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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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darstellt. Es kommt aber nicht blos auf den Einfall an, sondern auf die Durch¬
führung.

Im Allgemeinen würden wir dock zu dem Resultat kommen, daß eine Zeit,
in der man die Greuelthaten in Panhas und Bogen taxiren muß, kein günstiger
Vorwurf sür's Drama ist. Die wahrhaft dramatische Spannung muß sich in einer
bestimmten Schuld, eiuer bestimmten Buße concentriren, und die Personen, über
deren Schuld und Schicksal wir zu Gericht Wen sollen, müssen nicht in eine tro¬
pische Atmosphäre gestellt sein, welche die Zurechuungöfähigt'eit wenigstens zur
Hälfte aufhebt. Wenn wir zweifelhaft sind, wie unser Verbiet ausfallen würde,
wenn wir als Geschworene säßen, so ist unsere Stellung als Publicum uoch
mißlicher.




Die Krisis in Frankreich.

Die Bedeutung der letzten parlamentarischen Woche liegt keineswegs in dem
Resultat. Zwar ist es ein sehr ernster und bedenklicher Umstand, wenn ein Par¬
lament der Negierung mit einer so erheblichen Majorität sein Mißtraue" zu er¬
kennen gibt, aber das Gewicht dieses Mißtrauens wird sehr verringert, wenn man
erwägt, daß es aus verschiedenen Gründen hervorgeht. Die Einen sprechen es aus,
weil die Negierung so lange mit der Reaction gegangen ist, die Andern, weil es den
Anschein hat, als ob sie nicht länger mit ihr gehen wolle. Auf dem Centrallandtage
in Preußen wurde in Preßsachen mit imposanter Majorität der Beschluß gefaßt:
"der Landtag ist gegen die Censur, aber aus verschiedenen Gründen", d. h. den
Einen ist sie zu streug, den Andern zu gelind. Eine solche Erklärung hebt sich
eigentlich auf. Wäre die Regierung in Frankreich eine legitime, d. h. hätte sie eine
andere Quelle, als die National-Souveränetät, und wäre sie zugleich der Ausdruck
eiuer bestimmten Partei, so würde sie ein solches Mißtrauen aus verschiedenen
Gründen ruhig aotli, legen. Denn eine Regierung, deren Schwerpunkt in's
Parlament fällt, ist nur so lauge möglich, als in dem Parlament wie im Volk
zwei geschlossene Parteien einander gegenüberstehen, deren eine die Herrschaft über¬
nimmt, indem die andere stürzt.

Die Bedeutung der Woche liegt vielmehr in den Verhandlungen selbst, in
denen die Häupter der verschiedenen Fractionen zum erstenmal seit Gründung der
Republik klar und unumwunden ausgesprochen haben, wie sie sich ihr gegenseitiges
Verhältniß zu einander denken. Die meiste Energie hat Herr Thiers entwickelt.
Er hat sehr deutlich gesagt, die conservative Partei habe deu Prinzen Napoleon
an die Spitze Frankreichs gestellt, weil man einen Prinzen brauchte, um seiue
monarchische Gesinnung auszudrücken; man habe sich nicht verhehlt, daß diese Wahl
in dem Gewählten leicht einen Ehrgeiz hervorrufen könnte, der mit den Absichten


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darstellt. Es kommt aber nicht blos auf den Einfall an, sondern auf die Durch¬
führung.

Im Allgemeinen würden wir dock zu dem Resultat kommen, daß eine Zeit,
in der man die Greuelthaten in Panhas und Bogen taxiren muß, kein günstiger
Vorwurf sür's Drama ist. Die wahrhaft dramatische Spannung muß sich in einer
bestimmten Schuld, eiuer bestimmten Buße concentriren, und die Personen, über
deren Schuld und Schicksal wir zu Gericht Wen sollen, müssen nicht in eine tro¬
pische Atmosphäre gestellt sein, welche die Zurechuungöfähigt'eit wenigstens zur
Hälfte aufhebt. Wenn wir zweifelhaft sind, wie unser Verbiet ausfallen würde,
wenn wir als Geschworene säßen, so ist unsere Stellung als Publicum uoch
mißlicher.




Die Krisis in Frankreich.

Die Bedeutung der letzten parlamentarischen Woche liegt keineswegs in dem
Resultat. Zwar ist es ein sehr ernster und bedenklicher Umstand, wenn ein Par¬
lament der Negierung mit einer so erheblichen Majorität sein Mißtraue» zu er¬
kennen gibt, aber das Gewicht dieses Mißtrauens wird sehr verringert, wenn man
erwägt, daß es aus verschiedenen Gründen hervorgeht. Die Einen sprechen es aus,
weil die Negierung so lange mit der Reaction gegangen ist, die Andern, weil es den
Anschein hat, als ob sie nicht länger mit ihr gehen wolle. Auf dem Centrallandtage
in Preußen wurde in Preßsachen mit imposanter Majorität der Beschluß gefaßt:
„der Landtag ist gegen die Censur, aber aus verschiedenen Gründen", d. h. den
Einen ist sie zu streug, den Andern zu gelind. Eine solche Erklärung hebt sich
eigentlich auf. Wäre die Regierung in Frankreich eine legitime, d. h. hätte sie eine
andere Quelle, als die National-Souveränetät, und wäre sie zugleich der Ausdruck
eiuer bestimmten Partei, so würde sie ein solches Mißtrauen aus verschiedenen
Gründen ruhig aotli, legen. Denn eine Regierung, deren Schwerpunkt in's
Parlament fällt, ist nur so lauge möglich, als in dem Parlament wie im Volk
zwei geschlossene Parteien einander gegenüberstehen, deren eine die Herrschaft über¬
nimmt, indem die andere stürzt.

Die Bedeutung der Woche liegt vielmehr in den Verhandlungen selbst, in
denen die Häupter der verschiedenen Fractionen zum erstenmal seit Gründung der
Republik klar und unumwunden ausgesprochen haben, wie sie sich ihr gegenseitiges
Verhältniß zu einander denken. Die meiste Energie hat Herr Thiers entwickelt.
Er hat sehr deutlich gesagt, die conservative Partei habe deu Prinzen Napoleon
an die Spitze Frankreichs gestellt, weil man einen Prinzen brauchte, um seiue
monarchische Gesinnung auszudrücken; man habe sich nicht verhehlt, daß diese Wahl
in dem Gewählten leicht einen Ehrgeiz hervorrufen könnte, der mit den Absichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/143>, abgerufen am 15.06.2024.