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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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schaftliche Hirt soll doch sein Vieh nicht etwa von den jungen Pflanzen zurück¬
halten? das wäre dem Burschen viel zu unbequem! Und die Bauerkinder, deren
eins seines Vaters drei Schafe, zwei Schweine und fünf Gänse, das andre eine
Kuh, ein Pferd, eine Ziege und drei ZiuSkapauucu zur Waldweide getrieben
bringt? Die Lust, dem Herrn Edelmann, der ihre Eltern peinigt, Schaden zuzu¬
fügen, steckt in ihnen als ein Blntövermächtuiß. Es müßte ein Wächter angestellt
werden. Aber einen Wächter ernähren, um eines Nutzens willen, der erst den
Kindeskindern zu Theil wird -- das würde jeder polnische Grundherr für eine
unverantwortliche Tollheit halten. Die Wüsten bleiben demnach, und es ist am
besten so. So will es das alte Herkommen und die Einsicht, die in der neuesten
Zeit immer uoch die alte ist.

Tretet aus dem Wald auf die nächste Wiese. Auch diese Wiese gleicht
durchaus uicht einer deutschen. Sie ist ganz voll Schilf, sehr versumpft, und
nirgend ist ein Graben, der merken ließe, daß der Mensch hier wenigstens die
Absicht gehabt habe, den Sumpf weg zu schaffen und einen gefunden Gmswuchs
zu erschaffen. Wozu eine solche Idee? Frißt das Vieh nicht auch Schilf und
ist es nicht zufrieden, wenn es satt ist? philosophirt der hochbetitelte, "erleuch¬
tete vielvermvgende" Grundherr. Was kommt darauf an, ob es ein wenig mehr
oder weniger gesund ist, ob es ein wenig mehr oder weniger Milch gibt, ob
ihm statt der Wolle Borsten auf der Haut wachsen, ob die borstige Wolle so
weitläufig ist, daß sechzehn und siebzehn Pelze zu einem Stein gehören, ob zur
Schürzen bisweilen auf den Büschen der Trift mehr Wolle zu finden ist, als auf
den Häuten der Thiere? Gibt denn nicht die Heerde Milch genug für die Herr¬
schaft und das Gesinde, und schlägt man denn nicht trotz alledem so viel Geld
aus dem Schafvieh, als der Herr auf Ungarwein braucht? -- Nein, Gräben
werden nicht gezogen. Bleibt man auch im Winter ein Mal mit dem Reitpferd
im Sumpfe stecken, es schadet nichts; man steigt ab und watet heraus, das Pferd
findet endlich auch seinen Ausweg, so gut wie die Kühe und Ochsen, die ja nach
der Heuernte täglich diese Tour tanzen müssen. Es kommt zuletzt auch nicht auf
einen Beinbruch an, denn er thut nur höchstens einem Stück Vieh weh; und
daß die Nafendecke total zertreten wird, schadet auch nicht, denn aus den tausend
fußtiefen Löchern, welche durch die Heerde getreten werden, kommen nächstes
Jahr ebenso viele Tausend Schilshalme hervor, und diese sind gut, denn das
Vieh frißt sie. Kurz, die Sache ist in der Ordnung, wir sind in Pole", und
hier hält mau nichts vou deutscher Philosophie.

Das Feld jenseit der Wiese hat aber auch seine Merkwürdigkeiten, und
diese Harmoniren mit dem Uebrigen. Zunächst zahllose Steinblöcke und Baum¬
stümpfe. Wo diese Steine hergekommen sind, ob als erratische Blocke aus dein
hohen Norden oder als Alluvialtrümmcr aus den Felsengebirgen im krakauer
Gubernium und den Carpathen, ist mir unbekannt. Es sind Granitblöcke oft von


schaftliche Hirt soll doch sein Vieh nicht etwa von den jungen Pflanzen zurück¬
halten? das wäre dem Burschen viel zu unbequem! Und die Bauerkinder, deren
eins seines Vaters drei Schafe, zwei Schweine und fünf Gänse, das andre eine
Kuh, ein Pferd, eine Ziege und drei ZiuSkapauucu zur Waldweide getrieben
bringt? Die Lust, dem Herrn Edelmann, der ihre Eltern peinigt, Schaden zuzu¬
fügen, steckt in ihnen als ein Blntövermächtuiß. Es müßte ein Wächter angestellt
werden. Aber einen Wächter ernähren, um eines Nutzens willen, der erst den
Kindeskindern zu Theil wird — das würde jeder polnische Grundherr für eine
unverantwortliche Tollheit halten. Die Wüsten bleiben demnach, und es ist am
besten so. So will es das alte Herkommen und die Einsicht, die in der neuesten
Zeit immer uoch die alte ist.

Tretet aus dem Wald auf die nächste Wiese. Auch diese Wiese gleicht
durchaus uicht einer deutschen. Sie ist ganz voll Schilf, sehr versumpft, und
nirgend ist ein Graben, der merken ließe, daß der Mensch hier wenigstens die
Absicht gehabt habe, den Sumpf weg zu schaffen und einen gefunden Gmswuchs
zu erschaffen. Wozu eine solche Idee? Frißt das Vieh nicht auch Schilf und
ist es nicht zufrieden, wenn es satt ist? philosophirt der hochbetitelte, „erleuch¬
tete vielvermvgende" Grundherr. Was kommt darauf an, ob es ein wenig mehr
oder weniger gesund ist, ob es ein wenig mehr oder weniger Milch gibt, ob
ihm statt der Wolle Borsten auf der Haut wachsen, ob die borstige Wolle so
weitläufig ist, daß sechzehn und siebzehn Pelze zu einem Stein gehören, ob zur
Schürzen bisweilen auf den Büschen der Trift mehr Wolle zu finden ist, als auf
den Häuten der Thiere? Gibt denn nicht die Heerde Milch genug für die Herr¬
schaft und das Gesinde, und schlägt man denn nicht trotz alledem so viel Geld
aus dem Schafvieh, als der Herr auf Ungarwein braucht? — Nein, Gräben
werden nicht gezogen. Bleibt man auch im Winter ein Mal mit dem Reitpferd
im Sumpfe stecken, es schadet nichts; man steigt ab und watet heraus, das Pferd
findet endlich auch seinen Ausweg, so gut wie die Kühe und Ochsen, die ja nach
der Heuernte täglich diese Tour tanzen müssen. Es kommt zuletzt auch nicht auf
einen Beinbruch an, denn er thut nur höchstens einem Stück Vieh weh; und
daß die Nafendecke total zertreten wird, schadet auch nicht, denn aus den tausend
fußtiefen Löchern, welche durch die Heerde getreten werden, kommen nächstes
Jahr ebenso viele Tausend Schilshalme hervor, und diese sind gut, denn das
Vieh frißt sie. Kurz, die Sache ist in der Ordnung, wir sind in Pole», und
hier hält mau nichts vou deutscher Philosophie.

Das Feld jenseit der Wiese hat aber auch seine Merkwürdigkeiten, und
diese Harmoniren mit dem Uebrigen. Zunächst zahllose Steinblöcke und Baum¬
stümpfe. Wo diese Steine hergekommen sind, ob als erratische Blocke aus dein
hohen Norden oder als Alluvialtrümmcr aus den Felsengebirgen im krakauer
Gubernium und den Carpathen, ist mir unbekannt. Es sind Granitblöcke oft von


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[0094] schaftliche Hirt soll doch sein Vieh nicht etwa von den jungen Pflanzen zurück¬ halten? das wäre dem Burschen viel zu unbequem! Und die Bauerkinder, deren eins seines Vaters drei Schafe, zwei Schweine und fünf Gänse, das andre eine Kuh, ein Pferd, eine Ziege und drei ZiuSkapauucu zur Waldweide getrieben bringt? Die Lust, dem Herrn Edelmann, der ihre Eltern peinigt, Schaden zuzu¬ fügen, steckt in ihnen als ein Blntövermächtuiß. Es müßte ein Wächter angestellt werden. Aber einen Wächter ernähren, um eines Nutzens willen, der erst den Kindeskindern zu Theil wird — das würde jeder polnische Grundherr für eine unverantwortliche Tollheit halten. Die Wüsten bleiben demnach, und es ist am besten so. So will es das alte Herkommen und die Einsicht, die in der neuesten Zeit immer uoch die alte ist. Tretet aus dem Wald auf die nächste Wiese. Auch diese Wiese gleicht durchaus uicht einer deutschen. Sie ist ganz voll Schilf, sehr versumpft, und nirgend ist ein Graben, der merken ließe, daß der Mensch hier wenigstens die Absicht gehabt habe, den Sumpf weg zu schaffen und einen gefunden Gmswuchs zu erschaffen. Wozu eine solche Idee? Frißt das Vieh nicht auch Schilf und ist es nicht zufrieden, wenn es satt ist? philosophirt der hochbetitelte, „erleuch¬ tete vielvermvgende" Grundherr. Was kommt darauf an, ob es ein wenig mehr oder weniger gesund ist, ob es ein wenig mehr oder weniger Milch gibt, ob ihm statt der Wolle Borsten auf der Haut wachsen, ob die borstige Wolle so weitläufig ist, daß sechzehn und siebzehn Pelze zu einem Stein gehören, ob zur Schürzen bisweilen auf den Büschen der Trift mehr Wolle zu finden ist, als auf den Häuten der Thiere? Gibt denn nicht die Heerde Milch genug für die Herr¬ schaft und das Gesinde, und schlägt man denn nicht trotz alledem so viel Geld aus dem Schafvieh, als der Herr auf Ungarwein braucht? — Nein, Gräben werden nicht gezogen. Bleibt man auch im Winter ein Mal mit dem Reitpferd im Sumpfe stecken, es schadet nichts; man steigt ab und watet heraus, das Pferd findet endlich auch seinen Ausweg, so gut wie die Kühe und Ochsen, die ja nach der Heuernte täglich diese Tour tanzen müssen. Es kommt zuletzt auch nicht auf einen Beinbruch an, denn er thut nur höchstens einem Stück Vieh weh; und daß die Nafendecke total zertreten wird, schadet auch nicht, denn aus den tausend fußtiefen Löchern, welche durch die Heerde getreten werden, kommen nächstes Jahr ebenso viele Tausend Schilshalme hervor, und diese sind gut, denn das Vieh frißt sie. Kurz, die Sache ist in der Ordnung, wir sind in Pole», und hier hält mau nichts vou deutscher Philosophie. Das Feld jenseit der Wiese hat aber auch seine Merkwürdigkeiten, und diese Harmoniren mit dem Uebrigen. Zunächst zahllose Steinblöcke und Baum¬ stümpfe. Wo diese Steine hergekommen sind, ob als erratische Blocke aus dein hohen Norden oder als Alluvialtrümmcr aus den Felsengebirgen im krakauer Gubernium und den Carpathen, ist mir unbekannt. Es sind Granitblöcke oft von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/94>, abgerufen am 15.05.2024.