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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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der Wähler keineswegs in Einklang stände; man habe sich aber für stark genug
gehalten, im eintretenden Fall diesem Ehrgeiz zu widerstehen. Es seien von
Seiten des Präsidenten allerdings eine Reihe von Schritten unternommen, die
seine bisherigen Verbündeten hätten bedenklich machen müssen. Er habe das
Ministerium, welches von der herrschenden Majorität unterstützt wurde, entlassen,
und ein neues aus seinen persönlichen Anhängern gebildet; er habe sich eine Do¬
tation geben lassen, wogegen die Majorität sich lange gesträubt habe, nicht aus
Gründell der Sparsamkeit, sondern um nicht den Wahn aufkommen zu lassen, der
Nang des Präsidenten gehe über die Stellung eines einfachen Bürgers hinaus;
er habe endlich durch seiue Bankette, Rundreisen u. f. w., was er wünsche, aus
eine so unzweideutige Weise kund gethan, daß schon damals ein Bruch unvermeidlich
schien. Ju allen diesen Fällen habe aber die Majorität nachgegeben, um die große
Partei der Ordnung nicht dadurch zu zersplittern, daß vorzeitig -- d. h. vor
der großen nationalen Entscheidung im Jahr 1852 -- die einzelnen Fractionen
derselben ihre letzten Zwecke enthüllten.

An ein solches Nachgeben sei gegenwärtig nicht mehr zu denken. Die Ab¬
setzung des General Changarnier, welche schon seit fast einem Jahr in den Ab¬
sichten des Cabinets gelegen habe, und die früher nur aus Furcht unterblieben
sei, habe keinen andern Sinn, als den parlamentarifch gesinnten Oberbefehlshaber
von Paris zu entfernen, und ein willfähriges Werkzeug, das sich zu jedem Hand¬
streich bereit zeigte, an seine Stelle zu setzen. Wenn das Parlament diesen Schritt
ohne Widerspruch geschehen ließe, so gebe es damit sein nud des Landes Schicksal
dem Prätendenten von Straßburg in die Hände.

Diese Anschuldigungen, von Herrn Thiers mit dürren Worten vorgebracht,
haben durch die Erklärung des General Changarnier eine noch ernstere Bedeutung
erhalten. Mit einer Naivität, die mehr dem Militär, als dem Volksrepräsentanten
angehört, hat er sich dahin ausgesprochen, daß eine undankbare Regierung seinen
Degen zwar in Ruhe gesetzt habe, daß derselbe aber nicht stumpf sei, und daß
Frankreich ihn jeden Augenblick bereit finden werde, wo es sich um sein Wohl
handele. -- Und dieser martialischen Erklärung ist ein fanatischer Beifallssturm
von deu Bänken der Majorität gefolgt.

Weiter. Herr Berryer behauptet mit ebenso größer Naivität, die gegenwärtige
Verfassung Frankreichs sei nur ein Uebergangszustand, und zwar ein für alle Theile
ziemlich unerträglicher Uebergangszustand; der Rechtszustand sei die Monarchie,
und die Krone, die nicht stirbt, sei no .jure ans dem Haupt des jungen Heinrich.
Mit der Sicherheit dieses legitimen Bewußtseins wird jeder Versuch eiuer Usur¬
pation in seine Schranken zurückgewiesen.

Diese lobenswerthe Offenheit veranlaßt wieder den General Cavaignac, den
Sieger der Socialisten, dessen Schwert, wenn es sich um eine Entscheidung durch
die Waffen handelt, gleichfalls mit bedeutendem Gewicht in die Wagschale fallen


der Wähler keineswegs in Einklang stände; man habe sich aber für stark genug
gehalten, im eintretenden Fall diesem Ehrgeiz zu widerstehen. Es seien von
Seiten des Präsidenten allerdings eine Reihe von Schritten unternommen, die
seine bisherigen Verbündeten hätten bedenklich machen müssen. Er habe das
Ministerium, welches von der herrschenden Majorität unterstützt wurde, entlassen,
und ein neues aus seinen persönlichen Anhängern gebildet; er habe sich eine Do¬
tation geben lassen, wogegen die Majorität sich lange gesträubt habe, nicht aus
Gründell der Sparsamkeit, sondern um nicht den Wahn aufkommen zu lassen, der
Nang des Präsidenten gehe über die Stellung eines einfachen Bürgers hinaus;
er habe endlich durch seiue Bankette, Rundreisen u. f. w., was er wünsche, aus
eine so unzweideutige Weise kund gethan, daß schon damals ein Bruch unvermeidlich
schien. Ju allen diesen Fällen habe aber die Majorität nachgegeben, um die große
Partei der Ordnung nicht dadurch zu zersplittern, daß vorzeitig — d. h. vor
der großen nationalen Entscheidung im Jahr 1852 — die einzelnen Fractionen
derselben ihre letzten Zwecke enthüllten.

An ein solches Nachgeben sei gegenwärtig nicht mehr zu denken. Die Ab¬
setzung des General Changarnier, welche schon seit fast einem Jahr in den Ab¬
sichten des Cabinets gelegen habe, und die früher nur aus Furcht unterblieben
sei, habe keinen andern Sinn, als den parlamentarifch gesinnten Oberbefehlshaber
von Paris zu entfernen, und ein willfähriges Werkzeug, das sich zu jedem Hand¬
streich bereit zeigte, an seine Stelle zu setzen. Wenn das Parlament diesen Schritt
ohne Widerspruch geschehen ließe, so gebe es damit sein nud des Landes Schicksal
dem Prätendenten von Straßburg in die Hände.

Diese Anschuldigungen, von Herrn Thiers mit dürren Worten vorgebracht,
haben durch die Erklärung des General Changarnier eine noch ernstere Bedeutung
erhalten. Mit einer Naivität, die mehr dem Militär, als dem Volksrepräsentanten
angehört, hat er sich dahin ausgesprochen, daß eine undankbare Regierung seinen
Degen zwar in Ruhe gesetzt habe, daß derselbe aber nicht stumpf sei, und daß
Frankreich ihn jeden Augenblick bereit finden werde, wo es sich um sein Wohl
handele. — Und dieser martialischen Erklärung ist ein fanatischer Beifallssturm
von deu Bänken der Majorität gefolgt.

Weiter. Herr Berryer behauptet mit ebenso größer Naivität, die gegenwärtige
Verfassung Frankreichs sei nur ein Uebergangszustand, und zwar ein für alle Theile
ziemlich unerträglicher Uebergangszustand; der Rechtszustand sei die Monarchie,
und die Krone, die nicht stirbt, sei no .jure ans dem Haupt des jungen Heinrich.
Mit der Sicherheit dieses legitimen Bewußtseins wird jeder Versuch eiuer Usur¬
pation in seine Schranken zurückgewiesen.

Diese lobenswerthe Offenheit veranlaßt wieder den General Cavaignac, den
Sieger der Socialisten, dessen Schwert, wenn es sich um eine Entscheidung durch
die Waffen handelt, gleichfalls mit bedeutendem Gewicht in die Wagschale fallen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/144>, abgerufen am 16.06.2024.