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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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er wußte indessen diesen Mangel durch allerlei Grübeleien zu verhüllen, affectirte
ein tiefes, mächtiges Gefühl und hüllte sich in eine Art von Geheimthuerei ein,
welche unreife und unerfahrene Leute leicht l'leuten konnte. Seine kalte, jeder
großen enthusiastischen Regung unfähige Seele herrschte über seine sentimentale
Umgebung, er hatte für alle seine Freunde einen unverzehrbaren Schatz der an¬
genehmsten Schmeicheleien und Zärtlichkeitöauödrücke, alle glaubten sich von ihm
geliebt, aufs höchste geachtet. Als er sich ihrer versichert hatte, fing er an, seine
Plan" vor jedem Einzelnen unter vier Augen zu entwickeln.

Die nationalen Elemente des Südslaventhums sind sehr zersplittert; Serben
(der zahlreichste Stamm), Bulgaren, Kroate" und Slowenen lebten ohne jeden
geistigen Vereinigungspunkt neben einander. Der serbische Stamm, welcher Ser¬
bien, Bosnien, die Zrnagora (Montenegro), den größeren Theil Dalmatiens, die
Militärgrenze, die Baczka und das Banat bewohnt, hat durch die Befreiung
Serbiens in Belgrad einen politischen und nationalen Centralpunkt gewonnen,
hat sich jedoch in einem lebhaften Gefühle von Ueberlegenheit wenig um die
übrigen Stämme -- die Bulgaren ausgenommen -- bekümmert, daher auch auf
sie keinen Einfluß ausgeübt. Der kroatische Patriotismus grollte deshalb mit
den Serben, und Gaj beschloß, das Südslaventhnm anders zu gliedern und
dabei deu Kroaten die Hegemonie zu verschaffen. Der kroatische Name und
die kroatische Geschichte hat nichts so Jmponirendes, daß mau damit Eroberungs-
züge beginnen könnte: Gaj zog daher ans dem Hauptquell seines Wissens, aus
den abscheulichen italienischen und kroatischen Chroniken des 17. und 16. Jahr¬
hunderts, deu Namen "illyr.isch" an's Tageslicht, welcher wohl vou der ser¬
bisch-kroatischen Sprache und dem östlichen Küstenstriche des Adriameeres ge¬
braucht wurde, aber niemals ein slavisch er Volksname werden konnte. Gaj
nun oktroyirte dem ganzen südslavischen Ländergebiete den Namen "Großillyrien"
und allen südslavischen Volksstämmen die Collectivbenemmug "Jllyrier." Die
kroatische Zeitung wurde " IlirsIiL uawüne I>l"vo<z" (Jllyrische National--Zei¬
tung) betitelt und sollte nach Gaj's Berechnung das Organ des gesammten Süd-
slaventhnms werden, was sie natürlich weder geworden ist, noch werden konnte.

Es zeugte unstreitig von Keckheit, um den gelindesten Ausdruck zu gebrau¬
chen, ein Volk, das kaum von sich wußte, das ohne jede Bildung war, und dem
ein schwerer und langer Druck des Adels und katholischen Clerus beinahe alle
seine guten Eigenschaft,?" verdorben hatte, mit einem nie gehörten und völlig
unhistorischen Namen zu taufen, und ihm von der Hegemonie über die übrigen
Stämme zu schwatzen, nachdem man erst begonnen hatte, eine Orthographie zu
schaffen und einige Verse zu schreiben, welche, mit sehr wenigen Ausnahmen, unter
jeder ästhetischen Kritik siud. Aber gerade dieses kecke Auftreten, das sonst überall
lächerlich geworden wäre, verHals dem Jllhriömns zu einem Anhange; die süd¬
ländische warme Phantasie der Kroaten, zumal des jüngeren Theiles, die sia-


er wußte indessen diesen Mangel durch allerlei Grübeleien zu verhüllen, affectirte
ein tiefes, mächtiges Gefühl und hüllte sich in eine Art von Geheimthuerei ein,
welche unreife und unerfahrene Leute leicht l'leuten konnte. Seine kalte, jeder
großen enthusiastischen Regung unfähige Seele herrschte über seine sentimentale
Umgebung, er hatte für alle seine Freunde einen unverzehrbaren Schatz der an¬
genehmsten Schmeicheleien und Zärtlichkeitöauödrücke, alle glaubten sich von ihm
geliebt, aufs höchste geachtet. Als er sich ihrer versichert hatte, fing er an, seine
Plan« vor jedem Einzelnen unter vier Augen zu entwickeln.

Die nationalen Elemente des Südslaventhums sind sehr zersplittert; Serben
(der zahlreichste Stamm), Bulgaren, Kroate» und Slowenen lebten ohne jeden
geistigen Vereinigungspunkt neben einander. Der serbische Stamm, welcher Ser¬
bien, Bosnien, die Zrnagora (Montenegro), den größeren Theil Dalmatiens, die
Militärgrenze, die Baczka und das Banat bewohnt, hat durch die Befreiung
Serbiens in Belgrad einen politischen und nationalen Centralpunkt gewonnen,
hat sich jedoch in einem lebhaften Gefühle von Ueberlegenheit wenig um die
übrigen Stämme — die Bulgaren ausgenommen — bekümmert, daher auch auf
sie keinen Einfluß ausgeübt. Der kroatische Patriotismus grollte deshalb mit
den Serben, und Gaj beschloß, das Südslaventhnm anders zu gliedern und
dabei deu Kroaten die Hegemonie zu verschaffen. Der kroatische Name und
die kroatische Geschichte hat nichts so Jmponirendes, daß mau damit Eroberungs-
züge beginnen könnte: Gaj zog daher ans dem Hauptquell seines Wissens, aus
den abscheulichen italienischen und kroatischen Chroniken des 17. und 16. Jahr¬
hunderts, deu Namen „illyr.isch" an's Tageslicht, welcher wohl vou der ser¬
bisch-kroatischen Sprache und dem östlichen Küstenstriche des Adriameeres ge¬
braucht wurde, aber niemals ein slavisch er Volksname werden konnte. Gaj
nun oktroyirte dem ganzen südslavischen Ländergebiete den Namen „Großillyrien"
und allen südslavischen Volksstämmen die Collectivbenemmug „Jllyrier." Die
kroatische Zeitung wurde „ IlirsIiL uawüne I>l»vo<z" (Jllyrische National--Zei¬
tung) betitelt und sollte nach Gaj's Berechnung das Organ des gesammten Süd-
slaventhnms werden, was sie natürlich weder geworden ist, noch werden konnte.

Es zeugte unstreitig von Keckheit, um den gelindesten Ausdruck zu gebrau¬
chen, ein Volk, das kaum von sich wußte, das ohne jede Bildung war, und dem
ein schwerer und langer Druck des Adels und katholischen Clerus beinahe alle
seine guten Eigenschaft,?» verdorben hatte, mit einem nie gehörten und völlig
unhistorischen Namen zu taufen, und ihm von der Hegemonie über die übrigen
Stämme zu schwatzen, nachdem man erst begonnen hatte, eine Orthographie zu
schaffen und einige Verse zu schreiben, welche, mit sehr wenigen Ausnahmen, unter
jeder ästhetischen Kritik siud. Aber gerade dieses kecke Auftreten, das sonst überall
lächerlich geworden wäre, verHals dem Jllhriömns zu einem Anhange; die süd¬
ländische warme Phantasie der Kroaten, zumal des jüngeren Theiles, die sia-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/30>, abgerufen am 15.05.2024.