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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Mai 1848 über die Pforten der damaligen "Ständehäuser" geschrieben, so wäre
man mindestens für einen reactionairen Tvllhäusler erklärt worden. Wenn hente
das ominöse Wort an einem Pfahle der Pfingstweide, an einem Baume des
Kastanienwäldchens, ja selbst an der Anlapforte zu Wien erglänzte, so würde man
den Zettel eiligst abreiße", aber deshalb die drohende Wahrscheinlichkeit nicht un¬
wahrscheinlicher erachten. So arm sind wir in vier Jahren geworden! -- Wie
in vielem Andern ist sich das Münchener Publicum auch darin treu geblieben, den
Versammlungsort der beiden Kammern des Reiches fortwährend Ständehaus zu
nennen. Und über der Pforte der Kammer der Reichsrathe hat niemals Kesur-
r<;eturi8 gestanden, doch anch moridrmüis nur in verschwommenen Lettern während
der wildesten Rauschzeit. Die Mitglieder der Versammlung faßten aber am 8. April
1848 einen einstimmigen Beschluß, welcher heut wie aus abgeschiedenen Zeiten
erklingt. Ob nämlich "zwar nach dz. Is lit. II. Ed. 10 der V.-U. nur der
Kammer der Abgeordneten geboten, aber weder hierin noch anderswo der Kammer
der Reichsrathe verboten, die allgemeinen Sitzungen öffentlich zu halten ....
beschließt die Kammer, daß nunmehr die allgemeinen Berathungen künftig regel¬
mäßig nur in öffentlichen Sitzungen abzuhalten." Es geschah dies zehn Tage,
nachdem dieselbe hohe Kammer deu Frankfurter Fünfzigerausschuß durch eine Abord¬
nung beschickt hatte, vierzehn Tage, nachdem sie freies Wort in Schrift und Rede,
Ablösung der Grundlasten, öffentlich-mündliche Rechtspflege mit Schwurgerichten,
ein Polizeistrasgcsetzbuch "mit tiefgefühlten Danke als allerhöchste Zusage", die
Verbesserung der Verhältnisse der Jsraeliten als Gebot der Humanität, die Auf¬
hebung des Lotto als Hebung der Sittlichkeit und des Nationalwohlstandes, all¬
gemeine zeitgemäße Volksbewaffnung als Gewährleistung der innern Sicherheit
Baierns und Verdoppelung seiner Kraft nach außen in ihrer Adresse an den Thron
gepriesen. Gewiß, nur hämische Bosheit hatte das Geheimniß ihrer Berathungen
bisher zu der Verleumdung benutzt, als seien sie die Gegner constitutioneller Ent¬
wickelungen. Nein, sie bilden eine echte, starke Pairie, durch ihre materielle Macht
unabhängig nach oben und unten, einen Wall gegen unheilvolle Ueberstürzuugeu,
eine Brustwehr gegen revvlntivnsverewigcnde Reaction.

Viele lächelten einigermaßen ironisch, als sie die höchst enge Treppe hinauf¬
kletterten zu dem äußerst beschränkten Raume der Zuhörer. Dies galt dem Ge¬
danken , daß die Anziehungskraft der Berathungen jener neunundfünfzig bescheiden
unterschätzt worden sei, von denen mindestens 42 älteste Söhne erzeugen, die
schon im Mutterleib berufen sind: "in öffentlichen Versammlungen die Weisheit
der Berathung zu verstärken, ohne die Kraft der Regierung zu schwächen" (Ein¬
leitung zur V.-U.). -- Die ironischen Lächter hatten damals anch Recht; die
schmale Galerie war immer überfüllt, namentlich von Damen, was jedenfalls
außerparlamentarischen Ursachen eben so wenig zugeschrieben werden konnte, als
parlamentarischen Gründe", daß bereits uach kürzester Zeit die schmale Galerie


Mai 1848 über die Pforten der damaligen „Ständehäuser" geschrieben, so wäre
man mindestens für einen reactionairen Tvllhäusler erklärt worden. Wenn hente
das ominöse Wort an einem Pfahle der Pfingstweide, an einem Baume des
Kastanienwäldchens, ja selbst an der Anlapforte zu Wien erglänzte, so würde man
den Zettel eiligst abreiße», aber deshalb die drohende Wahrscheinlichkeit nicht un¬
wahrscheinlicher erachten. So arm sind wir in vier Jahren geworden! — Wie
in vielem Andern ist sich das Münchener Publicum auch darin treu geblieben, den
Versammlungsort der beiden Kammern des Reiches fortwährend Ständehaus zu
nennen. Und über der Pforte der Kammer der Reichsrathe hat niemals Kesur-
r<;eturi8 gestanden, doch anch moridrmüis nur in verschwommenen Lettern während
der wildesten Rauschzeit. Die Mitglieder der Versammlung faßten aber am 8. April
1848 einen einstimmigen Beschluß, welcher heut wie aus abgeschiedenen Zeiten
erklingt. Ob nämlich „zwar nach dz. Is lit. II. Ed. 10 der V.-U. nur der
Kammer der Abgeordneten geboten, aber weder hierin noch anderswo der Kammer
der Reichsrathe verboten, die allgemeinen Sitzungen öffentlich zu halten ....
beschließt die Kammer, daß nunmehr die allgemeinen Berathungen künftig regel¬
mäßig nur in öffentlichen Sitzungen abzuhalten." Es geschah dies zehn Tage,
nachdem dieselbe hohe Kammer deu Frankfurter Fünfzigerausschuß durch eine Abord¬
nung beschickt hatte, vierzehn Tage, nachdem sie freies Wort in Schrift und Rede,
Ablösung der Grundlasten, öffentlich-mündliche Rechtspflege mit Schwurgerichten,
ein Polizeistrasgcsetzbuch „mit tiefgefühlten Danke als allerhöchste Zusage", die
Verbesserung der Verhältnisse der Jsraeliten als Gebot der Humanität, die Auf¬
hebung des Lotto als Hebung der Sittlichkeit und des Nationalwohlstandes, all¬
gemeine zeitgemäße Volksbewaffnung als Gewährleistung der innern Sicherheit
Baierns und Verdoppelung seiner Kraft nach außen in ihrer Adresse an den Thron
gepriesen. Gewiß, nur hämische Bosheit hatte das Geheimniß ihrer Berathungen
bisher zu der Verleumdung benutzt, als seien sie die Gegner constitutioneller Ent¬
wickelungen. Nein, sie bilden eine echte, starke Pairie, durch ihre materielle Macht
unabhängig nach oben und unten, einen Wall gegen unheilvolle Ueberstürzuugeu,
eine Brustwehr gegen revvlntivnsverewigcnde Reaction.

Viele lächelten einigermaßen ironisch, als sie die höchst enge Treppe hinauf¬
kletterten zu dem äußerst beschränkten Raume der Zuhörer. Dies galt dem Ge¬
danken , daß die Anziehungskraft der Berathungen jener neunundfünfzig bescheiden
unterschätzt worden sei, von denen mindestens 42 älteste Söhne erzeugen, die
schon im Mutterleib berufen sind: „in öffentlichen Versammlungen die Weisheit
der Berathung zu verstärken, ohne die Kraft der Regierung zu schwächen" (Ein¬
leitung zur V.-U.). — Die ironischen Lächter hatten damals anch Recht; die
schmale Galerie war immer überfüllt, namentlich von Damen, was jedenfalls
außerparlamentarischen Ursachen eben so wenig zugeschrieben werden konnte, als
parlamentarischen Gründe«, daß bereits uach kürzester Zeit die schmale Galerie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/476>, abgerufen am 14.05.2024.