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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Die Ausführung des Problems ist sehr geschickt. Der Prinz von Homburg
-- in dein wir ein Bild des Prinzen Louis Ferdinand und seiner Umgebung
finden, wie sie sich im Gefühl ihrer Genialität gegen die Sitte empörten -- ver¬
letzt im Drange seines Muths u"d in dem voreiligen Glauben an seine bessere
Einsicht den Plan, der das Ganze der Schlacht leiten soll. Das Glück und seine
Tapferkeit geben diesem Uebermuth einen günstigen Ausgang; er schlägt die
Feinde und stellt sich mit den erbeuteten Fahnen im stolzen Gefühl seines Sieges
und des geretteten Vaterlandes dein Fürsten dar. Als Dieser ihm den Degen
abfordert, ist sein erstes Gefühl Bitterkeit über die Pedanterie des Gesetzes,
welches die freie Genialität unterdrückt. Er hat Unrecht, denn es kommt nicht
ans den einzelnen Erfolg an, sondern ans den Geist der Ordnung und des Ge¬
setzes , der die Ewigkeit des Staates sichern soll. Als er zu sich selbst gekommen
ist, verfällt er in den zweiten Fehler, die Sache zu leicht zu nehmen; er läßt
seinen Arrest der Form wegen gelten und rechnet auf schnelle Begnadigung.
Noch hat ihn der Ernst des Gesetzes nicht durchschauert. Dieser Ernst darf aber
nicht fehlen, wenn eine sittliche Wiedergeburt erfolgen soll. Der Fürst überläßt
ihm selbst das Urtheil, und sein Ehrgefühl, genährt in den Formen eines leben¬
digen, sittlich geordneten Staatswesens, erhebt ihn über den Trotz der Selbstsucht,
wie über die unmittelbaren Schrecken des Todes. Die Scene, in welcher die
Letztern ausgemalt werden, ist widerlich, weil man bei dem Soldaten, dem Edel¬
mann?, noch dazu Damen gegenüber, stets der äußerlichen Haltung gewärtig ist;
sie ist aber nothwendig, wenn das Scheinnrtheil sich nicht vollständig ins Komö¬
dienhafte verlieren soll. Der Prinz, wie das ganze Heer, das ihn vergöttert,
muß fühlen, daß es sich um E^ewas mehr handelt, als um eine bloße Form; sie
müssen das volle Gewicht und das volle Recht des Urtheils empfinden und tief
in sich aufnehmen, ehe die Freisprechung erfolgen kann; dann aber muß sie erfol¬
gen, denn in dem echten Kriegerstaat waltet nicht die abstracte Disciplin, das
Heer ist so wenig eine leblose Maschine wie ein zügelloser Hanse, und die freie
Heldenthat hat ihr Recht, sobald sie ihre Schranken anerkennt.

Wie Schade ist es nun, daß dieser klare, gemessene Gang der sittlichen Ent¬
wickelung durch eine ""zeitige Liebelei und ein unbestimmtes somnambules Wesen
sich verwirrt! Das Uebermaß des kriegerischen Feuers kann seine Entschuldigung
finden, die leere Träumerei eiues verliebten Nachtwandlers darf aber der Feldherr
nicht dulden. --

Wenn sich der Prinz von Homburg in dem disciplinirten Heer mit seiner
Liebe bescheidet, so läßt sein Ebenbild in dem wunderbaren Stück Penthesilea
(1808) der Leidenschaft freien Spielraum. Auch hier haben wir ein Krieger¬
leben, das sich wesentlich von dem vorigen unterscheidet und in mancher Beziehung
an Trvilns und Cressida erinnert, obgleich es mit vollkommener Freiheit entwor¬
fen ist. Das Problem gehört vollständig der Romantik an. Die Amazonen-


Die Ausführung des Problems ist sehr geschickt. Der Prinz von Homburg
— in dein wir ein Bild des Prinzen Louis Ferdinand und seiner Umgebung
finden, wie sie sich im Gefühl ihrer Genialität gegen die Sitte empörten — ver¬
letzt im Drange seines Muths u»d in dem voreiligen Glauben an seine bessere
Einsicht den Plan, der das Ganze der Schlacht leiten soll. Das Glück und seine
Tapferkeit geben diesem Uebermuth einen günstigen Ausgang; er schlägt die
Feinde und stellt sich mit den erbeuteten Fahnen im stolzen Gefühl seines Sieges
und des geretteten Vaterlandes dein Fürsten dar. Als Dieser ihm den Degen
abfordert, ist sein erstes Gefühl Bitterkeit über die Pedanterie des Gesetzes,
welches die freie Genialität unterdrückt. Er hat Unrecht, denn es kommt nicht
ans den einzelnen Erfolg an, sondern ans den Geist der Ordnung und des Ge¬
setzes , der die Ewigkeit des Staates sichern soll. Als er zu sich selbst gekommen
ist, verfällt er in den zweiten Fehler, die Sache zu leicht zu nehmen; er läßt
seinen Arrest der Form wegen gelten und rechnet auf schnelle Begnadigung.
Noch hat ihn der Ernst des Gesetzes nicht durchschauert. Dieser Ernst darf aber
nicht fehlen, wenn eine sittliche Wiedergeburt erfolgen soll. Der Fürst überläßt
ihm selbst das Urtheil, und sein Ehrgefühl, genährt in den Formen eines leben¬
digen, sittlich geordneten Staatswesens, erhebt ihn über den Trotz der Selbstsucht,
wie über die unmittelbaren Schrecken des Todes. Die Scene, in welcher die
Letztern ausgemalt werden, ist widerlich, weil man bei dem Soldaten, dem Edel¬
mann?, noch dazu Damen gegenüber, stets der äußerlichen Haltung gewärtig ist;
sie ist aber nothwendig, wenn das Scheinnrtheil sich nicht vollständig ins Komö¬
dienhafte verlieren soll. Der Prinz, wie das ganze Heer, das ihn vergöttert,
muß fühlen, daß es sich um E^ewas mehr handelt, als um eine bloße Form; sie
müssen das volle Gewicht und das volle Recht des Urtheils empfinden und tief
in sich aufnehmen, ehe die Freisprechung erfolgen kann; dann aber muß sie erfol¬
gen, denn in dem echten Kriegerstaat waltet nicht die abstracte Disciplin, das
Heer ist so wenig eine leblose Maschine wie ein zügelloser Hanse, und die freie
Heldenthat hat ihr Recht, sobald sie ihre Schranken anerkennt.

Wie Schade ist es nun, daß dieser klare, gemessene Gang der sittlichen Ent¬
wickelung durch eine »»zeitige Liebelei und ein unbestimmtes somnambules Wesen
sich verwirrt! Das Uebermaß des kriegerischen Feuers kann seine Entschuldigung
finden, die leere Träumerei eiues verliebten Nachtwandlers darf aber der Feldherr
nicht dulden. —

Wenn sich der Prinz von Homburg in dem disciplinirten Heer mit seiner
Liebe bescheidet, so läßt sein Ebenbild in dem wunderbaren Stück Penthesilea
(1808) der Leidenschaft freien Spielraum. Auch hier haben wir ein Krieger¬
leben, das sich wesentlich von dem vorigen unterscheidet und in mancher Beziehung
an Trvilns und Cressida erinnert, obgleich es mit vollkommener Freiheit entwor¬
fen ist. Das Problem gehört vollständig der Romantik an. Die Amazonen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/347>, abgerufen am 31.05.2024.