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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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geschichtliche Wirklichkeit, Ueber ihr liegt, von Eckpfeilern des architektonischen
Stammes getragen, ein mehrfach gegliederter, kräftiger Sims, und von diesem
aus erhebt sich dann die dritte, kleinere Abtheilung des Postaments, das eigent¬
liche Piedestal der Reiterstatue, das wieder mit einem dreifach gegliederten Simse
abschließt. Hier waltet in den Sculpturen, in den Eckstatneu, wie in der Reihe
kleiner und flacher Reliefs von den Füllungen der Wände die Allegorie in schil¬
dernder Beziehung zum Charakter, zum Leben und Wirken des großen Friedrich.

An dem königlichen Reiter fällt dem Betrachter unwillkürlich zuerst der lauge
Königsmantel in das Ange, welcher von den Schultern der Statue auf den
Rucke" und bis unter den Bauch des Pferdes herabwallt. Der - langgestreckte
Contour desselben verhüllt beim ersten Anblick die bekannte Gestalt, und erst all-
mälig überwindet man den fremdartigen Eindruck, der jedoch um so weniger ganz
verschwinden kann, je mehr diese Mantel-Anordnung dem geschichtlichen Charakter
Friedrichs widerspricht. Als die Schlesische Hauptstadt sich am 3. Januar 17i1
den Preußen ergeben hatte, hielten diese einen feierlichen Einzug. Der König
aber blieb fern, weil er bei solchen Prunkaufzügen nicht mitzuspielen liebte, und
ritt später mit kleinem Gefolge, einen abgetragenen blauen Reitermantel über die
Uniform geworfen, durch' die Thore und Straßen von Breslau. Auch nach dem
Abschluß des den siebenjährigen Krieg beendenden Hubertsburger Friedens ver¬
mied er den feierlichen Empfang, den man zu Berlin beabsichtigte, einfach dadurch,
daß er seiue Ankunft aus den 2. April anzeigen ließ, aber schon am 30. März
Abends acht Uhr eintraf. Es würde sich noch mancher ähnliche Zug anführen
lassen, welcher gleich diesen beiden Zeugniß ablegt von der Abneigung des Königs,
mit seiner Person äußerlich zu prunken, und das Volk kennt ihn ans Erinnerung
und Ueberlieferung auf seinem Schimmel nur in der schlichten, knappen Uniform.
Die Gegenwart hat sich mit dem prächtigen Königsmantel die Geschichte verfälscht,
und der populairen Gestalt des alten Fritz ein störendes Element aufgezwängt.
Ich weiß nicht, in wie weit der Meister Rauch dabei uach eigener Intention oder
nach Vorschrift verfahren ist, möchte jedoch kaum das Erstere annehmen, weil mir
in der That scheint, es könne, bei der im Uebrigen die ganze Ausführung der
Statue durchathmenden vollendeten Charakteristik, einem künstlerischen Auge die
Disharmonie uicht entgehen, welche durch jenen Zusatz erzeugt wird. Es war
nicht nöthig, den großen König auf so äußerliche Weise als königlichen Herrscher
darzustellen; die Wahl des Symbols, das seine Würde rcpräsentirend bezeich¬
nen soll, weicht aus den Grenzen des auf lebensvolle Realität gerichteten Sthlö,
welcher Rauch zu seinen Begründern zählt. Ein Künstler, der, wie dieser greise
Meister, die geistige Würde nud Hoheit eiues großen Charakters im Bilde zu
ergreifen und in die Form zu hauchen versteht, dürfte billig ans den Schein der¬
selben, auf die unwahre Anwendung eines äußerlichen Surrogats verzichten, das
der große König selbst verschmähte.


geschichtliche Wirklichkeit, Ueber ihr liegt, von Eckpfeilern des architektonischen
Stammes getragen, ein mehrfach gegliederter, kräftiger Sims, und von diesem
aus erhebt sich dann die dritte, kleinere Abtheilung des Postaments, das eigent¬
liche Piedestal der Reiterstatue, das wieder mit einem dreifach gegliederten Simse
abschließt. Hier waltet in den Sculpturen, in den Eckstatneu, wie in der Reihe
kleiner und flacher Reliefs von den Füllungen der Wände die Allegorie in schil¬
dernder Beziehung zum Charakter, zum Leben und Wirken des großen Friedrich.

An dem königlichen Reiter fällt dem Betrachter unwillkürlich zuerst der lauge
Königsmantel in das Ange, welcher von den Schultern der Statue auf den
Rucke» und bis unter den Bauch des Pferdes herabwallt. Der - langgestreckte
Contour desselben verhüllt beim ersten Anblick die bekannte Gestalt, und erst all-
mälig überwindet man den fremdartigen Eindruck, der jedoch um so weniger ganz
verschwinden kann, je mehr diese Mantel-Anordnung dem geschichtlichen Charakter
Friedrichs widerspricht. Als die Schlesische Hauptstadt sich am 3. Januar 17i1
den Preußen ergeben hatte, hielten diese einen feierlichen Einzug. Der König
aber blieb fern, weil er bei solchen Prunkaufzügen nicht mitzuspielen liebte, und
ritt später mit kleinem Gefolge, einen abgetragenen blauen Reitermantel über die
Uniform geworfen, durch' die Thore und Straßen von Breslau. Auch nach dem
Abschluß des den siebenjährigen Krieg beendenden Hubertsburger Friedens ver¬
mied er den feierlichen Empfang, den man zu Berlin beabsichtigte, einfach dadurch,
daß er seiue Ankunft aus den 2. April anzeigen ließ, aber schon am 30. März
Abends acht Uhr eintraf. Es würde sich noch mancher ähnliche Zug anführen
lassen, welcher gleich diesen beiden Zeugniß ablegt von der Abneigung des Königs,
mit seiner Person äußerlich zu prunken, und das Volk kennt ihn ans Erinnerung
und Ueberlieferung auf seinem Schimmel nur in der schlichten, knappen Uniform.
Die Gegenwart hat sich mit dem prächtigen Königsmantel die Geschichte verfälscht,
und der populairen Gestalt des alten Fritz ein störendes Element aufgezwängt.
Ich weiß nicht, in wie weit der Meister Rauch dabei uach eigener Intention oder
nach Vorschrift verfahren ist, möchte jedoch kaum das Erstere annehmen, weil mir
in der That scheint, es könne, bei der im Uebrigen die ganze Ausführung der
Statue durchathmenden vollendeten Charakteristik, einem künstlerischen Auge die
Disharmonie uicht entgehen, welche durch jenen Zusatz erzeugt wird. Es war
nicht nöthig, den großen König auf so äußerliche Weise als königlichen Herrscher
darzustellen; die Wahl des Symbols, das seine Würde rcpräsentirend bezeich¬
nen soll, weicht aus den Grenzen des auf lebensvolle Realität gerichteten Sthlö,
welcher Rauch zu seinen Begründern zählt. Ein Künstler, der, wie dieser greise
Meister, die geistige Würde nud Hoheit eiues großen Charakters im Bilde zu
ergreifen und in die Form zu hauchen versteht, dürfte billig ans den Schein der¬
selben, auf die unwahre Anwendung eines äußerlichen Surrogats verzichten, das
der große König selbst verschmähte.


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[0294] geschichtliche Wirklichkeit, Ueber ihr liegt, von Eckpfeilern des architektonischen Stammes getragen, ein mehrfach gegliederter, kräftiger Sims, und von diesem aus erhebt sich dann die dritte, kleinere Abtheilung des Postaments, das eigent¬ liche Piedestal der Reiterstatue, das wieder mit einem dreifach gegliederten Simse abschließt. Hier waltet in den Sculpturen, in den Eckstatneu, wie in der Reihe kleiner und flacher Reliefs von den Füllungen der Wände die Allegorie in schil¬ dernder Beziehung zum Charakter, zum Leben und Wirken des großen Friedrich. An dem königlichen Reiter fällt dem Betrachter unwillkürlich zuerst der lauge Königsmantel in das Ange, welcher von den Schultern der Statue auf den Rucke» und bis unter den Bauch des Pferdes herabwallt. Der - langgestreckte Contour desselben verhüllt beim ersten Anblick die bekannte Gestalt, und erst all- mälig überwindet man den fremdartigen Eindruck, der jedoch um so weniger ganz verschwinden kann, je mehr diese Mantel-Anordnung dem geschichtlichen Charakter Friedrichs widerspricht. Als die Schlesische Hauptstadt sich am 3. Januar 17i1 den Preußen ergeben hatte, hielten diese einen feierlichen Einzug. Der König aber blieb fern, weil er bei solchen Prunkaufzügen nicht mitzuspielen liebte, und ritt später mit kleinem Gefolge, einen abgetragenen blauen Reitermantel über die Uniform geworfen, durch' die Thore und Straßen von Breslau. Auch nach dem Abschluß des den siebenjährigen Krieg beendenden Hubertsburger Friedens ver¬ mied er den feierlichen Empfang, den man zu Berlin beabsichtigte, einfach dadurch, daß er seiue Ankunft aus den 2. April anzeigen ließ, aber schon am 30. März Abends acht Uhr eintraf. Es würde sich noch mancher ähnliche Zug anführen lassen, welcher gleich diesen beiden Zeugniß ablegt von der Abneigung des Königs, mit seiner Person äußerlich zu prunken, und das Volk kennt ihn ans Erinnerung und Ueberlieferung auf seinem Schimmel nur in der schlichten, knappen Uniform. Die Gegenwart hat sich mit dem prächtigen Königsmantel die Geschichte verfälscht, und der populairen Gestalt des alten Fritz ein störendes Element aufgezwängt. Ich weiß nicht, in wie weit der Meister Rauch dabei uach eigener Intention oder nach Vorschrift verfahren ist, möchte jedoch kaum das Erstere annehmen, weil mir in der That scheint, es könne, bei der im Uebrigen die ganze Ausführung der Statue durchathmenden vollendeten Charakteristik, einem künstlerischen Auge die Disharmonie uicht entgehen, welche durch jenen Zusatz erzeugt wird. Es war nicht nöthig, den großen König auf so äußerliche Weise als königlichen Herrscher darzustellen; die Wahl des Symbols, das seine Würde rcpräsentirend bezeich¬ nen soll, weicht aus den Grenzen des auf lebensvolle Realität gerichteten Sthlö, welcher Rauch zu seinen Begründern zählt. Ein Künstler, der, wie dieser greise Meister, die geistige Würde nud Hoheit eiues großen Charakters im Bilde zu ergreifen und in die Form zu hauchen versteht, dürfte billig ans den Schein der¬ selben, auf die unwahre Anwendung eines äußerlichen Surrogats verzichten, das der große König selbst verschmähte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/294>, abgerufen am 15.05.2024.