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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Pforte gerieth in eine sehr große Verlegenheit, welche durch den Umstand erklärt
werden kann, daß der Aufstand in Bosnien täglich wuchs und daß Constantinopel
selbst durch die Bulgaren, welche bis unmittelbar uuter den Mauern der Haupt¬
stadt wohnen, bedroht werden konnte. Der Divan beorderte daher einerseits den
Rumili-Seraskier Omer-Pascha nach Bulgarien, andererseits aber ging er die
serbische Regierung um ihre Vermittelung bei den Bulgaren an. Beides geschah
eiligst; Omer-Pascha war bis Risch (Rissa) vorgedrungen, wohin sich auch der
serbische Justizminister Alexa Simitsch zur Unterhandlung des Friedens begab.
Man sprach vou großen Concessionen, welche die Pforte den Bulgaren gemacht
habe, und es ist gewiß, daß in jenem Momente, wo es dem Divan daran lie¬
gen mußte, in Bosnien und Albanien, wo es auch zu spuken begann, freie Hand
zu bekommen, bedeutende Zugeständnisse gethan wurden. Bulgarien sollte einen
Nativnalfürsten erhalten und in dasselbe Verhältniß zur Pforte treten wie Ser¬
bien, es sollte eine nationale Justiz und Administration mit vollständigster Auto¬
nomie in allen Landesangelegenheiten haben, n. tgi. mehr. Ein allgemeiner
Jubel that sich darob bei den übrigen Südslaweu kund: solch ein glückliches Ende
hatte Niemand dem Bulgarischen Aufstände prophezeiht. -- Aber bald war Nichts
mehr zu hören. -- Die "Bulgarische Frage" ist jetzt bereits verschollen: an eine
Lösung des Knotens denkt Niemand mehr.

Es ist ganz wohl begreiflich, daß die Pforte alsbald bedauerte, Concessionen
gemacht zu haben; da sie mittelbar unterhandelt hatte, war es ihr leicht, dieselben
zu widerrufen, und als eine Bulgarische Deputation nach Stambul kam, um die
Bestätigung jener Versprechungen zu erhalten, wurde dieselbe, wegen "irriger
Auslegung" des Tractates, in's Gefängniß geworfen. Auch in Bulgarien geht
es täglich weiter zurück; Ali-Risa Pascha vou Widdin, der an sia-Pascha's Stelle
kam und sich anfänglich sehr ant gegen die Bulgaren benahm, sängt auch schon
an, das Volk nach hergebrachter Sitte zu bedrücken; die serbische Negierung,
welche sich wegen der Nichtausführung des Nischer Vertrages in Stambul be¬
schwerte, aber gar keiner Antwort gewürdigt wurde, zog sich auch beleidigt zurück,
und so sind nun die Bulgaren wieder auf demselben Punkte, ans welchem sie vor
der Erhebung gewesen waren.

Ganz erfolglos aber rbar die Jnsurrection doch nicht; sie ließ einen mäch¬
tigen Eindruck auf das Volk zurück, welches nun einsehen lernte, daß es einer
allgemeinen Erhebung bedürfe, um sich eine menschliche Existenz zu schaffen. Die
Abläugnung der gemachte" Zugeständnisse seitens der Pforte hat das Volk aufs
Aeußerste erbittert und es ist sicher zu erwarten, daß bei günstiger Gelegenheit
ein abermaliger und bedeutenderer Aufstand in Bulgarien losbrechen werde.

Fassen wir um die gesammten Türkisch-slawischen Verhältnisse in's Auge,
so ergeben sich für die Pforte sämmtlich ungünstige Resultate.

Der geheimnißvolle innere Grund des Bestandes der Türkei ist, wie auch


Pforte gerieth in eine sehr große Verlegenheit, welche durch den Umstand erklärt
werden kann, daß der Aufstand in Bosnien täglich wuchs und daß Constantinopel
selbst durch die Bulgaren, welche bis unmittelbar uuter den Mauern der Haupt¬
stadt wohnen, bedroht werden konnte. Der Divan beorderte daher einerseits den
Rumili-Seraskier Omer-Pascha nach Bulgarien, andererseits aber ging er die
serbische Regierung um ihre Vermittelung bei den Bulgaren an. Beides geschah
eiligst; Omer-Pascha war bis Risch (Rissa) vorgedrungen, wohin sich auch der
serbische Justizminister Alexa Simitsch zur Unterhandlung des Friedens begab.
Man sprach vou großen Concessionen, welche die Pforte den Bulgaren gemacht
habe, und es ist gewiß, daß in jenem Momente, wo es dem Divan daran lie¬
gen mußte, in Bosnien und Albanien, wo es auch zu spuken begann, freie Hand
zu bekommen, bedeutende Zugeständnisse gethan wurden. Bulgarien sollte einen
Nativnalfürsten erhalten und in dasselbe Verhältniß zur Pforte treten wie Ser¬
bien, es sollte eine nationale Justiz und Administration mit vollständigster Auto¬
nomie in allen Landesangelegenheiten haben, n. tgi. mehr. Ein allgemeiner
Jubel that sich darob bei den übrigen Südslaweu kund: solch ein glückliches Ende
hatte Niemand dem Bulgarischen Aufstände prophezeiht. — Aber bald war Nichts
mehr zu hören. — Die „Bulgarische Frage" ist jetzt bereits verschollen: an eine
Lösung des Knotens denkt Niemand mehr.

Es ist ganz wohl begreiflich, daß die Pforte alsbald bedauerte, Concessionen
gemacht zu haben; da sie mittelbar unterhandelt hatte, war es ihr leicht, dieselben
zu widerrufen, und als eine Bulgarische Deputation nach Stambul kam, um die
Bestätigung jener Versprechungen zu erhalten, wurde dieselbe, wegen „irriger
Auslegung" des Tractates, in's Gefängniß geworfen. Auch in Bulgarien geht
es täglich weiter zurück; Ali-Risa Pascha vou Widdin, der an sia-Pascha's Stelle
kam und sich anfänglich sehr ant gegen die Bulgaren benahm, sängt auch schon
an, das Volk nach hergebrachter Sitte zu bedrücken; die serbische Negierung,
welche sich wegen der Nichtausführung des Nischer Vertrages in Stambul be¬
schwerte, aber gar keiner Antwort gewürdigt wurde, zog sich auch beleidigt zurück,
und so sind nun die Bulgaren wieder auf demselben Punkte, ans welchem sie vor
der Erhebung gewesen waren.

Ganz erfolglos aber rbar die Jnsurrection doch nicht; sie ließ einen mäch¬
tigen Eindruck auf das Volk zurück, welches nun einsehen lernte, daß es einer
allgemeinen Erhebung bedürfe, um sich eine menschliche Existenz zu schaffen. Die
Abläugnung der gemachte« Zugeständnisse seitens der Pforte hat das Volk aufs
Aeußerste erbittert und es ist sicher zu erwarten, daß bei günstiger Gelegenheit
ein abermaliger und bedeutenderer Aufstand in Bulgarien losbrechen werde.

Fassen wir um die gesammten Türkisch-slawischen Verhältnisse in's Auge,
so ergeben sich für die Pforte sämmtlich ungünstige Resultate.

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[0265] Pforte gerieth in eine sehr große Verlegenheit, welche durch den Umstand erklärt werden kann, daß der Aufstand in Bosnien täglich wuchs und daß Constantinopel selbst durch die Bulgaren, welche bis unmittelbar uuter den Mauern der Haupt¬ stadt wohnen, bedroht werden konnte. Der Divan beorderte daher einerseits den Rumili-Seraskier Omer-Pascha nach Bulgarien, andererseits aber ging er die serbische Regierung um ihre Vermittelung bei den Bulgaren an. Beides geschah eiligst; Omer-Pascha war bis Risch (Rissa) vorgedrungen, wohin sich auch der serbische Justizminister Alexa Simitsch zur Unterhandlung des Friedens begab. Man sprach vou großen Concessionen, welche die Pforte den Bulgaren gemacht habe, und es ist gewiß, daß in jenem Momente, wo es dem Divan daran lie¬ gen mußte, in Bosnien und Albanien, wo es auch zu spuken begann, freie Hand zu bekommen, bedeutende Zugeständnisse gethan wurden. Bulgarien sollte einen Nativnalfürsten erhalten und in dasselbe Verhältniß zur Pforte treten wie Ser¬ bien, es sollte eine nationale Justiz und Administration mit vollständigster Auto¬ nomie in allen Landesangelegenheiten haben, n. tgi. mehr. Ein allgemeiner Jubel that sich darob bei den übrigen Südslaweu kund: solch ein glückliches Ende hatte Niemand dem Bulgarischen Aufstände prophezeiht. — Aber bald war Nichts mehr zu hören. — Die „Bulgarische Frage" ist jetzt bereits verschollen: an eine Lösung des Knotens denkt Niemand mehr. Es ist ganz wohl begreiflich, daß die Pforte alsbald bedauerte, Concessionen gemacht zu haben; da sie mittelbar unterhandelt hatte, war es ihr leicht, dieselben zu widerrufen, und als eine Bulgarische Deputation nach Stambul kam, um die Bestätigung jener Versprechungen zu erhalten, wurde dieselbe, wegen „irriger Auslegung" des Tractates, in's Gefängniß geworfen. Auch in Bulgarien geht es täglich weiter zurück; Ali-Risa Pascha vou Widdin, der an sia-Pascha's Stelle kam und sich anfänglich sehr ant gegen die Bulgaren benahm, sängt auch schon an, das Volk nach hergebrachter Sitte zu bedrücken; die serbische Negierung, welche sich wegen der Nichtausführung des Nischer Vertrages in Stambul be¬ schwerte, aber gar keiner Antwort gewürdigt wurde, zog sich auch beleidigt zurück, und so sind nun die Bulgaren wieder auf demselben Punkte, ans welchem sie vor der Erhebung gewesen waren. Ganz erfolglos aber rbar die Jnsurrection doch nicht; sie ließ einen mäch¬ tigen Eindruck auf das Volk zurück, welches nun einsehen lernte, daß es einer allgemeinen Erhebung bedürfe, um sich eine menschliche Existenz zu schaffen. Die Abläugnung der gemachte« Zugeständnisse seitens der Pforte hat das Volk aufs Aeußerste erbittert und es ist sicher zu erwarten, daß bei günstiger Gelegenheit ein abermaliger und bedeutenderer Aufstand in Bulgarien losbrechen werde. Fassen wir um die gesammten Türkisch-slawischen Verhältnisse in's Auge, so ergeben sich für die Pforte sämmtlich ungünstige Resultate. Der geheimnißvolle innere Grund des Bestandes der Türkei ist, wie auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/265>, abgerufen am 04.06.2024.