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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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auch der Tannenzweig als Zierde dienen muß. In der Umgebung des Brockens
tragen die Bänme nach der Windseite hin eine schützende Moosdecke; farbloses
Moos tritt ans dem Oberharze auch an die Stelle des blumigen Wiesenteppichs.
-- Aber nicht allein dein Hüttenwesen dienen die Waldungen. Wir hörten be¬
reits, daß die Stämme besonders durch die Harzeburger Eisenbahn als Bauholz
ins offene Land gelangen, wo sie nicht selten von Harzzimmerleutcn bis zum Richten
der Häuser bearbeitet werden. Auch wird Holz in hoch gelegenen Ortschaften, wie
in Molmerswende, Friedrichsbrunn und Benneckeustcin, zu Molken (Mulden), Klam¬
mern, Löffeln, Kellen und "Tagstöcken" lMehstvcken) verarbeitet. Die meisten dieser
Fabrikate werden von den Fabrikanten selbst, deren Heimathsörtcr in der Negel
wegen des Holzdicbstahls, zu dem sich gewöhnlich noch andere Untugenden, z. B.
das Coutrebaudiren, gesellen, ins offene Land hinunter getragen und geschoben.
Uralte Briefe ziehen diese Handelsleute hier hervor von Anverwandten der Land¬
bewohner im Gebirge, und nehmen Grüße an sie wieder mit zurück, denu der
Postverkehr nach den entlegener" Harzörtern ist, wenn nicht die nachmärzlichen Han-
delsminister hier Wunder gewirkt haben, noch immer nicht recht im Gange. --
Der Holzverbrauch auf dem Herde der Harzer wird, ohne Holzdiebstahl, noch
jetzt von den dürren Bäumen und Zacken bestritten, da die Forstwirthschaft sich
nnr um den grünen und lebendigen Baum kümmert. Man heizt übsrall fast
das ganze Jahr hindurch die Stuben, und nennt es Staatmachen, auch wol
"Stolberger Staat", wenn daun vor Hitze die Fenster in den sonnigen Stunden
aufgesperrt werden. Der "Wiesenwachs" des Unterharzes ist so reich, daß manche
kleinere Wirthschaft, trotz einer verhältnißmäßig bedeutenden Viehzucht, noch davon
in die ebenere Umgebung des Gebirges hinab verkauft. Das Gras wird dann
verkauft, ehe es geschnitten ist, dann aber noch von den Knechten der Verkäufer
geschnitten, und von den Töchtern und Mägden getrocknet, worin manche Predi¬
gerfamilien einen ganz besonder" Ruf haben, und alsdann wird das Heu von den
Wagen des Käufers abgeholt gegen eine Summe, welche die Haupteinnahme
manches Pfarrers an baarem Gelde für das ganze Jahr bildet. Mit dem Ge¬
müsebau sieht es am Schlimmsten aus, da nicht einmal jeder Schullehrer
und Landprediger seinen Garten hat. Dafür haben einzelne Städte und Dörfer
am Fuße des Gebirges ungeheure Gärtnereien; so am nördlichen AbHange
Quedlinburg und Westerhausen. Diese Gemüse führen theils die schon genannten
Harzträgerinnen, in langer Reihe schaarenweise ans den geebneten Straßen hinter
einander her gehend, dem Gebirge zu, theils die betriebsamen Bauern von Wester¬
hausen, Zipollen- oder Mauren- (Mohrrüben-) Könige genannt, die wie Handels-
juden mit Gemüse hausiren gehen. Der Obstbau ist nur am Gebirgörande bedeutend,
wo sich besonders viele Kirschen, anch Wallnüsse finden, und fehlt im Oberharze.
Das Korn für den Bedarf des Harzes und namentlich des Oberharzes wird von
sogenannten Eseltreibern im offenen Lande ausgekauft, die man in Caravanen ihre


auch der Tannenzweig als Zierde dienen muß. In der Umgebung des Brockens
tragen die Bänme nach der Windseite hin eine schützende Moosdecke; farbloses
Moos tritt ans dem Oberharze auch an die Stelle des blumigen Wiesenteppichs.
— Aber nicht allein dein Hüttenwesen dienen die Waldungen. Wir hörten be¬
reits, daß die Stämme besonders durch die Harzeburger Eisenbahn als Bauholz
ins offene Land gelangen, wo sie nicht selten von Harzzimmerleutcn bis zum Richten
der Häuser bearbeitet werden. Auch wird Holz in hoch gelegenen Ortschaften, wie
in Molmerswende, Friedrichsbrunn und Benneckeustcin, zu Molken (Mulden), Klam¬
mern, Löffeln, Kellen und „Tagstöcken" lMehstvcken) verarbeitet. Die meisten dieser
Fabrikate werden von den Fabrikanten selbst, deren Heimathsörtcr in der Negel
wegen des Holzdicbstahls, zu dem sich gewöhnlich noch andere Untugenden, z. B.
das Coutrebaudiren, gesellen, ins offene Land hinunter getragen und geschoben.
Uralte Briefe ziehen diese Handelsleute hier hervor von Anverwandten der Land¬
bewohner im Gebirge, und nehmen Grüße an sie wieder mit zurück, denu der
Postverkehr nach den entlegener» Harzörtern ist, wenn nicht die nachmärzlichen Han-
delsminister hier Wunder gewirkt haben, noch immer nicht recht im Gange. —
Der Holzverbrauch auf dem Herde der Harzer wird, ohne Holzdiebstahl, noch
jetzt von den dürren Bäumen und Zacken bestritten, da die Forstwirthschaft sich
nnr um den grünen und lebendigen Baum kümmert. Man heizt übsrall fast
das ganze Jahr hindurch die Stuben, und nennt es Staatmachen, auch wol
„Stolberger Staat", wenn daun vor Hitze die Fenster in den sonnigen Stunden
aufgesperrt werden. Der „Wiesenwachs" des Unterharzes ist so reich, daß manche
kleinere Wirthschaft, trotz einer verhältnißmäßig bedeutenden Viehzucht, noch davon
in die ebenere Umgebung des Gebirges hinab verkauft. Das Gras wird dann
verkauft, ehe es geschnitten ist, dann aber noch von den Knechten der Verkäufer
geschnitten, und von den Töchtern und Mägden getrocknet, worin manche Predi¬
gerfamilien einen ganz besonder» Ruf haben, und alsdann wird das Heu von den
Wagen des Käufers abgeholt gegen eine Summe, welche die Haupteinnahme
manches Pfarrers an baarem Gelde für das ganze Jahr bildet. Mit dem Ge¬
müsebau sieht es am Schlimmsten aus, da nicht einmal jeder Schullehrer
und Landprediger seinen Garten hat. Dafür haben einzelne Städte und Dörfer
am Fuße des Gebirges ungeheure Gärtnereien; so am nördlichen AbHange
Quedlinburg und Westerhausen. Diese Gemüse führen theils die schon genannten
Harzträgerinnen, in langer Reihe schaarenweise ans den geebneten Straßen hinter
einander her gehend, dem Gebirge zu, theils die betriebsamen Bauern von Wester¬
hausen, Zipollen- oder Mauren- (Mohrrüben-) Könige genannt, die wie Handels-
juden mit Gemüse hausiren gehen. Der Obstbau ist nur am Gebirgörande bedeutend,
wo sich besonders viele Kirschen, anch Wallnüsse finden, und fehlt im Oberharze.
Das Korn für den Bedarf des Harzes und namentlich des Oberharzes wird von
sogenannten Eseltreibern im offenen Lande ausgekauft, die man in Caravanen ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/473>, abgerufen am 29.05.2024.