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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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hatte Anfangs von derselben viel zu leiden. Sie verglichen seine große Nase mit
den Hirschhornbergen; als er ihnen Christi Leben und Leiden erzählte, bemerkten
sie: "Ware er zu uns gekommen, wir würden ihn geliebt haben, und gehorsam
gewesen sein. Welche tolle Menschen, die denjenigen todten, der lebendig machen
konnte!" Sie lieben ihre nächsten Verwandten, sind aber unempfindlich gegen
das Unglück derer, welche ihnen nahe stehen, und es rührt sie wenig, wenn die
zu Grunde gehen, denen es an Angehörigen fehlt.

Sie bilden weder einen Staat, noch haben sie eine Regierung oder irgend
eine Obrigkeit. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem einfachen Umstände, daß
sie aller dieser Einrichtungen uicht bedürfen. Im Sommer wohnen sie in
Zelten, im Winter in Häusern oder richtiger in Hütten, die fünf bis sechs
Fuß hoch, zwölf breit und bis zu hundert Fuß lang sind, da mehrere Familien
unter ein und demselben Dache zu leben Pflegen. Die Wände sind im Junern
mit Fellen behängt, damit die Feuchtigkeit und der Luftzug abgehalten werden.
An der Mauer läuft eine Bank, über der Thranlampe, welche zugleich deu Ofen
und den Herd ersetzt, hängt ein steinerner oder eiserner Kessel; die Fenster wer¬
den nicht etwa aus Glasscheiben, sondern ans Eingeweiden der Seehunde und
Wallfische verfertigt. Den Eingang bildet ein langer enger Gang, durch welchen
die heiße Luft entweicht, und obwohl keine Thür vorhanden ist, so herrscht in
der Hütte doch eine solche Wärme, daß die Grönländer selbst im Winter fast
unbekleidet in derselben sitzen. Ein Europäer kaun in solchem Dunst und Schmutz
nicht ausdauern.

Da der Grönländer hauptsächlich von dem Ertrage lebt, den die See ih.in
gewährt, so wendet er große Sorgfalt auf den Bau seines Bootes, das er Mit
großer Gewandtheit zu rudern und zu lenken versteht. Das Kayak oder Män¬
nerboot ist etwa zwölf bis vierzehn Fuß lang, nur anderthalb Fuß breit, zwölf
Zoll tief, hat ein aus Holz und Fischbein zusammengefügtes Geripp, das anf
beiden Seiten mit wasserdicht gemachten Händen überzogen ist, und ein Ge¬
wicht von höchstens dreißig Pfund. In der Mitte befindet sich eine mit einem
Reifen versehene Oeffnung, in welche der Eskimo hineinkriecht. Dann befestigt
er seinen ans Seehnndsfellen verfertigten Rock an demselben, und sitzt nnn
mitten auf dem Meere vollkommen trocken. In seinem leichten Nachen fliegt er
so sicher wie ein Seevogel über die Wellen hinweg, auch bei der strengsten Kälte
ist er warm von seinen eigenen Ausdünstungen. Selbst wenn das Kayak um¬
gestülpt wird, so genügt ein Ruderschlag, um es wieder in's Gleichgewicht zu
bringen. Wer aber sein Nuder verliert, ist unrettbar verloren. Die Umiaks
find Weiberboote, noch einmal so lang, drei- bis viermal so breit als die Kayaks,
sehr elastisch, aber mit flachem Boden und darum nur für eine ruhige See geeignet.
Sie werden von vier oder fünf Weibern gerudert, denen auch bei den Eskimos


hatte Anfangs von derselben viel zu leiden. Sie verglichen seine große Nase mit
den Hirschhornbergen; als er ihnen Christi Leben und Leiden erzählte, bemerkten
sie: „Ware er zu uns gekommen, wir würden ihn geliebt haben, und gehorsam
gewesen sein. Welche tolle Menschen, die denjenigen todten, der lebendig machen
konnte!" Sie lieben ihre nächsten Verwandten, sind aber unempfindlich gegen
das Unglück derer, welche ihnen nahe stehen, und es rührt sie wenig, wenn die
zu Grunde gehen, denen es an Angehörigen fehlt.

Sie bilden weder einen Staat, noch haben sie eine Regierung oder irgend
eine Obrigkeit. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem einfachen Umstände, daß
sie aller dieser Einrichtungen uicht bedürfen. Im Sommer wohnen sie in
Zelten, im Winter in Häusern oder richtiger in Hütten, die fünf bis sechs
Fuß hoch, zwölf breit und bis zu hundert Fuß lang sind, da mehrere Familien
unter ein und demselben Dache zu leben Pflegen. Die Wände sind im Junern
mit Fellen behängt, damit die Feuchtigkeit und der Luftzug abgehalten werden.
An der Mauer läuft eine Bank, über der Thranlampe, welche zugleich deu Ofen
und den Herd ersetzt, hängt ein steinerner oder eiserner Kessel; die Fenster wer¬
den nicht etwa aus Glasscheiben, sondern ans Eingeweiden der Seehunde und
Wallfische verfertigt. Den Eingang bildet ein langer enger Gang, durch welchen
die heiße Luft entweicht, und obwohl keine Thür vorhanden ist, so herrscht in
der Hütte doch eine solche Wärme, daß die Grönländer selbst im Winter fast
unbekleidet in derselben sitzen. Ein Europäer kaun in solchem Dunst und Schmutz
nicht ausdauern.

Da der Grönländer hauptsächlich von dem Ertrage lebt, den die See ih.in
gewährt, so wendet er große Sorgfalt auf den Bau seines Bootes, das er Mit
großer Gewandtheit zu rudern und zu lenken versteht. Das Kayak oder Män¬
nerboot ist etwa zwölf bis vierzehn Fuß lang, nur anderthalb Fuß breit, zwölf
Zoll tief, hat ein aus Holz und Fischbein zusammengefügtes Geripp, das anf
beiden Seiten mit wasserdicht gemachten Händen überzogen ist, und ein Ge¬
wicht von höchstens dreißig Pfund. In der Mitte befindet sich eine mit einem
Reifen versehene Oeffnung, in welche der Eskimo hineinkriecht. Dann befestigt
er seinen ans Seehnndsfellen verfertigten Rock an demselben, und sitzt nnn
mitten auf dem Meere vollkommen trocken. In seinem leichten Nachen fliegt er
so sicher wie ein Seevogel über die Wellen hinweg, auch bei der strengsten Kälte
ist er warm von seinen eigenen Ausdünstungen. Selbst wenn das Kayak um¬
gestülpt wird, so genügt ein Ruderschlag, um es wieder in's Gleichgewicht zu
bringen. Wer aber sein Nuder verliert, ist unrettbar verloren. Die Umiaks
find Weiberboote, noch einmal so lang, drei- bis viermal so breit als die Kayaks,
sehr elastisch, aber mit flachem Boden und darum nur für eine ruhige See geeignet.
Sie werden von vier oder fünf Weibern gerudert, denen auch bei den Eskimos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/116>, abgerufen am 15.06.2024.