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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Bauers ist, er keimt ja keinen andern Apfel als den Holzapfel, und keine andere
Pflaume als die Schiebe, denn ein edler Stamm kommt nicht in sein Bereich;
der ist ein Vorrecht des edelmännischen Gartens. Aber selbst viel Edelleute
können keine edlen Obstbäume in ihrem Garten ausweisen, und erfreuen sich an diesem
heillosen Obst, das in Deutschland kein Bettelbube gern zum Munde bringt.
Man muß die Ernte im Herbst mit ansehen. Da ziehen Bäuerlein und Weib,
Söhne und Töchter, Magd und Knecht hinaus unter die Feldbäume. Man nimmt
Säcke und Wagen mit. Die großen Schaspelzmüjzen steigen hinauf in die Aeste,
die Haarflechten und Hauben raffen unten am Erdboden ans, und den oben, wie
den unten merkt man an, daß sie etwas Kostbares ernten. Zwar zieht ihnen
jeder Biß in die herben kleinen Früchte den Mund zusammen, gleichwol essen
sie mit wahrer Begeisterung.

Allerdings wird nur der geringste Theil dieses Obstes frisch genossen. Ent¬
weder legt man es ans die Böden, läßt es im Winter frieren, damit es weich und
mürbe wird, und genießt es dann zum Brod, oder man bäckt es im Ofen, oder
man ißt es gekocht als Gemüse, oder man säuert damit Wasser, welches dann
als Suppe genossen wird und den Namen guas (Sauer) führt. Dieser
Qnas ist das unentbehrlichste Nahrungsmittel des Bauers. In jeder Bauern¬
stube findet man in der Nähe des Ofens ein ausrechtstehendes Faß. Das ist
das Quasfaß, die Lebensquelle der Familie, die ewige Zuflucht der Hausfrau,
die Würze jedes Mahls. Ist uur noch QuaS im Fasse, so ist das Volk zufrieden.
Die Hausfrau schickt dies saure Wasser im Henkeltopfe nebst einem tüchtigen
Stück Brod anf's Feld und ist ruhig, ihre Hauspflicht ist gethan, alles Andere
ist Nebensache. Man hat eine Art Doppelköpfe im Gebrauch, zwei Töpfe an
einem Henkel. Der eine Topf ist ausschließlich zu Quas, der auch Parschtsch
heißt, bestimmt. In den andern kommen Kartoffeln, Kraut, Erbsen oder sonst
etwas. Diese zweite Speise, obschon gekocht, befindet sich in sehr trockenem Zu¬
stande. Der Bauer nimmt nun aus der einen Topshälfte etwas von dem Trocknen
ans seinen hölzernen Löffel, dann taucht er ihn in die andere Topshälfte, läßt
etwas Quas dazu laufen und so bringt er die Speise lecker zum Munde. Seine
Fran gibt ihm nur die Elemente seines Mahles, er combinirt sie. Der Quas
aber ist dabei die Substanz, ohne welche keine andere Freude macht; er ist gleich¬
sam der Vocal der Küche, Erbsen, Kraut n. s. w. sind die Konsonanten. Es
ist gar nicht, uninteressant, einen polnischen Bauer essen zu sehen.

Ich lebte fast ein Jahr ans dem Gute eines Polen als Gast. Ich hatte
mich dazu verstanden, in seiner Wirthschaft einige deutsche Einrichtungen zu treffen.
Meine erste Thätigkeit während des Winters war, von den nächsten Aeckern die
Steinblöcke wegschaffen zu lassen. Die Bauern halsen mir mit Freuden. Nun
aber sollte die Verheerung an ihre geliebten Obstbäume gehen. Als ich am Abend
den Aufsehern den Befehl gab, für den nächsten Tag die Bauern zu Ausrottung


Bauers ist, er keimt ja keinen andern Apfel als den Holzapfel, und keine andere
Pflaume als die Schiebe, denn ein edler Stamm kommt nicht in sein Bereich;
der ist ein Vorrecht des edelmännischen Gartens. Aber selbst viel Edelleute
können keine edlen Obstbäume in ihrem Garten ausweisen, und erfreuen sich an diesem
heillosen Obst, das in Deutschland kein Bettelbube gern zum Munde bringt.
Man muß die Ernte im Herbst mit ansehen. Da ziehen Bäuerlein und Weib,
Söhne und Töchter, Magd und Knecht hinaus unter die Feldbäume. Man nimmt
Säcke und Wagen mit. Die großen Schaspelzmüjzen steigen hinauf in die Aeste,
die Haarflechten und Hauben raffen unten am Erdboden ans, und den oben, wie
den unten merkt man an, daß sie etwas Kostbares ernten. Zwar zieht ihnen
jeder Biß in die herben kleinen Früchte den Mund zusammen, gleichwol essen
sie mit wahrer Begeisterung.

Allerdings wird nur der geringste Theil dieses Obstes frisch genossen. Ent¬
weder legt man es ans die Böden, läßt es im Winter frieren, damit es weich und
mürbe wird, und genießt es dann zum Brod, oder man bäckt es im Ofen, oder
man ißt es gekocht als Gemüse, oder man säuert damit Wasser, welches dann
als Suppe genossen wird und den Namen guas (Sauer) führt. Dieser
Qnas ist das unentbehrlichste Nahrungsmittel des Bauers. In jeder Bauern¬
stube findet man in der Nähe des Ofens ein ausrechtstehendes Faß. Das ist
das Quasfaß, die Lebensquelle der Familie, die ewige Zuflucht der Hausfrau,
die Würze jedes Mahls. Ist uur noch QuaS im Fasse, so ist das Volk zufrieden.
Die Hausfrau schickt dies saure Wasser im Henkeltopfe nebst einem tüchtigen
Stück Brod anf's Feld und ist ruhig, ihre Hauspflicht ist gethan, alles Andere
ist Nebensache. Man hat eine Art Doppelköpfe im Gebrauch, zwei Töpfe an
einem Henkel. Der eine Topf ist ausschließlich zu Quas, der auch Parschtsch
heißt, bestimmt. In den andern kommen Kartoffeln, Kraut, Erbsen oder sonst
etwas. Diese zweite Speise, obschon gekocht, befindet sich in sehr trockenem Zu¬
stande. Der Bauer nimmt nun aus der einen Topshälfte etwas von dem Trocknen
ans seinen hölzernen Löffel, dann taucht er ihn in die andere Topshälfte, läßt
etwas Quas dazu laufen und so bringt er die Speise lecker zum Munde. Seine
Fran gibt ihm nur die Elemente seines Mahles, er combinirt sie. Der Quas
aber ist dabei die Substanz, ohne welche keine andere Freude macht; er ist gleich¬
sam der Vocal der Küche, Erbsen, Kraut n. s. w. sind die Konsonanten. Es
ist gar nicht, uninteressant, einen polnischen Bauer essen zu sehen.

Ich lebte fast ein Jahr ans dem Gute eines Polen als Gast. Ich hatte
mich dazu verstanden, in seiner Wirthschaft einige deutsche Einrichtungen zu treffen.
Meine erste Thätigkeit während des Winters war, von den nächsten Aeckern die
Steinblöcke wegschaffen zu lassen. Die Bauern halsen mir mit Freuden. Nun
aber sollte die Verheerung an ihre geliebten Obstbäume gehen. Als ich am Abend
den Aufsehern den Befehl gab, für den nächsten Tag die Bauern zu Ausrottung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/96>, abgerufen am 01.11.2024.