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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Gaj hatte die Grundzüge dieser Orthographie schon früher in einer in Pesth
erschienenen kleinen Schrift -- bis heute noch ist diese Gaj'ö einziges literarisches
Produkt -- entwickelt und begann sie zuerst im poetischen Theile der DaMi-a an¬
zuwenden. Da der Versuch bei allen Verständigen Anklang fand, führte Gaj
seine Orthographie durchweg in der venit?a ein -- fand aber an dem ältern
Theile seiner Landsleute eifrige Gegner. Er hielt ans und ging täglich weiter.
Es hatte sich eine Anzahl junger Männer, die meisten wohl ohne nahmhaftes
Talent und ohne eine -- freilich in Kroatien überhaupt nicht erreichbare -- lite¬
rarische und politische Bildung, aber voll Liebe für ihr Volk und voll Eifer für
seine Ausbildung, mit aufrichtigster Hingebung an Gaj angeschlossen und thatsäch-,
lich gearbeitet, während Gaj schon damals mehr anregend als thätig war. Diese
Leute lasen alte kroatische Bücher, um ihre eigene Sprache zu lernen, und da
die Ragusaner Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts eine Masse von poetischen
Produkten in einer eigenthümlichen Verbindung des serbischen und kroatischen
Sprachelementes enthält, die, gleich ihrem Muster, der italienischen Poesie des
1?. Jahrhunderts, bei großer Glätte der Form größtentheils einen höchst ärm¬
lichen Inhalt haben, so fing man vor Allem an, die Nothwendigkeit einer glatten
und schmiegsamen Sprachform zu discutiren und meinte, die hübschen Dinge von
Nationalität und Patriotismus, an die man aufrichtig glaubte, würden in den
Ausdruck auch eiuen hübschen Inhalt bringen. Daher wurde der serbisch-kroatische
Dialekt der Nagusaner Dichter für die Schriftsprache der Kroaten auserkoren und
alsbald in die kroatische Zeitung eingeführt.

Die Sache machte Lärm; man begann auf einmal von den Kroaten zu reden,
die eine so liebliche Sprache haben sollten, als Vater Homer und Anakreon, man
sprach von Gaj als einem Mann von Genie, der Kroatien erst geschaffen habe.
Gaj speculirte indessen auf seine Weise; er sandte in Maroquin gebundene Exem¬
plare seiner Zeitung den Monarchen von Oestreich und Sachsen, und alle Welt
wunderte sich -- da Niemand die Veranlassung kannte -- als Gaj von Kaiser
Ferdinand einen Brillantring, von dem Könige von Sachsen eine brillantene
Busennadel "für seine literarischen Verdienste" erhielt n. s. w. Da eine solche
Auszeichnung seit Jahrhunderten keinem kroatischen Literaten wiederfahren war,
schloß man daraus, daß Gaj ein großer Mann sei und das Vaterland war auf
seinen guten Ruf stolz.

So wett war die Sache trotz vieler Spießbürgern ganz gut. Der Impuls zu
etwas Nützlichem war von Gaj ausgegangen, seine Mitarbeiter, die für ihn ohne
jedes private Interesse thaten was sie nur vermochten, gönnten ihm das schnell
gemachte Nenommv, und Niemand dachte daran, daß Gaj nicht ganz gerecht handle,
wenn er sich die Früchte aller Arbeit und den Lohn allein zueigne. --

Gaj ist eine prosaische berechnende Natur. Durch und durch Egoist, besitzt
er durchdringenden Verstand bei großem Mangel an wissenschaftlicher Bildung;


Grenzboten. II. 18Si. 3

Gaj hatte die Grundzüge dieser Orthographie schon früher in einer in Pesth
erschienenen kleinen Schrift — bis heute noch ist diese Gaj'ö einziges literarisches
Produkt — entwickelt und begann sie zuerst im poetischen Theile der DaMi-a an¬
zuwenden. Da der Versuch bei allen Verständigen Anklang fand, führte Gaj
seine Orthographie durchweg in der venit?a ein — fand aber an dem ältern
Theile seiner Landsleute eifrige Gegner. Er hielt ans und ging täglich weiter.
Es hatte sich eine Anzahl junger Männer, die meisten wohl ohne nahmhaftes
Talent und ohne eine — freilich in Kroatien überhaupt nicht erreichbare — lite¬
rarische und politische Bildung, aber voll Liebe für ihr Volk und voll Eifer für
seine Ausbildung, mit aufrichtigster Hingebung an Gaj angeschlossen und thatsäch-,
lich gearbeitet, während Gaj schon damals mehr anregend als thätig war. Diese
Leute lasen alte kroatische Bücher, um ihre eigene Sprache zu lernen, und da
die Ragusaner Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts eine Masse von poetischen
Produkten in einer eigenthümlichen Verbindung des serbischen und kroatischen
Sprachelementes enthält, die, gleich ihrem Muster, der italienischen Poesie des
1?. Jahrhunderts, bei großer Glätte der Form größtentheils einen höchst ärm¬
lichen Inhalt haben, so fing man vor Allem an, die Nothwendigkeit einer glatten
und schmiegsamen Sprachform zu discutiren und meinte, die hübschen Dinge von
Nationalität und Patriotismus, an die man aufrichtig glaubte, würden in den
Ausdruck auch eiuen hübschen Inhalt bringen. Daher wurde der serbisch-kroatische
Dialekt der Nagusaner Dichter für die Schriftsprache der Kroaten auserkoren und
alsbald in die kroatische Zeitung eingeführt.

Die Sache machte Lärm; man begann auf einmal von den Kroaten zu reden,
die eine so liebliche Sprache haben sollten, als Vater Homer und Anakreon, man
sprach von Gaj als einem Mann von Genie, der Kroatien erst geschaffen habe.
Gaj speculirte indessen auf seine Weise; er sandte in Maroquin gebundene Exem¬
plare seiner Zeitung den Monarchen von Oestreich und Sachsen, und alle Welt
wunderte sich — da Niemand die Veranlassung kannte — als Gaj von Kaiser
Ferdinand einen Brillantring, von dem Könige von Sachsen eine brillantene
Busennadel „für seine literarischen Verdienste" erhielt n. s. w. Da eine solche
Auszeichnung seit Jahrhunderten keinem kroatischen Literaten wiederfahren war,
schloß man daraus, daß Gaj ein großer Mann sei und das Vaterland war auf
seinen guten Ruf stolz.

So wett war die Sache trotz vieler Spießbürgern ganz gut. Der Impuls zu
etwas Nützlichem war von Gaj ausgegangen, seine Mitarbeiter, die für ihn ohne
jedes private Interesse thaten was sie nur vermochten, gönnten ihm das schnell
gemachte Nenommv, und Niemand dachte daran, daß Gaj nicht ganz gerecht handle,
wenn er sich die Früchte aller Arbeit und den Lohn allein zueigne. —

Gaj ist eine prosaische berechnende Natur. Durch und durch Egoist, besitzt
er durchdringenden Verstand bei großem Mangel an wissenschaftlicher Bildung;


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[0029] Gaj hatte die Grundzüge dieser Orthographie schon früher in einer in Pesth erschienenen kleinen Schrift — bis heute noch ist diese Gaj'ö einziges literarisches Produkt — entwickelt und begann sie zuerst im poetischen Theile der DaMi-a an¬ zuwenden. Da der Versuch bei allen Verständigen Anklang fand, führte Gaj seine Orthographie durchweg in der venit?a ein — fand aber an dem ältern Theile seiner Landsleute eifrige Gegner. Er hielt ans und ging täglich weiter. Es hatte sich eine Anzahl junger Männer, die meisten wohl ohne nahmhaftes Talent und ohne eine — freilich in Kroatien überhaupt nicht erreichbare — lite¬ rarische und politische Bildung, aber voll Liebe für ihr Volk und voll Eifer für seine Ausbildung, mit aufrichtigster Hingebung an Gaj angeschlossen und thatsäch-, lich gearbeitet, während Gaj schon damals mehr anregend als thätig war. Diese Leute lasen alte kroatische Bücher, um ihre eigene Sprache zu lernen, und da die Ragusaner Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts eine Masse von poetischen Produkten in einer eigenthümlichen Verbindung des serbischen und kroatischen Sprachelementes enthält, die, gleich ihrem Muster, der italienischen Poesie des 1?. Jahrhunderts, bei großer Glätte der Form größtentheils einen höchst ärm¬ lichen Inhalt haben, so fing man vor Allem an, die Nothwendigkeit einer glatten und schmiegsamen Sprachform zu discutiren und meinte, die hübschen Dinge von Nationalität und Patriotismus, an die man aufrichtig glaubte, würden in den Ausdruck auch eiuen hübschen Inhalt bringen. Daher wurde der serbisch-kroatische Dialekt der Nagusaner Dichter für die Schriftsprache der Kroaten auserkoren und alsbald in die kroatische Zeitung eingeführt. Die Sache machte Lärm; man begann auf einmal von den Kroaten zu reden, die eine so liebliche Sprache haben sollten, als Vater Homer und Anakreon, man sprach von Gaj als einem Mann von Genie, der Kroatien erst geschaffen habe. Gaj speculirte indessen auf seine Weise; er sandte in Maroquin gebundene Exem¬ plare seiner Zeitung den Monarchen von Oestreich und Sachsen, und alle Welt wunderte sich — da Niemand die Veranlassung kannte — als Gaj von Kaiser Ferdinand einen Brillantring, von dem Könige von Sachsen eine brillantene Busennadel „für seine literarischen Verdienste" erhielt n. s. w. Da eine solche Auszeichnung seit Jahrhunderten keinem kroatischen Literaten wiederfahren war, schloß man daraus, daß Gaj ein großer Mann sei und das Vaterland war auf seinen guten Ruf stolz. So wett war die Sache trotz vieler Spießbürgern ganz gut. Der Impuls zu etwas Nützlichem war von Gaj ausgegangen, seine Mitarbeiter, die für ihn ohne jedes private Interesse thaten was sie nur vermochten, gönnten ihm das schnell gemachte Nenommv, und Niemand dachte daran, daß Gaj nicht ganz gerecht handle, wenn er sich die Früchte aller Arbeit und den Lohn allein zueigne. — Gaj ist eine prosaische berechnende Natur. Durch und durch Egoist, besitzt er durchdringenden Verstand bei großem Mangel an wissenschaftlicher Bildung; Grenzboten. II. 18Si. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/29>, abgerufen am 15.05.2024.