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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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hin "ut von den Standpunkten sämmtlicher Parteien so vielseitig durchsprechen,
und dabei hat sich doch jeder Einzelne im Publicum so vollständig in die Be¬
hauptungen seiner Partei vertieft, daß es ebenso wenig möglich wäre, etwas
erheblich Neues zu sagen, als die Gegner ans ihren Vorurtheilen zu reißen.
Die Reaction wie die Demokratie sind fest davon überzeugt, daß sie sich
überall als Helden gezeigt haben, und man kann der ersten ihr Verhalten im
März, der letztem, namentlich der Berliner Demokratie, ihr Verhalten im No¬
vember hundertmal ius Gedächtniß zurückrufen, sie stimmen doch sogleich wieder
das alte Lied an. Es wird auch mit solchen Vorwürfen im gegenwärtigen Augen¬
blicke Nichts ausgerichtet, da die letzte" Jahre bereits der Geschichte angehören.
Dagegen ist es von Wichtigkeit, sich über die gegenwärtige Stellung der
Parteien klar zu macheu. Es konnte sich leicht ergeben, daß gerade diejenigen
Parteien, deren vereinzelte Wortführer am Landesteil sind, nur in der Einbildung
existiren.

Zu einer politischen Partei gehört zweierlei: einmal ein bestimmtes positives
Princip, in dessen Verfolgung ein bedeutender Theil des Volks einig ist, und
das für den Augenblick wenigstens eine gemeinsame Geltung und Operation
verstattet.

Es gehört zweitens zum Kennzeichen einer politischen Partei, sofern dieselbe
nicht die Regierung in Händen hat, daß sie uuter Führern steht, die augen¬
blicklich nach dem Sturze ihrer Gegner die Staatsregierung übernehmen können.

Das Letztere ist in Deutschland unendlich schwieriger, als in Frankreich.
Man nimmt überhaupt viel zu leicht die Französische" Zustände zum Vorbild und
Muster der ""srigeu, ohne an den wesentliche" Unterschied der beiderseitigen
Verhältnisse z" de"ke", und zwar geschieht das von de" Absvlntiste" so gut wie
von den Republikanern. Bei dem Mechanismus der Verwaltung, wie er in
Frankreich besteht, wo die Unselbständigkeit und der Servilismus der Beamten
einerseits "ut die vollständige gedankenlose Indifferenz der Bürgerschaft anderer¬
seits einer, wenn auch noch so kleine", energischen politischen Partei freien Spiel¬
raum gewähre", war es möglich, daß die Socialisten, die in ihren geheime"
Gesellschaften über eine vollständige Organisatio" disponirten, nicht allein die
bestehende Staatsform mustinzteu, so"der" auch el" Paar Monate hindurch, so
gut oder so schlecht es gehen wollte, die Regierung führte". Etwas Aehnliches
ist i" De"tschla"d ""möglich. Wenn die demokratische, d. h? die außerhalb des
bisherigen Staatslebens stehende Partei durch einen Handstreich die Oestreichische
oder Preußische Regierung stürzte, so würde sie nicht acht Tage lang a" der
Spitze bleiben können, denn sie würde nirgend Gehorsam finden, und wenn es
ihr auch gelänge, durch eine" Za"berschlag die gesammte Bureaukratie und das
gesammte Militair auszurotten, so würde sie nicht im Stande sei", selber die
Geschäfte z" führen, weil sie keine Einsicht darin besitzt. Von der "umbunden


hin »ut von den Standpunkten sämmtlicher Parteien so vielseitig durchsprechen,
und dabei hat sich doch jeder Einzelne im Publicum so vollständig in die Be¬
hauptungen seiner Partei vertieft, daß es ebenso wenig möglich wäre, etwas
erheblich Neues zu sagen, als die Gegner ans ihren Vorurtheilen zu reißen.
Die Reaction wie die Demokratie sind fest davon überzeugt, daß sie sich
überall als Helden gezeigt haben, und man kann der ersten ihr Verhalten im
März, der letztem, namentlich der Berliner Demokratie, ihr Verhalten im No¬
vember hundertmal ius Gedächtniß zurückrufen, sie stimmen doch sogleich wieder
das alte Lied an. Es wird auch mit solchen Vorwürfen im gegenwärtigen Augen¬
blicke Nichts ausgerichtet, da die letzte» Jahre bereits der Geschichte angehören.
Dagegen ist es von Wichtigkeit, sich über die gegenwärtige Stellung der
Parteien klar zu macheu. Es konnte sich leicht ergeben, daß gerade diejenigen
Parteien, deren vereinzelte Wortführer am Landesteil sind, nur in der Einbildung
existiren.

Zu einer politischen Partei gehört zweierlei: einmal ein bestimmtes positives
Princip, in dessen Verfolgung ein bedeutender Theil des Volks einig ist, und
das für den Augenblick wenigstens eine gemeinsame Geltung und Operation
verstattet.

Es gehört zweitens zum Kennzeichen einer politischen Partei, sofern dieselbe
nicht die Regierung in Händen hat, daß sie uuter Führern steht, die augen¬
blicklich nach dem Sturze ihrer Gegner die Staatsregierung übernehmen können.

Das Letztere ist in Deutschland unendlich schwieriger, als in Frankreich.
Man nimmt überhaupt viel zu leicht die Französische» Zustände zum Vorbild und
Muster der »»srigeu, ohne an den wesentliche» Unterschied der beiderseitigen
Verhältnisse z» de»ke», und zwar geschieht das von de» Absvlntiste» so gut wie
von den Republikanern. Bei dem Mechanismus der Verwaltung, wie er in
Frankreich besteht, wo die Unselbständigkeit und der Servilismus der Beamten
einerseits »ut die vollständige gedankenlose Indifferenz der Bürgerschaft anderer¬
seits einer, wenn auch noch so kleine», energischen politischen Partei freien Spiel¬
raum gewähre», war es möglich, daß die Socialisten, die in ihren geheime»
Gesellschaften über eine vollständige Organisatio» disponirten, nicht allein die
bestehende Staatsform mustinzteu, so»der» auch el» Paar Monate hindurch, so
gut oder so schlecht es gehen wollte, die Regierung führte». Etwas Aehnliches
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bisherigen Staatslebens stehende Partei durch einen Handstreich die Oestreichische
oder Preußische Regierung stürzte, so würde sie nicht acht Tage lang a» der
Spitze bleiben können, denn sie würde nirgend Gehorsam finden, und wenn es
ihr auch gelänge, durch eine» Za»berschlag die gesammte Bureaukratie und das
gesammte Militair auszurotten, so würde sie nicht im Stande sei», selber die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/322>, abgerufen am 14.05.2024.