ganz gleichmäßigen
Druck gewohnte, fing es an zu glauben, daß es so sein müsse und blieb stets
tre" und gehorsam.

Der Befreiungskampf der Serbe" unter Karadschordsche machte auf Bulga¬
rien keinen nachhaltigen Eindruck; erst später uuter Milosch's Regierung began¬
nen die Leute zu deuten, daß es ihnen schlecht gehe und daß es besser wäre,
wenn man es anch so machte wie die Serben. Aber das Volk meinte, es sei
besser, das bekannte Uebel zu ertragen, als ein unbekanntes Gut zu suchen und
im ungünstigen Falle in noch größeres Uebel zu Verfallen; -- jene Stimmen blie¬
ben vereinzelt und an eine Bewegung war nicht zu denken. Intelligentere Leute
verfielen nun auf eine andere Taktik. Es wurde" Schulen gegründet; die Geist¬
lichen nahmen sich derselbe" an und es kam in wenigen Jahrep ohne alle weitere
Unterstützung dahin, daß in den Städte" und bei Klöster" christliche Schu¬
len im Gange waren. Dadurch wurde eine langsame aber tiefe Bewegung im
Volke hervorgerufen, und man muß es dem Bulgarischen (Griechisch-slawischen)
Klerus nachrühmen, daß er seine Aufgabe mit Ernst erfaßte und mit größter
Ausdauer verfolgte.

Als im letzte" Russisch-Türkischen Kriege die Russen durch Bulgarien zogen,
war ein politisches Interesse beim Volke wenigstens so weit rege geworden, daß
dasselbe insgeheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erbo¬
ten, als Freiwillige mit Diebitsch's Armee gegen die Türken zu ziehen -- was
natürlich aus guten Gründen abgelehnt wurde, ebenso wie die Anträge von
einer in: Rücken der Türken anzuzettelnden Revolution in Bulgarien. So blieb
Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der dreißiger Jahre; in
diesem Zeitraume bemerkte man auch in Bulgarien eine sonderbar geartete Gäh-
rung, über welche man selbst in dem benachbarten Serbien nicht ins Klare kam,
und welche sich von selbst wieder legte, ohne, wie es scheint, daß selbst die Tür¬
ken im Lande Etwas davon erfahren hatten. Dagegen aber wuchs die Unzufrie¬
denheit der Bulgaren alljährlich, seit die fuit-üls-mi Reformen der Türkischen
Negierung von der Thronbesteigung Abd-ni-Medschids immer größern Aufwand
und folgerecht immer größer" Druck auf die Raja mit sich brachten. Endlich im
Jahre 1850 kam es damit so weit, daß die ruhigen friedlichen Bulgaren in der
Widdiner Nahija zu de" Waffe" griffe" und eine allgemeine Bewegung des gan¬
zen Bulgarischen Volksstammes in Aussicht stand.

Man besorgte in Serbien, und wol mit Recht, daß der Aufstand eines
naturursprüuglich friedlichen und im Waffeuführeu ungeübten Volkes um so we¬
niger ein gutes Ende nehmen würde, als Omer-Pascha mit einem Theile der
nach Bosnien bestimmten Armee sich gegen die Bulgaren wandte. Aber auch die


Dieses unglückliche Verhältniß dauert seit Jahrhunderten in gleicher Weise fort;
was uicht von Stambul ans befohlen wurde, thaten die Paschas und Veziere
ans eigenem Antriebe, und da sich das Volk an den stets ganz gleichmäßigen
Druck gewohnte, fing es an zu glauben, daß es so sein müsse und blieb stets
tre» und gehorsam.

Der Befreiungskampf der Serbe» unter Karadschordsche machte auf Bulga¬
rien keinen nachhaltigen Eindruck; erst später uuter Milosch's Regierung began¬
nen die Leute zu deuten, daß es ihnen schlecht gehe und daß es besser wäre,
wenn man es anch so machte wie die Serben. Aber das Volk meinte, es sei
besser, das bekannte Uebel zu ertragen, als ein unbekanntes Gut zu suchen und
im ungünstigen Falle in noch größeres Uebel zu Verfallen; — jene Stimmen blie¬
ben vereinzelt und an eine Bewegung war nicht zu denken. Intelligentere Leute
verfielen nun auf eine andere Taktik. Es wurde» Schulen gegründet; die Geist¬
lichen nahmen sich derselbe» an und es kam in wenigen Jahrep ohne alle weitere
Unterstützung dahin, daß in den Städte» und bei Klöster» christliche Schu¬
len im Gange waren. Dadurch wurde eine langsame aber tiefe Bewegung im
Volke hervorgerufen, und man muß es dem Bulgarischen (Griechisch-slawischen)
Klerus nachrühmen, daß er seine Aufgabe mit Ernst erfaßte und mit größter
Ausdauer verfolgte.

Als im letzte» Russisch-Türkischen Kriege die Russen durch Bulgarien zogen,
war ein politisches Interesse beim Volke wenigstens so weit rege geworden, daß
dasselbe insgeheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erbo¬
ten, als Freiwillige mit Diebitsch's Armee gegen die Türken zu ziehen — was
natürlich aus guten Gründen abgelehnt wurde, ebenso wie die Anträge von
einer in: Rücken der Türken anzuzettelnden Revolution in Bulgarien. So blieb
Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der dreißiger Jahre; in
diesem Zeitraume bemerkte man auch in Bulgarien eine sonderbar geartete Gäh-
rung, über welche man selbst in dem benachbarten Serbien nicht ins Klare kam,
und welche sich von selbst wieder legte, ohne, wie es scheint, daß selbst die Tür¬
ken im Lande Etwas davon erfahren hatten. Dagegen aber wuchs die Unzufrie¬
denheit der Bulgaren alljährlich, seit die fuit-üls-mi Reformen der Türkischen
Negierung von der Thronbesteigung Abd-ni-Medschids immer größern Aufwand
und folgerecht immer größer» Druck auf die Raja mit sich brachten. Endlich im
Jahre 1850 kam es damit so weit, daß die ruhigen friedlichen Bulgaren in der
Widdiner Nahija zu de» Waffe» griffe» und eine allgemeine Bewegung des gan¬
zen Bulgarischen Volksstammes in Aussicht stand.

Man besorgte in Serbien, und wol mit Recht, daß der Aufstand eines
naturursprüuglich friedlichen und im Waffeuführeu ungeübten Volkes um so we¬
niger ein gutes Ende nehmen würde, als Omer-Pascha mit einem Theile der
nach Bosnien bestimmten Armee sich gegen die Bulgaren wandte. Aber auch die


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[0264] Dieses unglückliche Verhältniß dauert seit Jahrhunderten in gleicher Weise fort; was uicht von Stambul ans befohlen wurde, thaten die Paschas und Veziere ans eigenem Antriebe, und da sich das Volk an den stets ganz gleichmäßigen Druck gewohnte, fing es an zu glauben, daß es so sein müsse und blieb stets tre» und gehorsam. Der Befreiungskampf der Serbe» unter Karadschordsche machte auf Bulga¬ rien keinen nachhaltigen Eindruck; erst später uuter Milosch's Regierung began¬ nen die Leute zu deuten, daß es ihnen schlecht gehe und daß es besser wäre, wenn man es anch so machte wie die Serben. Aber das Volk meinte, es sei besser, das bekannte Uebel zu ertragen, als ein unbekanntes Gut zu suchen und im ungünstigen Falle in noch größeres Uebel zu Verfallen; — jene Stimmen blie¬ ben vereinzelt und an eine Bewegung war nicht zu denken. Intelligentere Leute verfielen nun auf eine andere Taktik. Es wurde» Schulen gegründet; die Geist¬ lichen nahmen sich derselbe» an und es kam in wenigen Jahrep ohne alle weitere Unterstützung dahin, daß in den Städte» und bei Klöster» christliche Schu¬ len im Gange waren. Dadurch wurde eine langsame aber tiefe Bewegung im Volke hervorgerufen, und man muß es dem Bulgarischen (Griechisch-slawischen) Klerus nachrühmen, daß er seine Aufgabe mit Ernst erfaßte und mit größter Ausdauer verfolgte. Als im letzte» Russisch-Türkischen Kriege die Russen durch Bulgarien zogen, war ein politisches Interesse beim Volke wenigstens so weit rege geworden, daß dasselbe insgeheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erbo¬ ten, als Freiwillige mit Diebitsch's Armee gegen die Türken zu ziehen — was natürlich aus guten Gründen abgelehnt wurde, ebenso wie die Anträge von einer in: Rücken der Türken anzuzettelnden Revolution in Bulgarien. So blieb Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der dreißiger Jahre; in diesem Zeitraume bemerkte man auch in Bulgarien eine sonderbar geartete Gäh- rung, über welche man selbst in dem benachbarten Serbien nicht ins Klare kam, und welche sich von selbst wieder legte, ohne, wie es scheint, daß selbst die Tür¬ ken im Lande Etwas davon erfahren hatten. Dagegen aber wuchs die Unzufrie¬ denheit der Bulgaren alljährlich, seit die fuit-üls-mi Reformen der Türkischen Negierung von der Thronbesteigung Abd-ni-Medschids immer größern Aufwand und folgerecht immer größer» Druck auf die Raja mit sich brachten. Endlich im Jahre 1850 kam es damit so weit, daß die ruhigen friedlichen Bulgaren in der Widdiner Nahija zu de» Waffe» griffe» und eine allgemeine Bewegung des gan¬ zen Bulgarischen Volksstammes in Aussicht stand. Man besorgte in Serbien, und wol mit Recht, daß der Aufstand eines naturursprüuglich friedlichen und im Waffeuführeu ungeübten Volkes um so we¬ niger ein gutes Ende nehmen würde, als Omer-Pascha mit einem Theile der nach Bosnien bestimmten Armee sich gegen die Bulgaren wandte. Aber auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/264>, abgerufen am 15.05.2024.