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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Fehlern derselben weniger corrumpirt, als irgend ein anderer Theil des Volkes.
Aber doch wäre es einseitig, beide Begriffe zu ideutiKiren.

Der Bürgerstand, der, in den Kreis seiner kleinen endlichen Interessen ein¬
gepfercht, leicht in Spießbürgerei oder in phantastische Stimmungen zerfällt,, be¬
darf einer doppelten Zucht. In der Armee lernt er Disciplin, Gehorsam, und
gewöhnt sich an jenen esprit ac corps, ohne den der höhere Patriotismus nicht
denkbar ist. In der Repräsentativverfassung lernt er mit Selbständigkeit seine
endlichen Interessen an die allgemeinen des Vaterlandes knüpfen. Heer und
Parlament sollen keinen Gegensatz, sondern eine Egänznng bilden.

Auf unsere deutschen Verhältnisse angewendet, hat das parlamentarische Leben
noch eine ungleich wichtigere, wenn auch viel undankbarere Aufgabe. -- Woher
kommt es, daß Engländer und Franzosen unsere Einheitsideen als Träumereien
verspotten, währeud sie doch deu viel weniger rationellen der Polen, Ungarn,
Italiener ihre Theilnahme nicht versagen? -- Weil jene Völker für ihre Inte¬
grität gefochten haben, wir haben nur dafür gesprochen. Das ist mehr ein Un¬
glück, als eine Schuld. Es war eine thörichte Einbildung von den Demokraten,
in ungeordneten Haufen gegen disciplinirte Armeen fechten zu wollen. Die Polen,
die Italiener, die Ungarn hatten ihre Heere für sich, wir haben sie bisher (mit
Ausnahme von Schleswig-Holstein) gegen uus gehabt. Die Aufgabe unserer po¬
litischen Thätigkeit besteht also darin, einen Zustand der Dinge herbeizuführen,
in welchem das im Parlament vertretene Volk und das im Heer disciplinirte
Volk keine Gegensätze mehr bilden. Diese Aufgabe ist allerdings schwer, aber sie
ist möglich, und sie ist unvermeidlich.

Sie ist unvermeidlich. Denn ohne die Aufhebung der gegenwärtigen Zustände
kann in Deutschland nicht einmal von einer freien Entwickelung der materiellen.
Interessen die Rede sein. Die Fürsten aber, auch wenn sie von dem besten
Willen ausgehen, können für sich allein diese Verhältnisse nicht ändern. Die
Dresdener Conferenzen werdeu davon ein hinreichendes Zeugniß ablegen. Die
Fürsten können es nur, wenn sie mit dem Willen der Gutgesinnten und Einsichts¬
vollen im Volk Hand in Hand gehen.

Sie können das aber nur wollen, wenn ihnen im Volk ein fester, klarer und
unerschütterlicher Wille gegenübertritt. Wenn dies geschieht, so werden sie nicht erst
den Drang der Nothwendigkeit abwarten, ihm zu folgen; sie werden unmittelbar
von ihm geleitet werden. Bis jetzt konnte man mit Recht sagen, das Trachten
nach Popularität ist das eitelste Streben des Staatsmannes, denn er läßt sich
von der Stimme jedes Narren leiten, und wird nachher von ihm im Stiche
gelassen.

Es ist aber möglich und es ist nothwendig, daß eine, von bestimmten Prin¬
cipien ausgehende, in bestimmten Ueberzeugungen über die Regeneration Deutschlands
vereinigte Partei sich bildet, welch die willenlose Masse durch unerschütterliche Aus-


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Fehlern derselben weniger corrumpirt, als irgend ein anderer Theil des Volkes.
Aber doch wäre es einseitig, beide Begriffe zu ideutiKiren.

Der Bürgerstand, der, in den Kreis seiner kleinen endlichen Interessen ein¬
gepfercht, leicht in Spießbürgerei oder in phantastische Stimmungen zerfällt,, be¬
darf einer doppelten Zucht. In der Armee lernt er Disciplin, Gehorsam, und
gewöhnt sich an jenen esprit ac corps, ohne den der höhere Patriotismus nicht
denkbar ist. In der Repräsentativverfassung lernt er mit Selbständigkeit seine
endlichen Interessen an die allgemeinen des Vaterlandes knüpfen. Heer und
Parlament sollen keinen Gegensatz, sondern eine Egänznng bilden.

Auf unsere deutschen Verhältnisse angewendet, hat das parlamentarische Leben
noch eine ungleich wichtigere, wenn auch viel undankbarere Aufgabe. — Woher
kommt es, daß Engländer und Franzosen unsere Einheitsideen als Träumereien
verspotten, währeud sie doch deu viel weniger rationellen der Polen, Ungarn,
Italiener ihre Theilnahme nicht versagen? — Weil jene Völker für ihre Inte¬
grität gefochten haben, wir haben nur dafür gesprochen. Das ist mehr ein Un¬
glück, als eine Schuld. Es war eine thörichte Einbildung von den Demokraten,
in ungeordneten Haufen gegen disciplinirte Armeen fechten zu wollen. Die Polen,
die Italiener, die Ungarn hatten ihre Heere für sich, wir haben sie bisher (mit
Ausnahme von Schleswig-Holstein) gegen uus gehabt. Die Aufgabe unserer po¬
litischen Thätigkeit besteht also darin, einen Zustand der Dinge herbeizuführen,
in welchem das im Parlament vertretene Volk und das im Heer disciplinirte
Volk keine Gegensätze mehr bilden. Diese Aufgabe ist allerdings schwer, aber sie
ist möglich, und sie ist unvermeidlich.

Sie ist unvermeidlich. Denn ohne die Aufhebung der gegenwärtigen Zustände
kann in Deutschland nicht einmal von einer freien Entwickelung der materiellen.
Interessen die Rede sein. Die Fürsten aber, auch wenn sie von dem besten
Willen ausgehen, können für sich allein diese Verhältnisse nicht ändern. Die
Dresdener Conferenzen werdeu davon ein hinreichendes Zeugniß ablegen. Die
Fürsten können es nur, wenn sie mit dem Willen der Gutgesinnten und Einsichts¬
vollen im Volk Hand in Hand gehen.

Sie können das aber nur wollen, wenn ihnen im Volk ein fester, klarer und
unerschütterlicher Wille gegenübertritt. Wenn dies geschieht, so werden sie nicht erst
den Drang der Nothwendigkeit abwarten, ihm zu folgen; sie werden unmittelbar
von ihm geleitet werden. Bis jetzt konnte man mit Recht sagen, das Trachten
nach Popularität ist das eitelste Streben des Staatsmannes, denn er läßt sich
von der Stimme jedes Narren leiten, und wird nachher von ihm im Stiche
gelassen.

Es ist aber möglich und es ist nothwendig, daß eine, von bestimmten Prin¬
cipien ausgehende, in bestimmten Ueberzeugungen über die Regeneration Deutschlands
vereinigte Partei sich bildet, welch die willenlose Masse durch unerschütterliche Aus-


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[0109] Fehlern derselben weniger corrumpirt, als irgend ein anderer Theil des Volkes. Aber doch wäre es einseitig, beide Begriffe zu ideutiKiren. Der Bürgerstand, der, in den Kreis seiner kleinen endlichen Interessen ein¬ gepfercht, leicht in Spießbürgerei oder in phantastische Stimmungen zerfällt,, be¬ darf einer doppelten Zucht. In der Armee lernt er Disciplin, Gehorsam, und gewöhnt sich an jenen esprit ac corps, ohne den der höhere Patriotismus nicht denkbar ist. In der Repräsentativverfassung lernt er mit Selbständigkeit seine endlichen Interessen an die allgemeinen des Vaterlandes knüpfen. Heer und Parlament sollen keinen Gegensatz, sondern eine Egänznng bilden. Auf unsere deutschen Verhältnisse angewendet, hat das parlamentarische Leben noch eine ungleich wichtigere, wenn auch viel undankbarere Aufgabe. — Woher kommt es, daß Engländer und Franzosen unsere Einheitsideen als Träumereien verspotten, währeud sie doch deu viel weniger rationellen der Polen, Ungarn, Italiener ihre Theilnahme nicht versagen? — Weil jene Völker für ihre Inte¬ grität gefochten haben, wir haben nur dafür gesprochen. Das ist mehr ein Un¬ glück, als eine Schuld. Es war eine thörichte Einbildung von den Demokraten, in ungeordneten Haufen gegen disciplinirte Armeen fechten zu wollen. Die Polen, die Italiener, die Ungarn hatten ihre Heere für sich, wir haben sie bisher (mit Ausnahme von Schleswig-Holstein) gegen uus gehabt. Die Aufgabe unserer po¬ litischen Thätigkeit besteht also darin, einen Zustand der Dinge herbeizuführen, in welchem das im Parlament vertretene Volk und das im Heer disciplinirte Volk keine Gegensätze mehr bilden. Diese Aufgabe ist allerdings schwer, aber sie ist möglich, und sie ist unvermeidlich. Sie ist unvermeidlich. Denn ohne die Aufhebung der gegenwärtigen Zustände kann in Deutschland nicht einmal von einer freien Entwickelung der materiellen. Interessen die Rede sein. Die Fürsten aber, auch wenn sie von dem besten Willen ausgehen, können für sich allein diese Verhältnisse nicht ändern. Die Dresdener Conferenzen werdeu davon ein hinreichendes Zeugniß ablegen. Die Fürsten können es nur, wenn sie mit dem Willen der Gutgesinnten und Einsichts¬ vollen im Volk Hand in Hand gehen. Sie können das aber nur wollen, wenn ihnen im Volk ein fester, klarer und unerschütterlicher Wille gegenübertritt. Wenn dies geschieht, so werden sie nicht erst den Drang der Nothwendigkeit abwarten, ihm zu folgen; sie werden unmittelbar von ihm geleitet werden. Bis jetzt konnte man mit Recht sagen, das Trachten nach Popularität ist das eitelste Streben des Staatsmannes, denn er läßt sich von der Stimme jedes Narren leiten, und wird nachher von ihm im Stiche gelassen. Es ist aber möglich und es ist nothwendig, daß eine, von bestimmten Prin¬ cipien ausgehende, in bestimmten Ueberzeugungen über die Regeneration Deutschlands vereinigte Partei sich bildet, welch die willenlose Masse durch unerschütterliche Aus- Gvenzboten. I. 1L5I. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/109>, abgerufen am 16.06.2024.