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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Nichts als eine liebenswürdige Soubrette und eiuen im komischen Spiel routi-
nirten Buffv. Während das Vaudeville daher leicht zur Trivialität verleitet, führt
das Proverbe die Gefahr eines zu großen Raffinements mit sich. Wenn der
Dialog sich gar zu zierlich zuspitzt, so wird er zuletzt geziert. Doch kann man
es immer als eine heilsame Studie betrachten, um dem Dialog eine bestimmtere
Farbe und eine größere Mannigfaltigkeit zu geben, und dadurch das Hand¬
werksmäßige, welches in den Fabrikarbeiter der meisten Komödienschreiber
liegt, einigermaßen zu mildern. Aus unsrer Bühne würden diese Stücke
kaum Erfolg habe", da solche leichte Waare ohnehin schwer zu übersetzen ist;
aber unsre Lustspieldichter sollten sich sorgfältig .damit beschäftigen, da die
gewöhnliche Deutsche Conversation nicht geeignet ist, sie zu inspiriren. Unsre
Deutsche Unterhaltung leidet an zwei Uebelständen. Einmal gehen wir vorzugs¬
weise mit Männern um, und da ergibt es sich sehr bald, daß sich gewisse
Kreise souderu, welche auf gemeinsamen Voraussetzungen der Politik, der Religion,
des Standes n. s. w. beruhen, und in denen man aus gewisse Begriffe nur hin¬
zudeuten braucht, um allgemein verstanden und gebilligt zu werden, wenn nicht
gerade ein neues Element in die Gesellschaft kommt und die Unterhaltung sich in
eiuen Vortrag verwandelt, der mehr oder minder nach dem Katheder schmeckt.
So treiben wir es schon ans der Schule, so treiben wir es auf der Universität,
so treiben wir es später in unsern: Beruf, so treiben wir es endlich in der Lite¬
ratur. Jede Cvterie hat ihre Stichwörter, die durch allmälige Uebung eiuen be¬
stimmten Begriff erlaugt haben, den ein Uneingeweihter unmöglich verstehen kann,
so vollkommen er auch sonst der Deutschen Sprache mächtig ist. Um sich in einer
Stndentcntneipe oder in eiuer philosophischen Gesellschaft zurecht zu finden, müßte
mau sich von dem Vorsteher erst ein Wörterbuch ausbitten. Es fehlt uns der
neutrale Boden der Geselligkeit. Auch wenn wir in Frauengesellschaft kommen,
so geschieht das immer mit einer gewissen Feierlichkeit und Förmlichkeit, und mau
wird in einen exceptionellen Zustand versetzt. Man glaubt sich entweder zu den
conventionellen Umgangsphraseu herablassen zu müssen, die uoch unendlich viel
leerer und langweiliger sind, als die Formen des Comments, oder man ziert sich
nud spricht über Literatur. Die Hauswäsche oder Alfred Meißner und Moritz
Hartmann macheu den Stoff solcher Conversationen ans, wenn man nicht gar
der noch viel schrecklichem Sitte der musikalischen Soireen verfällt und sich über
das Geklimper und das Gekreisch unfertiger Künstlerinnen in Begeisterung ver¬
setzen muß. -- Dieser Maugel in unserm Leben und folglich anch in unserm
Dichten ist nicht stark genug hervorzuheben. Die Franzosen haben die allgemeine
Form der Humanität, durch die sie überall aus sich Herauszugeheu verstehe",
was ein sehr großer Vorzug ist, denn mau hat in geistigem Sinn eigentlich nur
das, was man gibt; die Engländer haben den Stolz einer starken und sicherm
Individualität, die sich überall eine eigene Form schafft und sie nöthigenfalls der


Nichts als eine liebenswürdige Soubrette und eiuen im komischen Spiel routi-
nirten Buffv. Während das Vaudeville daher leicht zur Trivialität verleitet, führt
das Proverbe die Gefahr eines zu großen Raffinements mit sich. Wenn der
Dialog sich gar zu zierlich zuspitzt, so wird er zuletzt geziert. Doch kann man
es immer als eine heilsame Studie betrachten, um dem Dialog eine bestimmtere
Farbe und eine größere Mannigfaltigkeit zu geben, und dadurch das Hand¬
werksmäßige, welches in den Fabrikarbeiter der meisten Komödienschreiber
liegt, einigermaßen zu mildern. Aus unsrer Bühne würden diese Stücke
kaum Erfolg habe», da solche leichte Waare ohnehin schwer zu übersetzen ist;
aber unsre Lustspieldichter sollten sich sorgfältig .damit beschäftigen, da die
gewöhnliche Deutsche Conversation nicht geeignet ist, sie zu inspiriren. Unsre
Deutsche Unterhaltung leidet an zwei Uebelständen. Einmal gehen wir vorzugs¬
weise mit Männern um, und da ergibt es sich sehr bald, daß sich gewisse
Kreise souderu, welche auf gemeinsamen Voraussetzungen der Politik, der Religion,
des Standes n. s. w. beruhen, und in denen man aus gewisse Begriffe nur hin¬
zudeuten braucht, um allgemein verstanden und gebilligt zu werden, wenn nicht
gerade ein neues Element in die Gesellschaft kommt und die Unterhaltung sich in
eiuen Vortrag verwandelt, der mehr oder minder nach dem Katheder schmeckt.
So treiben wir es schon ans der Schule, so treiben wir es auf der Universität,
so treiben wir es später in unsern: Beruf, so treiben wir es endlich in der Lite¬
ratur. Jede Cvterie hat ihre Stichwörter, die durch allmälige Uebung eiuen be¬
stimmten Begriff erlaugt haben, den ein Uneingeweihter unmöglich verstehen kann,
so vollkommen er auch sonst der Deutschen Sprache mächtig ist. Um sich in einer
Stndentcntneipe oder in eiuer philosophischen Gesellschaft zurecht zu finden, müßte
mau sich von dem Vorsteher erst ein Wörterbuch ausbitten. Es fehlt uns der
neutrale Boden der Geselligkeit. Auch wenn wir in Frauengesellschaft kommen,
so geschieht das immer mit einer gewissen Feierlichkeit und Förmlichkeit, und mau
wird in einen exceptionellen Zustand versetzt. Man glaubt sich entweder zu den
conventionellen Umgangsphraseu herablassen zu müssen, die uoch unendlich viel
leerer und langweiliger sind, als die Formen des Comments, oder man ziert sich
nud spricht über Literatur. Die Hauswäsche oder Alfred Meißner und Moritz
Hartmann macheu den Stoff solcher Conversationen ans, wenn man nicht gar
der noch viel schrecklichem Sitte der musikalischen Soireen verfällt und sich über
das Geklimper und das Gekreisch unfertiger Künstlerinnen in Begeisterung ver¬
setzen muß. — Dieser Maugel in unserm Leben und folglich anch in unserm
Dichten ist nicht stark genug hervorzuheben. Die Franzosen haben die allgemeine
Form der Humanität, durch die sie überall aus sich Herauszugeheu verstehe»,
was ein sehr großer Vorzug ist, denn mau hat in geistigem Sinn eigentlich nur
das, was man gibt; die Engländer haben den Stolz einer starken und sicherm
Individualität, die sich überall eine eigene Form schafft und sie nöthigenfalls der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/281>, abgerufen am 14.05.2024.