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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Schwierigkeit vollends, die verschiedenen Staaten Dentschlands durch einen ener¬
gischen Brennpunkt in einen Einheitsstaat zu verwandeln, will ich hier gar
nicht reden.

In Deutschland kann die politische Partei, welche eine Reform des Staats-
lcl'eus anstrebt, nur aus der Mitte Derjenigen hervorgehen, die sich bereits vorher
am Staatsleben betheiligt haben. Innerhalb dieses Kreises giebt es aber nur
zwei politische Parteien, die von einem bestimmten Princip ausgehen: die reactiv-
uaire,- welche die alten Verhältnisse zu Gunsten der bevorrechtigten Klassen fest¬
halten und soviel als möglich consolidiren will, und die constitutionelle oder
militärische, die mit möglichster Schonung des Bestehenden die Formlosigkeit des
bisher bestehenden Deutschen Föderativverbauds durch einen kühnen Schritt auf-
heben will. Zwischen beiden liegen allerdings eine Menge von zum Theil ganz
achtungswerthen und wohlmeinenden Politikern, bei denen aber die verschiedenen
Gesichtspunkte sich so widerspreche", daß sie sich zu einem einheitlichen Wollen
nicht entschließen können. Die erste dieser Parteien richtet natürlich ihre Hoffnungen
vorzugsweise auf Oestreich, da dieser Staat nicht blos durch die augenblickliche
Laune seiner Machthaber, souderu durch die Nothwendigkeit seiner Lage zum
Träger der Stabilität in Deutschland bestimmt ist; die andere auf Preußen, weil
dieses auch gegen den Willen seiner augenblicklichen Machthaber im Lauf der
Geschichte genöthigt werden muß, das Princip der Bewegung, der Reform, der
Eroberung durchzuführen.

Jede dieser Parteien hat ihre Doctrinairs, die man keineswegs mit der
Partei selbst verwechseln darf. Nicht einmal die sämmtlichen Mitarbeiter der
Kreuzzeitung werden auf die Doctrinen des Ruudschaners schworen, und noch viel
weniger wird sich die Oestrcichische Regierung von den Grvßdeutscheu Schreiber",
die sich als ihre Protectoren geberden, nach irgeud einer Seite hin bestimmen
lassen. So ist auch bei uusern Doctrinairs die Idee des parlamentarischen Schema¬
tismus und der ununterbrochenen Continuität der Rechtscutwickelung zuweilen aus
eine übertriebene Weise geltend gemacht worden, und die Sache ist hinter die Form
zurückgetreten. Eine Kritik dieser Doctinairs darf also der Partei selbst nicht
unwillkommen sein, und es ist nur zu natürlich, daß sie gerade von den Doctrinairs
der entgegengesetzten Parteien am Leidenschaftlichsten ausgeübt wird. Je gebildeter
dieselben sind, um so mehr kaun man von ihnen lernen.

Die Ungebildetsten sind die Großdeutscheu. Herr Butan, der Versasser der
ersten der genannten Schriften nennt uus (die Vincke, die Camphausen, die
Gagern u. s. w.) "eine nie zu ersättigende, nie zu versöhnende, aus Falschheit,
Treulosigkeit und Undankbarkeit zusammengesetzte Partei," welche Prädicate unge¬
fähr so zutreffen, als wenn er uus Diebe, Ehebrecherund Mörder genannt hätte.
Er versichert , daß wir "auf dem Gemisch der unter Oestreichs Scepter lebenden
Nationalitäten herumreiten," was für uns ebenso unbequem wäre, als für jene


Schwierigkeit vollends, die verschiedenen Staaten Dentschlands durch einen ener¬
gischen Brennpunkt in einen Einheitsstaat zu verwandeln, will ich hier gar
nicht reden.

In Deutschland kann die politische Partei, welche eine Reform des Staats-
lcl'eus anstrebt, nur aus der Mitte Derjenigen hervorgehen, die sich bereits vorher
am Staatsleben betheiligt haben. Innerhalb dieses Kreises giebt es aber nur
zwei politische Parteien, die von einem bestimmten Princip ausgehen: die reactiv-
uaire,- welche die alten Verhältnisse zu Gunsten der bevorrechtigten Klassen fest¬
halten und soviel als möglich consolidiren will, und die constitutionelle oder
militärische, die mit möglichster Schonung des Bestehenden die Formlosigkeit des
bisher bestehenden Deutschen Föderativverbauds durch einen kühnen Schritt auf-
heben will. Zwischen beiden liegen allerdings eine Menge von zum Theil ganz
achtungswerthen und wohlmeinenden Politikern, bei denen aber die verschiedenen
Gesichtspunkte sich so widerspreche», daß sie sich zu einem einheitlichen Wollen
nicht entschließen können. Die erste dieser Parteien richtet natürlich ihre Hoffnungen
vorzugsweise auf Oestreich, da dieser Staat nicht blos durch die augenblickliche
Laune seiner Machthaber, souderu durch die Nothwendigkeit seiner Lage zum
Träger der Stabilität in Deutschland bestimmt ist; die andere auf Preußen, weil
dieses auch gegen den Willen seiner augenblicklichen Machthaber im Lauf der
Geschichte genöthigt werden muß, das Princip der Bewegung, der Reform, der
Eroberung durchzuführen.

Jede dieser Parteien hat ihre Doctrinairs, die man keineswegs mit der
Partei selbst verwechseln darf. Nicht einmal die sämmtlichen Mitarbeiter der
Kreuzzeitung werden auf die Doctrinen des Ruudschaners schworen, und noch viel
weniger wird sich die Oestrcichische Regierung von den Grvßdeutscheu Schreiber»,
die sich als ihre Protectoren geberden, nach irgeud einer Seite hin bestimmen
lassen. So ist auch bei uusern Doctrinairs die Idee des parlamentarischen Schema¬
tismus und der ununterbrochenen Continuität der Rechtscutwickelung zuweilen aus
eine übertriebene Weise geltend gemacht worden, und die Sache ist hinter die Form
zurückgetreten. Eine Kritik dieser Doctinairs darf also der Partei selbst nicht
unwillkommen sein, und es ist nur zu natürlich, daß sie gerade von den Doctrinairs
der entgegengesetzten Parteien am Leidenschaftlichsten ausgeübt wird. Je gebildeter
dieselben sind, um so mehr kaun man von ihnen lernen.

Die Ungebildetsten sind die Großdeutscheu. Herr Butan, der Versasser der
ersten der genannten Schriften nennt uus (die Vincke, die Camphausen, die
Gagern u. s. w.) „eine nie zu ersättigende, nie zu versöhnende, aus Falschheit,
Treulosigkeit und Undankbarkeit zusammengesetzte Partei," welche Prädicate unge¬
fähr so zutreffen, als wenn er uus Diebe, Ehebrecherund Mörder genannt hätte.
Er versichert , daß wir „auf dem Gemisch der unter Oestreichs Scepter lebenden
Nationalitäten herumreiten," was für uns ebenso unbequem wäre, als für jene


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[0323] Schwierigkeit vollends, die verschiedenen Staaten Dentschlands durch einen ener¬ gischen Brennpunkt in einen Einheitsstaat zu verwandeln, will ich hier gar nicht reden. In Deutschland kann die politische Partei, welche eine Reform des Staats- lcl'eus anstrebt, nur aus der Mitte Derjenigen hervorgehen, die sich bereits vorher am Staatsleben betheiligt haben. Innerhalb dieses Kreises giebt es aber nur zwei politische Parteien, die von einem bestimmten Princip ausgehen: die reactiv- uaire,- welche die alten Verhältnisse zu Gunsten der bevorrechtigten Klassen fest¬ halten und soviel als möglich consolidiren will, und die constitutionelle oder militärische, die mit möglichster Schonung des Bestehenden die Formlosigkeit des bisher bestehenden Deutschen Föderativverbauds durch einen kühnen Schritt auf- heben will. Zwischen beiden liegen allerdings eine Menge von zum Theil ganz achtungswerthen und wohlmeinenden Politikern, bei denen aber die verschiedenen Gesichtspunkte sich so widerspreche», daß sie sich zu einem einheitlichen Wollen nicht entschließen können. Die erste dieser Parteien richtet natürlich ihre Hoffnungen vorzugsweise auf Oestreich, da dieser Staat nicht blos durch die augenblickliche Laune seiner Machthaber, souderu durch die Nothwendigkeit seiner Lage zum Träger der Stabilität in Deutschland bestimmt ist; die andere auf Preußen, weil dieses auch gegen den Willen seiner augenblicklichen Machthaber im Lauf der Geschichte genöthigt werden muß, das Princip der Bewegung, der Reform, der Eroberung durchzuführen. Jede dieser Parteien hat ihre Doctrinairs, die man keineswegs mit der Partei selbst verwechseln darf. Nicht einmal die sämmtlichen Mitarbeiter der Kreuzzeitung werden auf die Doctrinen des Ruudschaners schworen, und noch viel weniger wird sich die Oestrcichische Regierung von den Grvßdeutscheu Schreiber», die sich als ihre Protectoren geberden, nach irgeud einer Seite hin bestimmen lassen. So ist auch bei uusern Doctrinairs die Idee des parlamentarischen Schema¬ tismus und der ununterbrochenen Continuität der Rechtscutwickelung zuweilen aus eine übertriebene Weise geltend gemacht worden, und die Sache ist hinter die Form zurückgetreten. Eine Kritik dieser Doctinairs darf also der Partei selbst nicht unwillkommen sein, und es ist nur zu natürlich, daß sie gerade von den Doctrinairs der entgegengesetzten Parteien am Leidenschaftlichsten ausgeübt wird. Je gebildeter dieselben sind, um so mehr kaun man von ihnen lernen. Die Ungebildetsten sind die Großdeutscheu. Herr Butan, der Versasser der ersten der genannten Schriften nennt uus (die Vincke, die Camphausen, die Gagern u. s. w.) „eine nie zu ersättigende, nie zu versöhnende, aus Falschheit, Treulosigkeit und Undankbarkeit zusammengesetzte Partei," welche Prädicate unge¬ fähr so zutreffen, als wenn er uus Diebe, Ehebrecherund Mörder genannt hätte. Er versichert , daß wir „auf dem Gemisch der unter Oestreichs Scepter lebenden Nationalitäten herumreiten," was für uns ebenso unbequem wäre, als für jene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/323>, abgerufen am 29.05.2024.