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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Priester beschwören übrigens auf diese Weise nicht blos Krankheiten, sondern anch
andere Leiden des Menschengeschlechts. So z. B. haben sie den Glauben bei
den gemeinen Leuten verbreitet, es gebe ein Kraut, welches ausschließlich auf
jenem genannten Wunderberge wachse, nur durch eine heilige Nedefvrmel sichtbar
werde und dergestalt auf die Liebe der Mannspersonen wirke, daß eine Dirne,
welche das Kraut an sich trage, förmlich von Liebhabern verfolgt werde und voll¬
kommen vor dem Schicksal gesichert sei, ungeehelicht zu bleiben. Dieses Kraut
nennen sie Ncrow-xlels (Mathiaskraut). Ich habe selbst einen Polnischen Geist¬
lichen, indem er seine Gemeinde zur Wallfahrt nach Czenstvchau aufforderte, unter
andern wunderbaren Dingen, die dort zu finden seien, diese Naoiersielö und
ihre untrügliche Wirkung preisen hören. Natürlich findet Niemand das Kraut.
Wenn die Dirnen aber von der Wallfahrt traurig zurückgekehrt, so erfahre" sie zu
ihrer Freude, daß der Herr Pfarrer beim Suchen des Krautes glücklicher gewesen,
ein ganzes Bündelchen mitgebracht habe und Reischen davon sür so und so viel
Käse, Eier, Kapaune u. drgl. verkaufe. Natürlich strömen nun die Wallfahre¬
rinnen zu ihm, und da trägt es sich denn nicht selten zu, daß der Herr Pfarrer
gleich der erste Liebhaber ist, den die Dirne dnrch das unfehlbare Wunderkraut
gewinnt.

Ich weiß nicht, ob diese ärztliche Praxis, welche dem kranken Herzen gilt,
mehr niederträchtig ist als jene. Wenn z. B. der Pfarrer Ochloginski bei Ka-
luginie seine Kranken mit Teigscheiben heilte, aus welchen ein Kreuz, ein Frauen-
gesicht mit Nimbus und Hieroglyphen abgedrückt waren, so war dieser Doctor
wol noch nicht ein so großer Schuft als der Probst WiniarSki in Jastonna.
Dieser köstliche Arzt, in dessen Hause stets sechs bis sieben reizend hübsche Dienst¬
mädchen zu finden sind, heilte vor einigen Jahren eine schwindsüchtige Bäuerin
aus dem Dorfe eines gewissen Herrn von DomaSzewSki, indem er ihr, so oft
sie zu ihm kam, ein Läppchen zu essen gab, von welchem er vorgab, es sei ein
Stück von dem Kleide der heiligen Mutter Maria. Herr Winiarski ließ sich für
jedes Läppchen zwei Käse (die Polnischen Käse sind ziemlich so groß wie der Kopf
eines 'kleinen Kindes) zahlen, und betrog das arme Weib daher, da er es ein halb
Jahr lang behandelte und es ihn wöchentlich zwei Mal besuchen mußte, um nicht
weniger als hundert und vier Käse, welche ungefähr 60 Gulden oder 10 Thlr.
werth waren.

Wenn es irgend möglich, daß heißt, wenn es mit dem Patienten nicht gar zu
schlimm aussteht, so umgeben die Bauern eben so gern den priesterlichen Arzt,
wie den jüdischen. Sie kennen aber nur drei Heilmittel, die sind Wegebreit,
Schafgarbe und Brauntwein, der angezündet und mit Zucker geschwängert wird,
welchen man in seiner eigenen Flamme zergehen läßt. Daß es ihnen bei jeder
Krankheit gleichgiltig ist, welches von diesen Mitteln sie anwenden, ist begreiflich.
Zum Branntwein greifen sie am Liebsten, und sie füllen ihn den.Patienten, gleich-


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Priester beschwören übrigens auf diese Weise nicht blos Krankheiten, sondern anch
andere Leiden des Menschengeschlechts. So z. B. haben sie den Glauben bei
den gemeinen Leuten verbreitet, es gebe ein Kraut, welches ausschließlich auf
jenem genannten Wunderberge wachse, nur durch eine heilige Nedefvrmel sichtbar
werde und dergestalt auf die Liebe der Mannspersonen wirke, daß eine Dirne,
welche das Kraut an sich trage, förmlich von Liebhabern verfolgt werde und voll¬
kommen vor dem Schicksal gesichert sei, ungeehelicht zu bleiben. Dieses Kraut
nennen sie Ncrow-xlels (Mathiaskraut). Ich habe selbst einen Polnischen Geist¬
lichen, indem er seine Gemeinde zur Wallfahrt nach Czenstvchau aufforderte, unter
andern wunderbaren Dingen, die dort zu finden seien, diese Naoiersielö und
ihre untrügliche Wirkung preisen hören. Natürlich findet Niemand das Kraut.
Wenn die Dirnen aber von der Wallfahrt traurig zurückgekehrt, so erfahre» sie zu
ihrer Freude, daß der Herr Pfarrer beim Suchen des Krautes glücklicher gewesen,
ein ganzes Bündelchen mitgebracht habe und Reischen davon sür so und so viel
Käse, Eier, Kapaune u. drgl. verkaufe. Natürlich strömen nun die Wallfahre¬
rinnen zu ihm, und da trägt es sich denn nicht selten zu, daß der Herr Pfarrer
gleich der erste Liebhaber ist, den die Dirne dnrch das unfehlbare Wunderkraut
gewinnt.

Ich weiß nicht, ob diese ärztliche Praxis, welche dem kranken Herzen gilt,
mehr niederträchtig ist als jene. Wenn z. B. der Pfarrer Ochloginski bei Ka-
luginie seine Kranken mit Teigscheiben heilte, aus welchen ein Kreuz, ein Frauen-
gesicht mit Nimbus und Hieroglyphen abgedrückt waren, so war dieser Doctor
wol noch nicht ein so großer Schuft als der Probst WiniarSki in Jastonna.
Dieser köstliche Arzt, in dessen Hause stets sechs bis sieben reizend hübsche Dienst¬
mädchen zu finden sind, heilte vor einigen Jahren eine schwindsüchtige Bäuerin
aus dem Dorfe eines gewissen Herrn von DomaSzewSki, indem er ihr, so oft
sie zu ihm kam, ein Läppchen zu essen gab, von welchem er vorgab, es sei ein
Stück von dem Kleide der heiligen Mutter Maria. Herr Winiarski ließ sich für
jedes Läppchen zwei Käse (die Polnischen Käse sind ziemlich so groß wie der Kopf
eines 'kleinen Kindes) zahlen, und betrog das arme Weib daher, da er es ein halb
Jahr lang behandelte und es ihn wöchentlich zwei Mal besuchen mußte, um nicht
weniger als hundert und vier Käse, welche ungefähr 60 Gulden oder 10 Thlr.
werth waren.

Wenn es irgend möglich, daß heißt, wenn es mit dem Patienten nicht gar zu
schlimm aussteht, so umgeben die Bauern eben so gern den priesterlichen Arzt,
wie den jüdischen. Sie kennen aber nur drei Heilmittel, die sind Wegebreit,
Schafgarbe und Brauntwein, der angezündet und mit Zucker geschwängert wird,
welchen man in seiner eigenen Flamme zergehen läßt. Daß es ihnen bei jeder
Krankheit gleichgiltig ist, welches von diesen Mitteln sie anwenden, ist begreiflich.
Zum Branntwein greifen sie am Liebsten, und sie füllen ihn den.Patienten, gleich-


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[0359] Priester beschwören übrigens auf diese Weise nicht blos Krankheiten, sondern anch andere Leiden des Menschengeschlechts. So z. B. haben sie den Glauben bei den gemeinen Leuten verbreitet, es gebe ein Kraut, welches ausschließlich auf jenem genannten Wunderberge wachse, nur durch eine heilige Nedefvrmel sichtbar werde und dergestalt auf die Liebe der Mannspersonen wirke, daß eine Dirne, welche das Kraut an sich trage, förmlich von Liebhabern verfolgt werde und voll¬ kommen vor dem Schicksal gesichert sei, ungeehelicht zu bleiben. Dieses Kraut nennen sie Ncrow-xlels (Mathiaskraut). Ich habe selbst einen Polnischen Geist¬ lichen, indem er seine Gemeinde zur Wallfahrt nach Czenstvchau aufforderte, unter andern wunderbaren Dingen, die dort zu finden seien, diese Naoiersielö und ihre untrügliche Wirkung preisen hören. Natürlich findet Niemand das Kraut. Wenn die Dirnen aber von der Wallfahrt traurig zurückgekehrt, so erfahre» sie zu ihrer Freude, daß der Herr Pfarrer beim Suchen des Krautes glücklicher gewesen, ein ganzes Bündelchen mitgebracht habe und Reischen davon sür so und so viel Käse, Eier, Kapaune u. drgl. verkaufe. Natürlich strömen nun die Wallfahre¬ rinnen zu ihm, und da trägt es sich denn nicht selten zu, daß der Herr Pfarrer gleich der erste Liebhaber ist, den die Dirne dnrch das unfehlbare Wunderkraut gewinnt. Ich weiß nicht, ob diese ärztliche Praxis, welche dem kranken Herzen gilt, mehr niederträchtig ist als jene. Wenn z. B. der Pfarrer Ochloginski bei Ka- luginie seine Kranken mit Teigscheiben heilte, aus welchen ein Kreuz, ein Frauen- gesicht mit Nimbus und Hieroglyphen abgedrückt waren, so war dieser Doctor wol noch nicht ein so großer Schuft als der Probst WiniarSki in Jastonna. Dieser köstliche Arzt, in dessen Hause stets sechs bis sieben reizend hübsche Dienst¬ mädchen zu finden sind, heilte vor einigen Jahren eine schwindsüchtige Bäuerin aus dem Dorfe eines gewissen Herrn von DomaSzewSki, indem er ihr, so oft sie zu ihm kam, ein Läppchen zu essen gab, von welchem er vorgab, es sei ein Stück von dem Kleide der heiligen Mutter Maria. Herr Winiarski ließ sich für jedes Läppchen zwei Käse (die Polnischen Käse sind ziemlich so groß wie der Kopf eines 'kleinen Kindes) zahlen, und betrog das arme Weib daher, da er es ein halb Jahr lang behandelte und es ihn wöchentlich zwei Mal besuchen mußte, um nicht weniger als hundert und vier Käse, welche ungefähr 60 Gulden oder 10 Thlr. werth waren. Wenn es irgend möglich, daß heißt, wenn es mit dem Patienten nicht gar zu schlimm aussteht, so umgeben die Bauern eben so gern den priesterlichen Arzt, wie den jüdischen. Sie kennen aber nur drei Heilmittel, die sind Wegebreit, Schafgarbe und Brauntwein, der angezündet und mit Zucker geschwängert wird, welchen man in seiner eigenen Flamme zergehen läßt. Daß es ihnen bei jeder Krankheit gleichgiltig ist, welches von diesen Mitteln sie anwenden, ist begreiflich. Zum Branntwein greifen sie am Liebsten, und sie füllen ihn den.Patienten, gleich- 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/359>, abgerufen am 28.05.2024.