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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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"Harzschützen" sich Ruhm erwarben im Kampfe gegen Tilly, aber dann später
sich anch nach Art der Landsknechte in Räuberbanden verwandelt und viel Unheil
angestiftet. Einzelne Harzburger thaten im siebenjährigen Kriege noch ihre letzten
schwachen Dienste, und zur Zeit der Fremdherrschaft wurde noch für die Einnahme
einer dieser alten Ruinen in Paris eins der bekannte" Siegesfeste angeordnet.
Für die nachmittelalterliche Zeit ist von den Harzburger am historisch Merkwürdigsten
Schloß Herzberg, die Residenz des ehemaligen Hannoverschen Fürstenthums Gru-
benhagen, wo Anfangs, wie am Standorte so vieler Städte und Schlösser, sich nur
ein Jagdhaus befand. Nachdem die sieben Söhne des Herzogs von Celle in
der Absicht, die Macht und Größe ihres Hauses zu begründen, das Loos geworfen
hatten, wer von ihnen der alleinige Erbe ihres Vaters sein solle, während die
übrigen schlichte Privatmänner sein wollten, wurden dem vom Loose begünstigten
Prinzen in Herzberg, wo er residirte, vier Söhne geboren, von denen zwei in
England und Hannover die Zügel der Regierung ergriffen, wo ihre Nachkommen
nach manchen Schicksalen ihres Geschlechts noch jetzt auf den Thronen sitzen.

In Betreff der Industrie stellt sich die auffallende Erscheinung heraus, daß
die öffentlichen Staatsunternehmungen, welche die meisten Menschen ernähren, im
Sinken begriffen sind, während die größern Unternehmungen einzelner Privatleute
blühen. Die "Thal'schen Axen" des Herr. Beuninghauß auf der "Blechhütte"
bei Thale sind weltberühmt bei den Fuhrleuten. Auch mit den Gewerben ganzer
Städte und Ortschaften will es nicht mehr fort, und unter den Hunderten von
Nagelschmieden, welche die Dörfer Hohegeiß und Benneckenstein in Folge des
Eisenreichthums des Harzes aufzuweisen haben, wird so leicht Niemand zum
Reichthum gelangen. Nicht einmal in Quedlinburg und Nordhausen, welche beide
zu den Marktstädten des Harzes gehören, erwirbt der Bürgerstand noch große
Schätze, denn die in diesen Ackerstädten mit Feldbau und Kornhandel verbundene
Production von Kornbranntwein, den der Harzer sehr liebt, kann nicht mehr Schritt
halten mit dem fabrikmäßigen Brennen des Kartoffelspirituö auf den großen Aem¬
tern der Niedersächstschen Ebene. Es stellt sich nachgerade ein zu auffallender Unter¬
schied heraus zwischen den Preisen des soliden, abgelagerten, weinartigcn Kornschnaps
und des bläulichen Fusels; die alten Kornbranntweinblasen in Quedlinburg, deren
fast jedes Haus aus den schmalen und langen Höfen eine besitzt, die Quellen des
alten Wohlstandes dieser Stadt, gehen allmälig ganz ein. Nordhausen und Gos¬
lar waren ehemals reichsnumittelbar und bedeutende Handelsstädte. Nur noch die
Sage oder Geschichte kennt den Wohlstand und die Ueppigkeit von Hasselfelde,'
einer der offenen, mauerlosen Städte im Harze selbst. Seit die fünfhundert über¬
müthigen Hasselfelder Bergknappen einst in ein nahes Nonnenkloster einbrachen,
wo sie nur der Jungfrauschaft der Aebtissin schonten, wurde diese Stadt vom
Papste und von der katholischen Kirche verfolgt, und geriet!) sofort in Verfall.
Nur auffallend schöne Straßen lausen noch jetzt zu ihr hin, und erinnern an ihre


Grenzboten. II. 18S1. 62

„Harzschützen" sich Ruhm erwarben im Kampfe gegen Tilly, aber dann später
sich anch nach Art der Landsknechte in Räuberbanden verwandelt und viel Unheil
angestiftet. Einzelne Harzburger thaten im siebenjährigen Kriege noch ihre letzten
schwachen Dienste, und zur Zeit der Fremdherrschaft wurde noch für die Einnahme
einer dieser alten Ruinen in Paris eins der bekannte» Siegesfeste angeordnet.
Für die nachmittelalterliche Zeit ist von den Harzburger am historisch Merkwürdigsten
Schloß Herzberg, die Residenz des ehemaligen Hannoverschen Fürstenthums Gru-
benhagen, wo Anfangs, wie am Standorte so vieler Städte und Schlösser, sich nur
ein Jagdhaus befand. Nachdem die sieben Söhne des Herzogs von Celle in
der Absicht, die Macht und Größe ihres Hauses zu begründen, das Loos geworfen
hatten, wer von ihnen der alleinige Erbe ihres Vaters sein solle, während die
übrigen schlichte Privatmänner sein wollten, wurden dem vom Loose begünstigten
Prinzen in Herzberg, wo er residirte, vier Söhne geboren, von denen zwei in
England und Hannover die Zügel der Regierung ergriffen, wo ihre Nachkommen
nach manchen Schicksalen ihres Geschlechts noch jetzt auf den Thronen sitzen.

In Betreff der Industrie stellt sich die auffallende Erscheinung heraus, daß
die öffentlichen Staatsunternehmungen, welche die meisten Menschen ernähren, im
Sinken begriffen sind, während die größern Unternehmungen einzelner Privatleute
blühen. Die „Thal'schen Axen" des Herr. Beuninghauß auf der „Blechhütte"
bei Thale sind weltberühmt bei den Fuhrleuten. Auch mit den Gewerben ganzer
Städte und Ortschaften will es nicht mehr fort, und unter den Hunderten von
Nagelschmieden, welche die Dörfer Hohegeiß und Benneckenstein in Folge des
Eisenreichthums des Harzes aufzuweisen haben, wird so leicht Niemand zum
Reichthum gelangen. Nicht einmal in Quedlinburg und Nordhausen, welche beide
zu den Marktstädten des Harzes gehören, erwirbt der Bürgerstand noch große
Schätze, denn die in diesen Ackerstädten mit Feldbau und Kornhandel verbundene
Production von Kornbranntwein, den der Harzer sehr liebt, kann nicht mehr Schritt
halten mit dem fabrikmäßigen Brennen des Kartoffelspirituö auf den großen Aem¬
tern der Niedersächstschen Ebene. Es stellt sich nachgerade ein zu auffallender Unter¬
schied heraus zwischen den Preisen des soliden, abgelagerten, weinartigcn Kornschnaps
und des bläulichen Fusels; die alten Kornbranntweinblasen in Quedlinburg, deren
fast jedes Haus aus den schmalen und langen Höfen eine besitzt, die Quellen des
alten Wohlstandes dieser Stadt, gehen allmälig ganz ein. Nordhausen und Gos¬
lar waren ehemals reichsnumittelbar und bedeutende Handelsstädte. Nur noch die
Sage oder Geschichte kennt den Wohlstand und die Ueppigkeit von Hasselfelde,'
einer der offenen, mauerlosen Städte im Harze selbst. Seit die fünfhundert über¬
müthigen Hasselfelder Bergknappen einst in ein nahes Nonnenkloster einbrachen,
wo sie nur der Jungfrauschaft der Aebtissin schonten, wurde diese Stadt vom
Papste und von der katholischen Kirche verfolgt, und geriet!) sofort in Verfall.
Nur auffallend schöne Straßen lausen noch jetzt zu ihr hin, und erinnern an ihre


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[0501] „Harzschützen" sich Ruhm erwarben im Kampfe gegen Tilly, aber dann später sich anch nach Art der Landsknechte in Räuberbanden verwandelt und viel Unheil angestiftet. Einzelne Harzburger thaten im siebenjährigen Kriege noch ihre letzten schwachen Dienste, und zur Zeit der Fremdherrschaft wurde noch für die Einnahme einer dieser alten Ruinen in Paris eins der bekannte» Siegesfeste angeordnet. Für die nachmittelalterliche Zeit ist von den Harzburger am historisch Merkwürdigsten Schloß Herzberg, die Residenz des ehemaligen Hannoverschen Fürstenthums Gru- benhagen, wo Anfangs, wie am Standorte so vieler Städte und Schlösser, sich nur ein Jagdhaus befand. Nachdem die sieben Söhne des Herzogs von Celle in der Absicht, die Macht und Größe ihres Hauses zu begründen, das Loos geworfen hatten, wer von ihnen der alleinige Erbe ihres Vaters sein solle, während die übrigen schlichte Privatmänner sein wollten, wurden dem vom Loose begünstigten Prinzen in Herzberg, wo er residirte, vier Söhne geboren, von denen zwei in England und Hannover die Zügel der Regierung ergriffen, wo ihre Nachkommen nach manchen Schicksalen ihres Geschlechts noch jetzt auf den Thronen sitzen. In Betreff der Industrie stellt sich die auffallende Erscheinung heraus, daß die öffentlichen Staatsunternehmungen, welche die meisten Menschen ernähren, im Sinken begriffen sind, während die größern Unternehmungen einzelner Privatleute blühen. Die „Thal'schen Axen" des Herr. Beuninghauß auf der „Blechhütte" bei Thale sind weltberühmt bei den Fuhrleuten. Auch mit den Gewerben ganzer Städte und Ortschaften will es nicht mehr fort, und unter den Hunderten von Nagelschmieden, welche die Dörfer Hohegeiß und Benneckenstein in Folge des Eisenreichthums des Harzes aufzuweisen haben, wird so leicht Niemand zum Reichthum gelangen. Nicht einmal in Quedlinburg und Nordhausen, welche beide zu den Marktstädten des Harzes gehören, erwirbt der Bürgerstand noch große Schätze, denn die in diesen Ackerstädten mit Feldbau und Kornhandel verbundene Production von Kornbranntwein, den der Harzer sehr liebt, kann nicht mehr Schritt halten mit dem fabrikmäßigen Brennen des Kartoffelspirituö auf den großen Aem¬ tern der Niedersächstschen Ebene. Es stellt sich nachgerade ein zu auffallender Unter¬ schied heraus zwischen den Preisen des soliden, abgelagerten, weinartigcn Kornschnaps und des bläulichen Fusels; die alten Kornbranntweinblasen in Quedlinburg, deren fast jedes Haus aus den schmalen und langen Höfen eine besitzt, die Quellen des alten Wohlstandes dieser Stadt, gehen allmälig ganz ein. Nordhausen und Gos¬ lar waren ehemals reichsnumittelbar und bedeutende Handelsstädte. Nur noch die Sage oder Geschichte kennt den Wohlstand und die Ueppigkeit von Hasselfelde,' einer der offenen, mauerlosen Städte im Harze selbst. Seit die fünfhundert über¬ müthigen Hasselfelder Bergknappen einst in ein nahes Nonnenkloster einbrachen, wo sie nur der Jungfrauschaft der Aebtissin schonten, wurde diese Stadt vom Papste und von der katholischen Kirche verfolgt, und geriet!) sofort in Verfall. Nur auffallend schöne Straßen lausen noch jetzt zu ihr hin, und erinnern an ihre Grenzboten. II. 18S1. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/501>, abgerufen am 31.05.2024.