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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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viel ob Männer, Kinder oder Wöchnerinnen, gewöhnlich kannenweise ein. Sehen
sie endlich, daß trotz dieser Forcirnng dem Patienten die Angen zum Sterben
brechen, so stürzen sie zu dem Pfarrer oder dem Juden, bisweilen wol in der
Angst zu Beiden zugleich, und dann geschieht es, daß das Zusammentreffen des
Juden und des katholischen Geistlichen am Krankenlager des Bauers eine über¬
aus komische Scene veranlaßt. Der Jude natürlich muß weichen, und es kommt
wol vor, daß ans Befehl des zürnenden Geistlichen der jüdische Medicus von den
Angehörigen des Patienten geradezu zur Hütte hinausgeprügelt wird.

Die Unverschämtheit der Pfaffen übersteigt in ihrer ärztlichen Anmaßung
zuweilen alle Begriffe, und es dürfte kaum glaublich erscheinen, daß ein ziemlich
jugendlicher Probst im Gubernium Lubliu sich sogar des Hebammengeschäftes zu
bemächtigen suchte und von der Kanzel herab predigte, daß Kinder, welche durch
einen geweiheten Priester an's Licht des Lebens befördert werden, Gott wohlge¬
fällig seien, nicht aber solche, welche unter dem Beistande eines Weibes geboren
werden. Der lüsterne Bursche übte wirklich die Hebammenpraxis eine kurze Zeit
aus. Dann aber kam es zu einer Anzeige beim Kreisgericht in Lubliu, und
dieses fand sich bewogen, die Versetzung des Herrn Probst in ein anderes Kirch¬
spiel zu veranlassen.

Gegen dieses Geschäft schritt allerdings die Regierung ein. Allein gegen die.
anderweite ärztliche Praxis der Juden und Pfaffen hat sie Nichts einzuwenden,
und doch kennt sie die Gaunerei sehr wohl. Aber was für einen Ersatz sollte
sie geben, wollte sie dieselbe verbieten? In einem frühern Jahrzehend hatte sie'
den Edelleuten empfohlen, Medicamente in ihrem Hanse zu halten, und sie den
Bauern unentgeltlich zu Theil werden zu lassen. In Folge davon ist es denn
auch Sitte der Edelleute.geworden, eine Art Hausapotheke zu hallen. Sie besteht
in Thee und einigen Brechmitteln. Wie aber diese Mittel anzuwenden, weiß kein
Edelmann, und er giebt daher, was seine Hand zufällig ergreift.

Man kann dreist behaupten, daß in Polen vier Fünftheile der Menschen
ohne wirkliche ärztliche Behandlung ihre Krankheiten aushalten und endlich sterben.
Ein Fünftheil stirbt ohne alle Hilfe, drei Fünftheile werden von den Betrügern
gemordet, und ein Fünftheil, das der Städte, erfreut sich eines etwas cultivirtem
Todes. Und leider ist dem Uebel durchaus nicht abzuhelfen, so lange nicht die andern
Verhältnisse, von denen Wohlstand und Bildung abhängen, sich zuvor ändern.
Davon hat sich die Regierung so überzeugt, daß sie endlich mich den von der
Universität zu Wilna noch übrig gebliebenen Lehrstuhl der Chirurgie als ein un¬
nützes Ding weggeschafft hat. Aus die größern Städte berechnet sie einzig ihre
Einrichtungen, weil sie in denselben doch wenigstens nicht fruchtlos sind. So
besteht z. B. in Warschau eine ärztliche und pharmaceutische Examinations-
commission. Der Arzt hat wie der Apotheker zwei Prüfungen zu bestehen. Jed¬
weder, der da. kommt, wird zur Examiuation angenommen. Ob er Studien


viel ob Männer, Kinder oder Wöchnerinnen, gewöhnlich kannenweise ein. Sehen
sie endlich, daß trotz dieser Forcirnng dem Patienten die Angen zum Sterben
brechen, so stürzen sie zu dem Pfarrer oder dem Juden, bisweilen wol in der
Angst zu Beiden zugleich, und dann geschieht es, daß das Zusammentreffen des
Juden und des katholischen Geistlichen am Krankenlager des Bauers eine über¬
aus komische Scene veranlaßt. Der Jude natürlich muß weichen, und es kommt
wol vor, daß ans Befehl des zürnenden Geistlichen der jüdische Medicus von den
Angehörigen des Patienten geradezu zur Hütte hinausgeprügelt wird.

Die Unverschämtheit der Pfaffen übersteigt in ihrer ärztlichen Anmaßung
zuweilen alle Begriffe, und es dürfte kaum glaublich erscheinen, daß ein ziemlich
jugendlicher Probst im Gubernium Lubliu sich sogar des Hebammengeschäftes zu
bemächtigen suchte und von der Kanzel herab predigte, daß Kinder, welche durch
einen geweiheten Priester an's Licht des Lebens befördert werden, Gott wohlge¬
fällig seien, nicht aber solche, welche unter dem Beistande eines Weibes geboren
werden. Der lüsterne Bursche übte wirklich die Hebammenpraxis eine kurze Zeit
aus. Dann aber kam es zu einer Anzeige beim Kreisgericht in Lubliu, und
dieses fand sich bewogen, die Versetzung des Herrn Probst in ein anderes Kirch¬
spiel zu veranlassen.

Gegen dieses Geschäft schritt allerdings die Regierung ein. Allein gegen die.
anderweite ärztliche Praxis der Juden und Pfaffen hat sie Nichts einzuwenden,
und doch kennt sie die Gaunerei sehr wohl. Aber was für einen Ersatz sollte
sie geben, wollte sie dieselbe verbieten? In einem frühern Jahrzehend hatte sie'
den Edelleuten empfohlen, Medicamente in ihrem Hanse zu halten, und sie den
Bauern unentgeltlich zu Theil werden zu lassen. In Folge davon ist es denn
auch Sitte der Edelleute.geworden, eine Art Hausapotheke zu hallen. Sie besteht
in Thee und einigen Brechmitteln. Wie aber diese Mittel anzuwenden, weiß kein
Edelmann, und er giebt daher, was seine Hand zufällig ergreift.

Man kann dreist behaupten, daß in Polen vier Fünftheile der Menschen
ohne wirkliche ärztliche Behandlung ihre Krankheiten aushalten und endlich sterben.
Ein Fünftheil stirbt ohne alle Hilfe, drei Fünftheile werden von den Betrügern
gemordet, und ein Fünftheil, das der Städte, erfreut sich eines etwas cultivirtem
Todes. Und leider ist dem Uebel durchaus nicht abzuhelfen, so lange nicht die andern
Verhältnisse, von denen Wohlstand und Bildung abhängen, sich zuvor ändern.
Davon hat sich die Regierung so überzeugt, daß sie endlich mich den von der
Universität zu Wilna noch übrig gebliebenen Lehrstuhl der Chirurgie als ein un¬
nützes Ding weggeschafft hat. Aus die größern Städte berechnet sie einzig ihre
Einrichtungen, weil sie in denselben doch wenigstens nicht fruchtlos sind. So
besteht z. B. in Warschau eine ärztliche und pharmaceutische Examinations-
commission. Der Arzt hat wie der Apotheker zwei Prüfungen zu bestehen. Jed¬
weder, der da. kommt, wird zur Examiuation angenommen. Ob er Studien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/360>, abgerufen am 14.05.2024.