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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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und Preußen wird auch bei dem besten Willen sich ans die Länge nicht dazu
hergeben können, der bloße Executor Oestreichs zu sein. Ferner wird an den
Projecten einer allgemeinen Deutschen Handels- und Zollvereinignng durch den
Eintritt Gesammtöstrcichs Nichts geändert, es wird dadurch nur die Illusion
genährt, daß man in diesem Felde ans dem Wege der Bundesgesetzgebuug Etwas
leisten könne. Dieser verkehrtesten aller Illusionen, welche die Geschichte des
Bundestags, so wie der Nationalversammlung schon längst hätte widerlegen können,
tritt die Preußische Regierung mit der ganz richtigen Idee eines Vertrages zwischen
einzelnen Staaten entgegen, und wir stimmen ihr in diesem Princip vollkommen bei,
so wenig wir Ursache haben, in andern Fragen ans ihrer Seite zu stehen. Wir
thun es mit um so, größerer Hoffnung, da Preußen seit dem Jahre 47 doch
immer eiuen Schritt weiter in der constitutionellen Entwickelung gethan hat,
während andere Staaten darin zurückgegangen sind. So ist z. B. unter den
Znsatzartikeln zur Sächsischen Verfassungsurkunde ganz beiläufig die Bestimmung
aufgenommen, daß die Steuern von der Kammer als bewilligt anzusehen wären,
wenn nicht zwei Drittel der Mitglieder sich dagegen erklärten. Eine derartige
Bestimmung ist doch nicht einmal in der Preußischen revidirten Verfassung, und
man kann sie als eine interessante Bereicherung der constitutionellen Theorie
überhaupt betrachten.

Wir wenden uns jetzt zu den Demokraten;' ein Collectivbegriff, bei dem man,
wenigstens was Preußen betrifft, sich nicht viel Anderes vorstellen kann, als ent¬
weder die Summe der Individuen, welche sich im Jahre -1849 der Wahlen ent¬
hielten, oder der Abonnenten der Nationalzeitnng. Daß die erstere, negative
Gemeinsamkeit noch keinen Maßstab für die Kräfte der Partei geben kann, haben
die entschiedenem demokratischen Blätter selber zugegeben, und das Letztere dürfte
auch kein untrügliches Kriterium sein, denn die Nationalzeitnng ist wenigstens in
neuerer Zeit ein gut geschriebenes Blatt, welches sowol durch seine ruhige, an¬
ständige Haltung den Spießbürger erbaut, als durch das höhere Bewußtsein, mit
dem es in gottähnlicher Ruhe dem Gewühl der streitenden Parteien zuschaut,
ungefähr wie der Deutsche Zeitungsleser des vorigen Jahrhunderts, wenn er von
den Kriegen zwischen dem Großtürken und dem Moskowiter hörte. Zwar hat
jene einzige That der Demokratie den großen Vortheil gehabt, daß seit dem Jahre
1849 die Demokraten sich als Solidarität betrachten konnten, weil der Eine von
ihnen Nichts that, und der Andere ihm dabei hals, allein es dürste doch einmal
eine Zeit kommen, wo sich die Einzelnen zu einer positiven Thätigkeit angeregt
fühlten, um> dann würde sich sehr bald das Illusorische dieser'Solidarität heraus¬
stellen. Von den Emeutierö von Profession würden sich die soliden Demokraten
ohnehin sehr bald trennen, wie es ja anch im Jahre 1848 geschehen ist, und die
übrigen würden nach einer positiven, unmittelbar auszuführenden Idee verlangen,
aus die sie ihr Streben richten konnten. Herr v. Unruh, der sich seit seinem


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und Preußen wird auch bei dem besten Willen sich ans die Länge nicht dazu
hergeben können, der bloße Executor Oestreichs zu sein. Ferner wird an den
Projecten einer allgemeinen Deutschen Handels- und Zollvereinignng durch den
Eintritt Gesammtöstrcichs Nichts geändert, es wird dadurch nur die Illusion
genährt, daß man in diesem Felde ans dem Wege der Bundesgesetzgebuug Etwas
leisten könne. Dieser verkehrtesten aller Illusionen, welche die Geschichte des
Bundestags, so wie der Nationalversammlung schon längst hätte widerlegen können,
tritt die Preußische Regierung mit der ganz richtigen Idee eines Vertrages zwischen
einzelnen Staaten entgegen, und wir stimmen ihr in diesem Princip vollkommen bei,
so wenig wir Ursache haben, in andern Fragen ans ihrer Seite zu stehen. Wir
thun es mit um so, größerer Hoffnung, da Preußen seit dem Jahre 47 doch
immer eiuen Schritt weiter in der constitutionellen Entwickelung gethan hat,
während andere Staaten darin zurückgegangen sind. So ist z. B. unter den
Znsatzartikeln zur Sächsischen Verfassungsurkunde ganz beiläufig die Bestimmung
aufgenommen, daß die Steuern von der Kammer als bewilligt anzusehen wären,
wenn nicht zwei Drittel der Mitglieder sich dagegen erklärten. Eine derartige
Bestimmung ist doch nicht einmal in der Preußischen revidirten Verfassung, und
man kann sie als eine interessante Bereicherung der constitutionellen Theorie
überhaupt betrachten.

Wir wenden uns jetzt zu den Demokraten;' ein Collectivbegriff, bei dem man,
wenigstens was Preußen betrifft, sich nicht viel Anderes vorstellen kann, als ent¬
weder die Summe der Individuen, welche sich im Jahre -1849 der Wahlen ent¬
hielten, oder der Abonnenten der Nationalzeitnng. Daß die erstere, negative
Gemeinsamkeit noch keinen Maßstab für die Kräfte der Partei geben kann, haben
die entschiedenem demokratischen Blätter selber zugegeben, und das Letztere dürfte
auch kein untrügliches Kriterium sein, denn die Nationalzeitnng ist wenigstens in
neuerer Zeit ein gut geschriebenes Blatt, welches sowol durch seine ruhige, an¬
ständige Haltung den Spießbürger erbaut, als durch das höhere Bewußtsein, mit
dem es in gottähnlicher Ruhe dem Gewühl der streitenden Parteien zuschaut,
ungefähr wie der Deutsche Zeitungsleser des vorigen Jahrhunderts, wenn er von
den Kriegen zwischen dem Großtürken und dem Moskowiter hörte. Zwar hat
jene einzige That der Demokratie den großen Vortheil gehabt, daß seit dem Jahre
1849 die Demokraten sich als Solidarität betrachten konnten, weil der Eine von
ihnen Nichts that, und der Andere ihm dabei hals, allein es dürste doch einmal
eine Zeit kommen, wo sich die Einzelnen zu einer positiven Thätigkeit angeregt
fühlten, um> dann würde sich sehr bald das Illusorische dieser'Solidarität heraus¬
stellen. Von den Emeutierö von Profession würden sich die soliden Demokraten
ohnehin sehr bald trennen, wie es ja anch im Jahre 1848 geschehen ist, und die
übrigen würden nach einer positiven, unmittelbar auszuführenden Idee verlangen,
aus die sie ihr Streben richten konnten. Herr v. Unruh, der sich seit seinem


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[0325] und Preußen wird auch bei dem besten Willen sich ans die Länge nicht dazu hergeben können, der bloße Executor Oestreichs zu sein. Ferner wird an den Projecten einer allgemeinen Deutschen Handels- und Zollvereinignng durch den Eintritt Gesammtöstrcichs Nichts geändert, es wird dadurch nur die Illusion genährt, daß man in diesem Felde ans dem Wege der Bundesgesetzgebuug Etwas leisten könne. Dieser verkehrtesten aller Illusionen, welche die Geschichte des Bundestags, so wie der Nationalversammlung schon längst hätte widerlegen können, tritt die Preußische Regierung mit der ganz richtigen Idee eines Vertrages zwischen einzelnen Staaten entgegen, und wir stimmen ihr in diesem Princip vollkommen bei, so wenig wir Ursache haben, in andern Fragen ans ihrer Seite zu stehen. Wir thun es mit um so, größerer Hoffnung, da Preußen seit dem Jahre 47 doch immer eiuen Schritt weiter in der constitutionellen Entwickelung gethan hat, während andere Staaten darin zurückgegangen sind. So ist z. B. unter den Znsatzartikeln zur Sächsischen Verfassungsurkunde ganz beiläufig die Bestimmung aufgenommen, daß die Steuern von der Kammer als bewilligt anzusehen wären, wenn nicht zwei Drittel der Mitglieder sich dagegen erklärten. Eine derartige Bestimmung ist doch nicht einmal in der Preußischen revidirten Verfassung, und man kann sie als eine interessante Bereicherung der constitutionellen Theorie überhaupt betrachten. Wir wenden uns jetzt zu den Demokraten;' ein Collectivbegriff, bei dem man, wenigstens was Preußen betrifft, sich nicht viel Anderes vorstellen kann, als ent¬ weder die Summe der Individuen, welche sich im Jahre -1849 der Wahlen ent¬ hielten, oder der Abonnenten der Nationalzeitnng. Daß die erstere, negative Gemeinsamkeit noch keinen Maßstab für die Kräfte der Partei geben kann, haben die entschiedenem demokratischen Blätter selber zugegeben, und das Letztere dürfte auch kein untrügliches Kriterium sein, denn die Nationalzeitnng ist wenigstens in neuerer Zeit ein gut geschriebenes Blatt, welches sowol durch seine ruhige, an¬ ständige Haltung den Spießbürger erbaut, als durch das höhere Bewußtsein, mit dem es in gottähnlicher Ruhe dem Gewühl der streitenden Parteien zuschaut, ungefähr wie der Deutsche Zeitungsleser des vorigen Jahrhunderts, wenn er von den Kriegen zwischen dem Großtürken und dem Moskowiter hörte. Zwar hat jene einzige That der Demokratie den großen Vortheil gehabt, daß seit dem Jahre 1849 die Demokraten sich als Solidarität betrachten konnten, weil der Eine von ihnen Nichts that, und der Andere ihm dabei hals, allein es dürste doch einmal eine Zeit kommen, wo sich die Einzelnen zu einer positiven Thätigkeit angeregt fühlten, um> dann würde sich sehr bald das Illusorische dieser'Solidarität heraus¬ stellen. Von den Emeutierö von Profession würden sich die soliden Demokraten ohnehin sehr bald trennen, wie es ja anch im Jahre 1848 geschehen ist, und die übrigen würden nach einer positiven, unmittelbar auszuführenden Idee verlangen, aus die sie ihr Streben richten konnten. Herr v. Unruh, der sich seit seinem Grenzboten. II. I8SI. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/325>, abgerufen am 09.06.2024.