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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gewöhnlich keine großen Bekanntschaften an einem Orte zu machen, denn sobald
die Polizei von ihrem Dasein unterrichtet ist, und besonders, wenn sich eben in
der Gegend communistische Tendenzen kundgeben, wird die Gesellschaft ersucht,
ihre Siebensachen zusammen zu packen, und sie zieht zu einem andern Dorfe,
um dort wieder nach einigen Tagen oder Wochen an die Wandelbarkeit des ir¬
dischen Lebens erinnert zu werde" n. s. w. Natürlich tragen die Dorfschmiede
nicht wenig bei, um das Fortkommen dieser lästigen Nebenbuhler zu fördern. --
Diese Klasse, welche größtentheils aus.der Wallachei und Siebenbürgen zu komme"
pflegt, wird die der Oläh - Zigeuner (Otus-Wallache) genannt.

Die zweite Klasse der Pharaoniden lebt in, oder vielmehr neben Dörfern in
sogenannten festen Wohnsitzen. Diese ist im Anfang vermuthlich dadurch ent¬
standen, daß mehrere Familien der herumwandernden Olähzigeuncr sich an ge¬
wissen Orten niederließen, und dem Nomadenleben für immer entsagten. Wie
der Jude in seinem Getto, so lebt hier der Zigeuner auf seiner "Zeile", so werden
die fast durchgehend" nnr aus einer Reihe niedriger, mehr von Schmuz als von
dem Baumaterial zusammengehaltener Häuschen bestehenden Zigeunercolonien ge¬
nannt, die an den Enden der meisten Ungarischen Dörfer und kleinern Städte z"
treffen sind.

In dieser Klasse finden wir mehrere Unterabteilungen nach den verschiedenen
Hantirungen und Gewerben der stabilen Zigeuner: Schmiede, die nun hier eine
oft sehr gut eingerichtete Werkstelle haben; Ziegelbrenner, Goldwäscher (besonders
in Siebenbürgen) und Pferdehändler, die durch ihre Fertigkeit, alte Pferde jung
und magere fett zu machen -- Ersteres wird durch Abfeilen des Zahnbelegs,
Letzteres durch Fütterung mit Kleien und Mühlstaub, und durch die Vorsicht, die
Pferde nie zu Durst kommen zu lassen, sondern ihnen die Bäuche stets mit einer
Quantität Wasser angefüllt zu erhalten, bewerkstelligt -- eine Berühmtheit erlangt
haben. Ich will hier meinen Lesern ein kleines Beispiel von der Art und Weise
anführen, wie diese Leute ihre Geschäfte abzumachen pflege". Auf einem Pserde-
markte stand einst ein Zigeuner, und bot ein prachtvolles Siebenbürgen Vollblut¬
pferd zum Verkauf a". Das schöne Roß ließ ans den ersten Anblick eine" Preis
von 3--tOO Guide" Münze vermuthen, und es wunderte sich Jedermann, wie
ein solches Prachtstück in die Hände eines Zigeuners gelaugt sein mochte; allein
wer näher trat,, erfuhr bald, daß das schöne Thier auf einem Fuße total lahm
war, weswegen anch der Händler nnr 60 Gulden Münze für dasselbe verlangte,
was aber natürlich Niemand geben wollte, da ein lahmes Pferd, sei es noch
so schön, doch immer nnr vor einen Mistkarren gehört. Der Zigeuner pries
lange vergebens den Vorübergehende" das lahme Thier an, bis endlich ein Jude
kam, und das Pferd für öO Gulden Münze erhandelte. Zwei junge Edelleute,
die dem Handel von ferne zusahen, waren nun neugierig zu wisse", was den Jude"
bewogen habe" könnte, 30 Gulden für ein lahmes Pferd zu geben; andererseits


gewöhnlich keine großen Bekanntschaften an einem Orte zu machen, denn sobald
die Polizei von ihrem Dasein unterrichtet ist, und besonders, wenn sich eben in
der Gegend communistische Tendenzen kundgeben, wird die Gesellschaft ersucht,
ihre Siebensachen zusammen zu packen, und sie zieht zu einem andern Dorfe,
um dort wieder nach einigen Tagen oder Wochen an die Wandelbarkeit des ir¬
dischen Lebens erinnert zu werde» n. s. w. Natürlich tragen die Dorfschmiede
nicht wenig bei, um das Fortkommen dieser lästigen Nebenbuhler zu fördern. —
Diese Klasse, welche größtentheils aus.der Wallachei und Siebenbürgen zu komme»
pflegt, wird die der Oläh - Zigeuner (Otus-Wallache) genannt.

Die zweite Klasse der Pharaoniden lebt in, oder vielmehr neben Dörfern in
sogenannten festen Wohnsitzen. Diese ist im Anfang vermuthlich dadurch ent¬
standen, daß mehrere Familien der herumwandernden Olähzigeuncr sich an ge¬
wissen Orten niederließen, und dem Nomadenleben für immer entsagten. Wie
der Jude in seinem Getto, so lebt hier der Zigeuner auf seiner „Zeile", so werden
die fast durchgehend« nnr aus einer Reihe niedriger, mehr von Schmuz als von
dem Baumaterial zusammengehaltener Häuschen bestehenden Zigeunercolonien ge¬
nannt, die an den Enden der meisten Ungarischen Dörfer und kleinern Städte z»
treffen sind.

In dieser Klasse finden wir mehrere Unterabteilungen nach den verschiedenen
Hantirungen und Gewerben der stabilen Zigeuner: Schmiede, die nun hier eine
oft sehr gut eingerichtete Werkstelle haben; Ziegelbrenner, Goldwäscher (besonders
in Siebenbürgen) und Pferdehändler, die durch ihre Fertigkeit, alte Pferde jung
und magere fett zu machen — Ersteres wird durch Abfeilen des Zahnbelegs,
Letzteres durch Fütterung mit Kleien und Mühlstaub, und durch die Vorsicht, die
Pferde nie zu Durst kommen zu lassen, sondern ihnen die Bäuche stets mit einer
Quantität Wasser angefüllt zu erhalten, bewerkstelligt — eine Berühmtheit erlangt
haben. Ich will hier meinen Lesern ein kleines Beispiel von der Art und Weise
anführen, wie diese Leute ihre Geschäfte abzumachen pflege». Auf einem Pserde-
markte stand einst ein Zigeuner, und bot ein prachtvolles Siebenbürgen Vollblut¬
pferd zum Verkauf a». Das schöne Roß ließ ans den ersten Anblick eine» Preis
von 3—tOO Guide» Münze vermuthen, und es wunderte sich Jedermann, wie
ein solches Prachtstück in die Hände eines Zigeuners gelaugt sein mochte; allein
wer näher trat,, erfuhr bald, daß das schöne Thier auf einem Fuße total lahm
war, weswegen anch der Händler nnr 60 Gulden Münze für dasselbe verlangte,
was aber natürlich Niemand geben wollte, da ein lahmes Pferd, sei es noch
so schön, doch immer nnr vor einen Mistkarren gehört. Der Zigeuner pries
lange vergebens den Vorübergehende» das lahme Thier an, bis endlich ein Jude
kam, und das Pferd für öO Gulden Münze erhandelte. Zwei junge Edelleute,
die dem Handel von ferne zusahen, waren nun neugierig zu wisse», was den Jude»
bewogen habe» könnte, 30 Gulden für ein lahmes Pferd zu geben; andererseits


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/388>, abgerufen am 28.05.2024.