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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Claremont gegenüber, seine Persönlichkeit auf eine, die Conservativen verletzende
Weise hervortreten zu lassen; er suchte die Localbehörden durch liberale Reden
und Versprechungen, die Soldaten durch Champagner zu gewinnen. Da aber
der Soldat doch immer mehr oder minder von seinen Führern abhängt, so mußte
es ebenso im Interesse des Präsidenten liegen, die wichtigsten Commando's durch
seine Anhänger zu besetzen, als im Interesse des Parlaments, sie in den Händen
unabhängiger Conservativer zu lassen. Das ist der nervus rervun bei der Frage
Changarnier.

Der Conflict ist also sehr ernst, er greift unmittelbar in das Gebiet der
Thatsachen und würde unlösbar sein, wenn die Parteien Frankreichs mit ihren
Führern zusammenfielen. Wenn es in Frankreich nur Legitimisten, Orleanisten,
Imperialisten und Socialisten gäbe, so wäre eine Lösung ohne einen fürchterlichen
Bürgerkrieg nicht denkbar.

Das ist aber nicht der Fall. Der Mittelstand -- in den Städten wie auf
dem Lande -- von welchem wesentlich die Reaction gegen die Folgen der Febrnar-
Emente ausgeht, sängt an, sich von seinen Führern, die ihn damals ins Unglück
gestürzt haben, und die durch ihre Intriguen aus's Neue die Sache zu verwirren
scheinen, zu emancipiren. Zwar ist er nichts weniger als republikanisch gesinnt,
aber er überzeugt sich allmälig von der Wahrheit, daß wenigstens sür den Augen¬
blick die Republik das sicherste Symbol des Friedens ist. Er wird sich gegen
Jeden wenden, wer es auch sei, der durch Intriguen oder Gewaltschritte die
bestehende Ordnung der Dinge zu erschüttern wagt. Und er wird an der
specifisch republikanischen, antisocialistischen Partei, der Partei Cavaignac, seine
Stütze finden.

Man möge aber den moralischen Einfluß dieser Stimmung nicht zu genug
anschlagen. Warum siegte die Emente im Februar? warum wurde sie im Juni
besiegt? War im Februar das Militär unzuverlässiger als im Juni? Es liegt
kein Grund zu dieser Annahme vor. Aber das erste Mal war die Stimmung
des Bürgerstandes gegen die Negierung, das andere Mal gegen die Emente. Eine
ganz ähnliche Bewandniß hatte es mit dem Verhältniß der März- und November¬
rage in Berlin.

Wenn man also jetzt, gerade von realistischer Seite, wie früher von demo¬
kratischer, das Militär dem Bürgerstand entgegensetzt, so ist das ebenso ein Irr¬
thum wie ein Unrecht. Das Heer hat nnr insofern dauernden Einfluß, als es
den bürgerlichen Interessen dient.

Die Berliner Ultraroyalisten lieben es, das Heer den wahren Repräsentanten
des preußischen Volks zu nennen. Das ist einseitig, aber nicht ganz unrichtig.
Mit noch weit größerm Recht könnte man die französische Armee als den wahren
Ausdruck der französischen Nation betrachten; wenigstens finden sich in ihr die
guten Eigenschaften der Nation ans das Glänzendste vereinigt, und sie ist von den


Claremont gegenüber, seine Persönlichkeit auf eine, die Conservativen verletzende
Weise hervortreten zu lassen; er suchte die Localbehörden durch liberale Reden
und Versprechungen, die Soldaten durch Champagner zu gewinnen. Da aber
der Soldat doch immer mehr oder minder von seinen Führern abhängt, so mußte
es ebenso im Interesse des Präsidenten liegen, die wichtigsten Commando's durch
seine Anhänger zu besetzen, als im Interesse des Parlaments, sie in den Händen
unabhängiger Conservativer zu lassen. Das ist der nervus rervun bei der Frage
Changarnier.

Der Conflict ist also sehr ernst, er greift unmittelbar in das Gebiet der
Thatsachen und würde unlösbar sein, wenn die Parteien Frankreichs mit ihren
Führern zusammenfielen. Wenn es in Frankreich nur Legitimisten, Orleanisten,
Imperialisten und Socialisten gäbe, so wäre eine Lösung ohne einen fürchterlichen
Bürgerkrieg nicht denkbar.

Das ist aber nicht der Fall. Der Mittelstand — in den Städten wie auf
dem Lande — von welchem wesentlich die Reaction gegen die Folgen der Febrnar-
Emente ausgeht, sängt an, sich von seinen Führern, die ihn damals ins Unglück
gestürzt haben, und die durch ihre Intriguen aus's Neue die Sache zu verwirren
scheinen, zu emancipiren. Zwar ist er nichts weniger als republikanisch gesinnt,
aber er überzeugt sich allmälig von der Wahrheit, daß wenigstens sür den Augen¬
blick die Republik das sicherste Symbol des Friedens ist. Er wird sich gegen
Jeden wenden, wer es auch sei, der durch Intriguen oder Gewaltschritte die
bestehende Ordnung der Dinge zu erschüttern wagt. Und er wird an der
specifisch republikanischen, antisocialistischen Partei, der Partei Cavaignac, seine
Stütze finden.

Man möge aber den moralischen Einfluß dieser Stimmung nicht zu genug
anschlagen. Warum siegte die Emente im Februar? warum wurde sie im Juni
besiegt? War im Februar das Militär unzuverlässiger als im Juni? Es liegt
kein Grund zu dieser Annahme vor. Aber das erste Mal war die Stimmung
des Bürgerstandes gegen die Negierung, das andere Mal gegen die Emente. Eine
ganz ähnliche Bewandniß hatte es mit dem Verhältniß der März- und November¬
rage in Berlin.

Wenn man also jetzt, gerade von realistischer Seite, wie früher von demo¬
kratischer, das Militär dem Bürgerstand entgegensetzt, so ist das ebenso ein Irr¬
thum wie ein Unrecht. Das Heer hat nnr insofern dauernden Einfluß, als es
den bürgerlichen Interessen dient.

Die Berliner Ultraroyalisten lieben es, das Heer den wahren Repräsentanten
des preußischen Volks zu nennen. Das ist einseitig, aber nicht ganz unrichtig.
Mit noch weit größerm Recht könnte man die französische Armee als den wahren
Ausdruck der französischen Nation betrachten; wenigstens finden sich in ihr die
guten Eigenschaften der Nation ans das Glänzendste vereinigt, und sie ist von den


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[0108] Claremont gegenüber, seine Persönlichkeit auf eine, die Conservativen verletzende Weise hervortreten zu lassen; er suchte die Localbehörden durch liberale Reden und Versprechungen, die Soldaten durch Champagner zu gewinnen. Da aber der Soldat doch immer mehr oder minder von seinen Führern abhängt, so mußte es ebenso im Interesse des Präsidenten liegen, die wichtigsten Commando's durch seine Anhänger zu besetzen, als im Interesse des Parlaments, sie in den Händen unabhängiger Conservativer zu lassen. Das ist der nervus rervun bei der Frage Changarnier. Der Conflict ist also sehr ernst, er greift unmittelbar in das Gebiet der Thatsachen und würde unlösbar sein, wenn die Parteien Frankreichs mit ihren Führern zusammenfielen. Wenn es in Frankreich nur Legitimisten, Orleanisten, Imperialisten und Socialisten gäbe, so wäre eine Lösung ohne einen fürchterlichen Bürgerkrieg nicht denkbar. Das ist aber nicht der Fall. Der Mittelstand — in den Städten wie auf dem Lande — von welchem wesentlich die Reaction gegen die Folgen der Febrnar- Emente ausgeht, sängt an, sich von seinen Führern, die ihn damals ins Unglück gestürzt haben, und die durch ihre Intriguen aus's Neue die Sache zu verwirren scheinen, zu emancipiren. Zwar ist er nichts weniger als republikanisch gesinnt, aber er überzeugt sich allmälig von der Wahrheit, daß wenigstens sür den Augen¬ blick die Republik das sicherste Symbol des Friedens ist. Er wird sich gegen Jeden wenden, wer es auch sei, der durch Intriguen oder Gewaltschritte die bestehende Ordnung der Dinge zu erschüttern wagt. Und er wird an der specifisch republikanischen, antisocialistischen Partei, der Partei Cavaignac, seine Stütze finden. Man möge aber den moralischen Einfluß dieser Stimmung nicht zu genug anschlagen. Warum siegte die Emente im Februar? warum wurde sie im Juni besiegt? War im Februar das Militär unzuverlässiger als im Juni? Es liegt kein Grund zu dieser Annahme vor. Aber das erste Mal war die Stimmung des Bürgerstandes gegen die Negierung, das andere Mal gegen die Emente. Eine ganz ähnliche Bewandniß hatte es mit dem Verhältniß der März- und November¬ rage in Berlin. Wenn man also jetzt, gerade von realistischer Seite, wie früher von demo¬ kratischer, das Militär dem Bürgerstand entgegensetzt, so ist das ebenso ein Irr¬ thum wie ein Unrecht. Das Heer hat nnr insofern dauernden Einfluß, als es den bürgerlichen Interessen dient. Die Berliner Ultraroyalisten lieben es, das Heer den wahren Repräsentanten des preußischen Volks zu nennen. Das ist einseitig, aber nicht ganz unrichtig. Mit noch weit größerm Recht könnte man die französische Armee als den wahren Ausdruck der französischen Nation betrachten; wenigstens finden sich in ihr die guten Eigenschaften der Nation ans das Glänzendste vereinigt, und sie ist von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/108>, abgerufen am 16.06.2024.