Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder viel zu weit wurde. Die Welt ist nun einmal wunderbar. Heut ruft sie
Hosiannah, morgen Kreuziget, und in München ist sie der Neichsrathskammer untreu
geworden, schon ehe die jetzige Pvlizeiepoche die Wirthe zur Berichterstattung
über das Gespräch ihrer Gäste aufforderte. Es konnte also nicht einmal Be-
sorgniß vor Ueberfülle des Stoffes für bierbänkliche Bemerkungen sein,'die etwa
nach drei oder vier Jahren plötzlich als Verbrechen bestraft werden könnten.

Diese Vereinsamung aus der reichsräthlichen Galerie trägt dazu bei, daß
man dort oben mitunter von ungehörigen Gedanken belästigt wird, wenn uns
die heraufklingenden nicht beschäftigen. Dies ist oft der Fall, und mag vielleicht
daher kommen, weil man sich in der Atmosphäre der Noblesse immerhin einiger¬
maßen befangen fühlt, wenn auch die Art, womit bisweilen "jenseitige" d. h.
"schwesterkämmerliche" Meinungen und Aeßerungen abgethan werden, den deutlichsten
Beweis führt, daß die hohen Mitglieder sich ganz unter sich wissen. Am Erha¬
bensten ergreift uns aber jedesmal die Zeitspanne, welche zwischen dem Stunden¬
schlage der anberaumten Sitzung und deren Beginn verstreicht, so kurz auch der
Zeitraum ist, da aristokratische Pünktlichkeit eine fortgeerbte Tugend blieb. Ja
selbst diese Minuten würden nicht existiren, wenn sie nicht im Versammlungszim-
mer zur Abhaltung einer kleinen Cour bei den Mitgliedern von Geblüt benutzt
würden. Die audern vollblütigen Mitglieder sind meistens schon ein Halbstündchen
beisammen, und wägen dort die Dinge bereits ab, deren Resultat uns nur vor¬
geführt wird. Bis dies beginnt, ist der große Saal leer, schweigsam, golden
und purpurroth. Purpurrothe Wände mit goldenen Einfassungen, inmitten
derselben zwei unermeßlich schwere goldene Nahmen einander gegenüber, und
im einen König Max Joseph, im andern König Ludwig, beide in purpur¬
rothen Mänteln. Purpurrothe, schwerseideue Vorhänge an den drei Fenstern
uns gegenüber, den schmalen Lichtstrom, dem sie Eingang gestatten, noch durch
breite goldene Fransen verengernd. Ueber den ganzen Boden ausgebreitet ein
dicker weicher Teppich, aus dessen purpurfarbigem Grunde sich lichtere Arabesken
emporheben, und die Malerei der Decke scheint sein Spiegelbild. Eine gewisse
purpurne Dämmerung liegt über dem Ganzen. Man lernt IM verstehen, was
Hr. v. Schiller unter "purpurner Finsterniß" meinte, als er einen Taucher vom
Meere erzählen ließ, wo er "unter Larven die einzige fühlende Brust" gewesen
war. Natürlich darf man nicht an diesen Nachsatz denken. Denn eine fühlende
schlüpft jetzt bereits im höflichsten schwarzen Frack und dem saubersten weißen
Halstuche da unten ans einer kleinen versteckten Thür, und legt mit einer ge¬
wissen Ehrfurcht große weiße Bogen auf den Katafalk um einige Betschemel.

Dieser schwarze, schon in seinen schweigenden Manieren höfliche Mann ist
übrigens eine interessante Gestalt. Er war gerade so schwarzbesrackt und sauber¬
glatt, da Deutschland ganz demokratisirt war. Und der kleine Orden im linken
Knopflochs lächelte contrerevolutionair verächtlich in die errnngenschastsreiche Welt,


Grenzboten. II. 1851. 39

wieder viel zu weit wurde. Die Welt ist nun einmal wunderbar. Heut ruft sie
Hosiannah, morgen Kreuziget, und in München ist sie der Neichsrathskammer untreu
geworden, schon ehe die jetzige Pvlizeiepoche die Wirthe zur Berichterstattung
über das Gespräch ihrer Gäste aufforderte. Es konnte also nicht einmal Be-
sorgniß vor Ueberfülle des Stoffes für bierbänkliche Bemerkungen sein,'die etwa
nach drei oder vier Jahren plötzlich als Verbrechen bestraft werden könnten.

Diese Vereinsamung aus der reichsräthlichen Galerie trägt dazu bei, daß
man dort oben mitunter von ungehörigen Gedanken belästigt wird, wenn uns
die heraufklingenden nicht beschäftigen. Dies ist oft der Fall, und mag vielleicht
daher kommen, weil man sich in der Atmosphäre der Noblesse immerhin einiger¬
maßen befangen fühlt, wenn auch die Art, womit bisweilen „jenseitige" d. h.
„schwesterkämmerliche" Meinungen und Aeßerungen abgethan werden, den deutlichsten
Beweis führt, daß die hohen Mitglieder sich ganz unter sich wissen. Am Erha¬
bensten ergreift uns aber jedesmal die Zeitspanne, welche zwischen dem Stunden¬
schlage der anberaumten Sitzung und deren Beginn verstreicht, so kurz auch der
Zeitraum ist, da aristokratische Pünktlichkeit eine fortgeerbte Tugend blieb. Ja
selbst diese Minuten würden nicht existiren, wenn sie nicht im Versammlungszim-
mer zur Abhaltung einer kleinen Cour bei den Mitgliedern von Geblüt benutzt
würden. Die audern vollblütigen Mitglieder sind meistens schon ein Halbstündchen
beisammen, und wägen dort die Dinge bereits ab, deren Resultat uns nur vor¬
geführt wird. Bis dies beginnt, ist der große Saal leer, schweigsam, golden
und purpurroth. Purpurrothe Wände mit goldenen Einfassungen, inmitten
derselben zwei unermeßlich schwere goldene Nahmen einander gegenüber, und
im einen König Max Joseph, im andern König Ludwig, beide in purpur¬
rothen Mänteln. Purpurrothe, schwerseideue Vorhänge an den drei Fenstern
uns gegenüber, den schmalen Lichtstrom, dem sie Eingang gestatten, noch durch
breite goldene Fransen verengernd. Ueber den ganzen Boden ausgebreitet ein
dicker weicher Teppich, aus dessen purpurfarbigem Grunde sich lichtere Arabesken
emporheben, und die Malerei der Decke scheint sein Spiegelbild. Eine gewisse
purpurne Dämmerung liegt über dem Ganzen. Man lernt IM verstehen, was
Hr. v. Schiller unter „purpurner Finsterniß" meinte, als er einen Taucher vom
Meere erzählen ließ, wo er „unter Larven die einzige fühlende Brust" gewesen
war. Natürlich darf man nicht an diesen Nachsatz denken. Denn eine fühlende
schlüpft jetzt bereits im höflichsten schwarzen Frack und dem saubersten weißen
Halstuche da unten ans einer kleinen versteckten Thür, und legt mit einer ge¬
wissen Ehrfurcht große weiße Bogen auf den Katafalk um einige Betschemel.

Dieser schwarze, schon in seinen schweigenden Manieren höfliche Mann ist
übrigens eine interessante Gestalt. Er war gerade so schwarzbesrackt und sauber¬
glatt, da Deutschland ganz demokratisirt war. Und der kleine Orden im linken
Knopflochs lächelte contrerevolutionair verächtlich in die errnngenschastsreiche Welt,


Grenzboten. II. 1851. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91670"/>
          <p xml:id="ID_1291" prev="#ID_1290"> wieder viel zu weit wurde. Die Welt ist nun einmal wunderbar. Heut ruft sie<lb/>
Hosiannah, morgen Kreuziget, und in München ist sie der Neichsrathskammer untreu<lb/>
geworden, schon ehe die jetzige Pvlizeiepoche die Wirthe zur Berichterstattung<lb/>
über das Gespräch ihrer Gäste aufforderte. Es konnte also nicht einmal Be-<lb/>
sorgniß vor Ueberfülle des Stoffes für bierbänkliche Bemerkungen sein,'die etwa<lb/>
nach drei oder vier Jahren plötzlich als Verbrechen bestraft werden könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1292"> Diese Vereinsamung aus der reichsräthlichen Galerie trägt dazu bei, daß<lb/>
man dort oben mitunter von ungehörigen Gedanken belästigt wird, wenn uns<lb/>
die heraufklingenden nicht beschäftigen. Dies ist oft der Fall, und mag vielleicht<lb/>
daher kommen, weil man sich in der Atmosphäre der Noblesse immerhin einiger¬<lb/>
maßen befangen fühlt, wenn auch die Art, womit bisweilen &#x201E;jenseitige" d. h.<lb/>
&#x201E;schwesterkämmerliche" Meinungen und Aeßerungen abgethan werden, den deutlichsten<lb/>
Beweis führt, daß die hohen Mitglieder sich ganz unter sich wissen. Am Erha¬<lb/>
bensten ergreift uns aber jedesmal die Zeitspanne, welche zwischen dem Stunden¬<lb/>
schlage der anberaumten Sitzung und deren Beginn verstreicht, so kurz auch der<lb/>
Zeitraum ist, da aristokratische Pünktlichkeit eine fortgeerbte Tugend blieb. Ja<lb/>
selbst diese Minuten würden nicht existiren, wenn sie nicht im Versammlungszim-<lb/>
mer zur Abhaltung einer kleinen Cour bei den Mitgliedern von Geblüt benutzt<lb/>
würden. Die audern vollblütigen Mitglieder sind meistens schon ein Halbstündchen<lb/>
beisammen, und wägen dort die Dinge bereits ab, deren Resultat uns nur vor¬<lb/>
geführt wird. Bis dies beginnt, ist der große Saal leer, schweigsam, golden<lb/>
und purpurroth. Purpurrothe Wände mit goldenen Einfassungen, inmitten<lb/>
derselben zwei unermeßlich schwere goldene Nahmen einander gegenüber, und<lb/>
im einen König Max Joseph, im andern König Ludwig, beide in purpur¬<lb/>
rothen Mänteln. Purpurrothe, schwerseideue Vorhänge an den drei Fenstern<lb/>
uns gegenüber, den schmalen Lichtstrom, dem sie Eingang gestatten, noch durch<lb/>
breite goldene Fransen verengernd. Ueber den ganzen Boden ausgebreitet ein<lb/>
dicker weicher Teppich, aus dessen purpurfarbigem Grunde sich lichtere Arabesken<lb/>
emporheben, und die Malerei der Decke scheint sein Spiegelbild. Eine gewisse<lb/>
purpurne Dämmerung liegt über dem Ganzen. Man lernt IM verstehen, was<lb/>
Hr. v. Schiller unter &#x201E;purpurner Finsterniß" meinte, als er einen Taucher vom<lb/>
Meere erzählen ließ, wo er &#x201E;unter Larven die einzige fühlende Brust" gewesen<lb/>
war. Natürlich darf man nicht an diesen Nachsatz denken. Denn eine fühlende<lb/>
schlüpft jetzt bereits im höflichsten schwarzen Frack und dem saubersten weißen<lb/>
Halstuche da unten ans einer kleinen versteckten Thür, und legt mit einer ge¬<lb/>
wissen Ehrfurcht große weiße Bogen auf den Katafalk um einige Betschemel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1293" next="#ID_1294"> Dieser schwarze, schon in seinen schweigenden Manieren höfliche Mann ist<lb/>
übrigens eine interessante Gestalt. Er war gerade so schwarzbesrackt und sauber¬<lb/>
glatt, da Deutschland ganz demokratisirt war. Und der kleine Orden im linken<lb/>
Knopflochs lächelte contrerevolutionair verächtlich in die errnngenschastsreiche Welt,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. 1851. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] wieder viel zu weit wurde. Die Welt ist nun einmal wunderbar. Heut ruft sie Hosiannah, morgen Kreuziget, und in München ist sie der Neichsrathskammer untreu geworden, schon ehe die jetzige Pvlizeiepoche die Wirthe zur Berichterstattung über das Gespräch ihrer Gäste aufforderte. Es konnte also nicht einmal Be- sorgniß vor Ueberfülle des Stoffes für bierbänkliche Bemerkungen sein,'die etwa nach drei oder vier Jahren plötzlich als Verbrechen bestraft werden könnten. Diese Vereinsamung aus der reichsräthlichen Galerie trägt dazu bei, daß man dort oben mitunter von ungehörigen Gedanken belästigt wird, wenn uns die heraufklingenden nicht beschäftigen. Dies ist oft der Fall, und mag vielleicht daher kommen, weil man sich in der Atmosphäre der Noblesse immerhin einiger¬ maßen befangen fühlt, wenn auch die Art, womit bisweilen „jenseitige" d. h. „schwesterkämmerliche" Meinungen und Aeßerungen abgethan werden, den deutlichsten Beweis führt, daß die hohen Mitglieder sich ganz unter sich wissen. Am Erha¬ bensten ergreift uns aber jedesmal die Zeitspanne, welche zwischen dem Stunden¬ schlage der anberaumten Sitzung und deren Beginn verstreicht, so kurz auch der Zeitraum ist, da aristokratische Pünktlichkeit eine fortgeerbte Tugend blieb. Ja selbst diese Minuten würden nicht existiren, wenn sie nicht im Versammlungszim- mer zur Abhaltung einer kleinen Cour bei den Mitgliedern von Geblüt benutzt würden. Die audern vollblütigen Mitglieder sind meistens schon ein Halbstündchen beisammen, und wägen dort die Dinge bereits ab, deren Resultat uns nur vor¬ geführt wird. Bis dies beginnt, ist der große Saal leer, schweigsam, golden und purpurroth. Purpurrothe Wände mit goldenen Einfassungen, inmitten derselben zwei unermeßlich schwere goldene Nahmen einander gegenüber, und im einen König Max Joseph, im andern König Ludwig, beide in purpur¬ rothen Mänteln. Purpurrothe, schwerseideue Vorhänge an den drei Fenstern uns gegenüber, den schmalen Lichtstrom, dem sie Eingang gestatten, noch durch breite goldene Fransen verengernd. Ueber den ganzen Boden ausgebreitet ein dicker weicher Teppich, aus dessen purpurfarbigem Grunde sich lichtere Arabesken emporheben, und die Malerei der Decke scheint sein Spiegelbild. Eine gewisse purpurne Dämmerung liegt über dem Ganzen. Man lernt IM verstehen, was Hr. v. Schiller unter „purpurner Finsterniß" meinte, als er einen Taucher vom Meere erzählen ließ, wo er „unter Larven die einzige fühlende Brust" gewesen war. Natürlich darf man nicht an diesen Nachsatz denken. Denn eine fühlende schlüpft jetzt bereits im höflichsten schwarzen Frack und dem saubersten weißen Halstuche da unten ans einer kleinen versteckten Thür, und legt mit einer ge¬ wissen Ehrfurcht große weiße Bogen auf den Katafalk um einige Betschemel. Dieser schwarze, schon in seinen schweigenden Manieren höfliche Mann ist übrigens eine interessante Gestalt. Er war gerade so schwarzbesrackt und sauber¬ glatt, da Deutschland ganz demokratisirt war. Und der kleine Orden im linken Knopflochs lächelte contrerevolutionair verächtlich in die errnngenschastsreiche Welt, Grenzboten. II. 1851. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/477>, abgerufen am 31.05.2024.