Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Novemberpräsidium als den Chef der Partei z" betrachten scheint, hat in seiner
neuesten Kritik der Mittelparteien versucht, ein solches Panier aufzupflanzen. Er
verwirft mit Verachtung die Vermittelungsversuche der Gethaner, mit Schonung
und Ehrfurcht seine eigene centrale Thätigkeit, und erklärt sich für die entschiedene
Linke. Man sollte nun meinen, er hätte es wenigstens bis zur Republik gebracht,
aber er bleibt bei der "eigentlichen" constitutionellen Monarchie stehen, ob¬
gleich er auf einen Dynastiewechsel anspielt, uach Art der Julirevolution. Das
wäre also kein erheblicher principieller Fortschritt, um so mehr, da er die Haupt¬
sache, nämlich die Angabe der Mittel, aus der scheiucoustitutionellen in die eigent¬
lich constitutionelle Monarchie zu gelangen, unbeachtet bei Seite liegen läßt. Er
wendet sich mit seiner Arbeit "nicht an die bewußte Demokratie, auch nicht an
die Gelehrten von Fach, sondern an Leute des praktischen Lebens." Die bewußte
Demokratie ist also der Gegensatz der Leute des praktischen Lebeus. Die Ge¬
lehrten von Fach sollen das Buch auch nicht lesen, weil sie gewohnt sind, über
die Buchstaben hinaus zu denken; es ist nur für die Leute des praktischen Lebens
bestimmt, d. h. für Diejenige", welche in pvMeis sehr leicht auf das Wort
schwören nud sich an die Phrase klammern, weil ihr praktisches Leben ihnen keine
Zeit läßt, sich mit selbstständigem Urtheil um die Einzelheiten der Politik zu
kümmern. Diesen Leuten sagt er in der Einleitung: "Als Beitrag zur Kritik
der politischen Mittelparteien wird hier kein statistisches Material angehäuft, noch
weniger eine Eintheilung und Charakteristik der einzelnen Gruppe" durchgeführt
-- -- "ur die Vorurtheile, unklaren Begriffe und Widersprüche sämmtlicher
Mittelparteien sollen großentheils im Zusammenhang mit den wichtigsten Hand¬
lungen derselben beleuchtet werden u. s. w." Zu einer solchen Aufgabe der
Identitätsphilosophie sind Bruno Bauer und Walter Rogge ungleich befähigter,
als Herr von Unruh, theils wegen ihres großem Scharfsinnes, theils weil sie
keine eigene politische Vergangenheit zu schonen haben. Herr v. Unruh wird
doch immer zu einer Mittelpartei gehören, nicht allein, weil er die Communisten
und die Galgenvögel von Profession stets links lassen wird, sondern auch, weil
seine Natur eine vermittelnde ist, wie das Rogge ganz richtig auseinandergesetzt
hat. Zur Aufklärung der praktische" Leute wird also sei" Buch nicht viel bei¬
tragen, und seine eigene Position wird dadurch auch nicht geändert; er würde
vergebens suchen, in die demokratische Masse eine wirkliche Disciplin einzuführen,
und er würde unter seinen Glaubensgenossen Niemand finden, der ih" bei einer
NegierungSüberuahme unterstützen könnte, als Herrn von Kirchmann und Herrn
NodbertnS, da ihm anch Waldeck und Temme noch immer zu weit links sein
werden. Diese drei Männer werden aber unmöglich die ganze jetzige Verwaltung
des Preußischen Staats ersetzen können, und er wird sich daher immer an den
Geheimen-Raths-Liberalismus, an die Nevolntionairs in Glacehandschuhen, an
die Eigentlichen, an die Doctrinairs wenden müssen. Es wäre also zweckmäßiger


Novemberpräsidium als den Chef der Partei z» betrachten scheint, hat in seiner
neuesten Kritik der Mittelparteien versucht, ein solches Panier aufzupflanzen. Er
verwirft mit Verachtung die Vermittelungsversuche der Gethaner, mit Schonung
und Ehrfurcht seine eigene centrale Thätigkeit, und erklärt sich für die entschiedene
Linke. Man sollte nun meinen, er hätte es wenigstens bis zur Republik gebracht,
aber er bleibt bei der „eigentlichen" constitutionellen Monarchie stehen, ob¬
gleich er auf einen Dynastiewechsel anspielt, uach Art der Julirevolution. Das
wäre also kein erheblicher principieller Fortschritt, um so mehr, da er die Haupt¬
sache, nämlich die Angabe der Mittel, aus der scheiucoustitutionellen in die eigent¬
lich constitutionelle Monarchie zu gelangen, unbeachtet bei Seite liegen läßt. Er
wendet sich mit seiner Arbeit „nicht an die bewußte Demokratie, auch nicht an
die Gelehrten von Fach, sondern an Leute des praktischen Lebens." Die bewußte
Demokratie ist also der Gegensatz der Leute des praktischen Lebeus. Die Ge¬
lehrten von Fach sollen das Buch auch nicht lesen, weil sie gewohnt sind, über
die Buchstaben hinaus zu denken; es ist nur für die Leute des praktischen Lebens
bestimmt, d. h. für Diejenige», welche in pvMeis sehr leicht auf das Wort
schwören nud sich an die Phrase klammern, weil ihr praktisches Leben ihnen keine
Zeit läßt, sich mit selbstständigem Urtheil um die Einzelheiten der Politik zu
kümmern. Diesen Leuten sagt er in der Einleitung: „Als Beitrag zur Kritik
der politischen Mittelparteien wird hier kein statistisches Material angehäuft, noch
weniger eine Eintheilung und Charakteristik der einzelnen Gruppe» durchgeführt
— — »ur die Vorurtheile, unklaren Begriffe und Widersprüche sämmtlicher
Mittelparteien sollen großentheils im Zusammenhang mit den wichtigsten Hand¬
lungen derselben beleuchtet werden u. s. w." Zu einer solchen Aufgabe der
Identitätsphilosophie sind Bruno Bauer und Walter Rogge ungleich befähigter,
als Herr von Unruh, theils wegen ihres großem Scharfsinnes, theils weil sie
keine eigene politische Vergangenheit zu schonen haben. Herr v. Unruh wird
doch immer zu einer Mittelpartei gehören, nicht allein, weil er die Communisten
und die Galgenvögel von Profession stets links lassen wird, sondern auch, weil
seine Natur eine vermittelnde ist, wie das Rogge ganz richtig auseinandergesetzt
hat. Zur Aufklärung der praktische» Leute wird also sei» Buch nicht viel bei¬
tragen, und seine eigene Position wird dadurch auch nicht geändert; er würde
vergebens suchen, in die demokratische Masse eine wirkliche Disciplin einzuführen,
und er würde unter seinen Glaubensgenossen Niemand finden, der ih» bei einer
NegierungSüberuahme unterstützen könnte, als Herrn von Kirchmann und Herrn
NodbertnS, da ihm anch Waldeck und Temme noch immer zu weit links sein
werden. Diese drei Männer werden aber unmöglich die ganze jetzige Verwaltung
des Preußischen Staats ersetzen können, und er wird sich daher immer an den
Geheimen-Raths-Liberalismus, an die Nevolntionairs in Glacehandschuhen, an
die Eigentlichen, an die Doctrinairs wenden müssen. Es wäre also zweckmäßiger


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91519"/>
          <p xml:id="ID_898" prev="#ID_897" next="#ID_899"> Novemberpräsidium als den Chef der Partei z» betrachten scheint, hat in seiner<lb/>
neuesten Kritik der Mittelparteien versucht, ein solches Panier aufzupflanzen. Er<lb/>
verwirft mit Verachtung die Vermittelungsversuche der Gethaner, mit Schonung<lb/>
und Ehrfurcht seine eigene centrale Thätigkeit, und erklärt sich für die entschiedene<lb/>
Linke. Man sollte nun meinen, er hätte es wenigstens bis zur Republik gebracht,<lb/>
aber er bleibt bei der &#x201E;eigentlichen" constitutionellen Monarchie stehen, ob¬<lb/>
gleich er auf einen Dynastiewechsel anspielt, uach Art der Julirevolution. Das<lb/>
wäre also kein erheblicher principieller Fortschritt, um so mehr, da er die Haupt¬<lb/>
sache, nämlich die Angabe der Mittel, aus der scheiucoustitutionellen in die eigent¬<lb/>
lich constitutionelle Monarchie zu gelangen, unbeachtet bei Seite liegen läßt. Er<lb/>
wendet sich mit seiner Arbeit &#x201E;nicht an die bewußte Demokratie, auch nicht an<lb/>
die Gelehrten von Fach, sondern an Leute des praktischen Lebens." Die bewußte<lb/>
Demokratie ist also der Gegensatz der Leute des praktischen Lebeus. Die Ge¬<lb/>
lehrten von Fach sollen das Buch auch nicht lesen, weil sie gewohnt sind, über<lb/>
die Buchstaben hinaus zu denken; es ist nur für die Leute des praktischen Lebens<lb/>
bestimmt, d. h. für Diejenige», welche in pvMeis sehr leicht auf das Wort<lb/>
schwören nud sich an die Phrase klammern, weil ihr praktisches Leben ihnen keine<lb/>
Zeit läßt, sich mit selbstständigem Urtheil um die Einzelheiten der Politik zu<lb/>
kümmern. Diesen Leuten sagt er in der Einleitung: &#x201E;Als Beitrag zur Kritik<lb/>
der politischen Mittelparteien wird hier kein statistisches Material angehäuft, noch<lb/>
weniger eine Eintheilung und Charakteristik der einzelnen Gruppe» durchgeführt<lb/>
&#x2014; &#x2014; »ur die Vorurtheile, unklaren Begriffe und Widersprüche sämmtlicher<lb/>
Mittelparteien sollen großentheils im Zusammenhang mit den wichtigsten Hand¬<lb/>
lungen derselben beleuchtet werden u. s. w." Zu einer solchen Aufgabe der<lb/>
Identitätsphilosophie sind Bruno Bauer und Walter Rogge ungleich befähigter,<lb/>
als Herr von Unruh, theils wegen ihres großem Scharfsinnes, theils weil sie<lb/>
keine eigene politische Vergangenheit zu schonen haben. Herr v. Unruh wird<lb/>
doch immer zu einer Mittelpartei gehören, nicht allein, weil er die Communisten<lb/>
und die Galgenvögel von Profession stets links lassen wird, sondern auch, weil<lb/>
seine Natur eine vermittelnde ist, wie das Rogge ganz richtig auseinandergesetzt<lb/>
hat. Zur Aufklärung der praktische» Leute wird also sei» Buch nicht viel bei¬<lb/>
tragen, und seine eigene Position wird dadurch auch nicht geändert; er würde<lb/>
vergebens suchen, in die demokratische Masse eine wirkliche Disciplin einzuführen,<lb/>
und er würde unter seinen Glaubensgenossen Niemand finden, der ih» bei einer<lb/>
NegierungSüberuahme unterstützen könnte, als Herrn von Kirchmann und Herrn<lb/>
NodbertnS, da ihm anch Waldeck und Temme noch immer zu weit links sein<lb/>
werden. Diese drei Männer werden aber unmöglich die ganze jetzige Verwaltung<lb/>
des Preußischen Staats ersetzen können, und er wird sich daher immer an den<lb/>
Geheimen-Raths-Liberalismus, an die Nevolntionairs in Glacehandschuhen, an<lb/>
die Eigentlichen, an die Doctrinairs wenden müssen. Es wäre also zweckmäßiger</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Novemberpräsidium als den Chef der Partei z» betrachten scheint, hat in seiner neuesten Kritik der Mittelparteien versucht, ein solches Panier aufzupflanzen. Er verwirft mit Verachtung die Vermittelungsversuche der Gethaner, mit Schonung und Ehrfurcht seine eigene centrale Thätigkeit, und erklärt sich für die entschiedene Linke. Man sollte nun meinen, er hätte es wenigstens bis zur Republik gebracht, aber er bleibt bei der „eigentlichen" constitutionellen Monarchie stehen, ob¬ gleich er auf einen Dynastiewechsel anspielt, uach Art der Julirevolution. Das wäre also kein erheblicher principieller Fortschritt, um so mehr, da er die Haupt¬ sache, nämlich die Angabe der Mittel, aus der scheiucoustitutionellen in die eigent¬ lich constitutionelle Monarchie zu gelangen, unbeachtet bei Seite liegen läßt. Er wendet sich mit seiner Arbeit „nicht an die bewußte Demokratie, auch nicht an die Gelehrten von Fach, sondern an Leute des praktischen Lebens." Die bewußte Demokratie ist also der Gegensatz der Leute des praktischen Lebeus. Die Ge¬ lehrten von Fach sollen das Buch auch nicht lesen, weil sie gewohnt sind, über die Buchstaben hinaus zu denken; es ist nur für die Leute des praktischen Lebens bestimmt, d. h. für Diejenige», welche in pvMeis sehr leicht auf das Wort schwören nud sich an die Phrase klammern, weil ihr praktisches Leben ihnen keine Zeit läßt, sich mit selbstständigem Urtheil um die Einzelheiten der Politik zu kümmern. Diesen Leuten sagt er in der Einleitung: „Als Beitrag zur Kritik der politischen Mittelparteien wird hier kein statistisches Material angehäuft, noch weniger eine Eintheilung und Charakteristik der einzelnen Gruppe» durchgeführt — — »ur die Vorurtheile, unklaren Begriffe und Widersprüche sämmtlicher Mittelparteien sollen großentheils im Zusammenhang mit den wichtigsten Hand¬ lungen derselben beleuchtet werden u. s. w." Zu einer solchen Aufgabe der Identitätsphilosophie sind Bruno Bauer und Walter Rogge ungleich befähigter, als Herr von Unruh, theils wegen ihres großem Scharfsinnes, theils weil sie keine eigene politische Vergangenheit zu schonen haben. Herr v. Unruh wird doch immer zu einer Mittelpartei gehören, nicht allein, weil er die Communisten und die Galgenvögel von Profession stets links lassen wird, sondern auch, weil seine Natur eine vermittelnde ist, wie das Rogge ganz richtig auseinandergesetzt hat. Zur Aufklärung der praktische» Leute wird also sei» Buch nicht viel bei¬ tragen, und seine eigene Position wird dadurch auch nicht geändert; er würde vergebens suchen, in die demokratische Masse eine wirkliche Disciplin einzuführen, und er würde unter seinen Glaubensgenossen Niemand finden, der ih» bei einer NegierungSüberuahme unterstützen könnte, als Herrn von Kirchmann und Herrn NodbertnS, da ihm anch Waldeck und Temme noch immer zu weit links sein werden. Diese drei Männer werden aber unmöglich die ganze jetzige Verwaltung des Preußischen Staats ersetzen können, und er wird sich daher immer an den Geheimen-Raths-Liberalismus, an die Nevolntionairs in Glacehandschuhen, an die Eigentlichen, an die Doctrinairs wenden müssen. Es wäre also zweckmäßiger

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/326>, abgerufen am 14.05.2024.