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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Ohne alles eigne Princip, alle selbständige Idee (von dem angeblichen Ultramon-
tanismus dieser Coterie, denn eine Partei ist es nicht, ist doch nichts zu
sagen), den zufälligen Umstand zu benutzen, daß die principiellen Gegensätze sich
genau die Waage halten, um mit dem Gewicht eines Sandkorns den Ausschlag
zu geben, eigentlich aber nnr, um persönlich den richtigen Mittelpunkt der politi¬
schen Bestrebungen darzustellen! -- Diese Anmaßungen zu hintertreiben, sollten
alle Mitglieder der Kammer, die es ernst mit der Sache meinen, sich vereinigen,
welcher Partei sie auch angehören mögen.


3.
Die Jagd auf Lirerate u.

Das Verfahren unserer heutigen Reaction erinnert sehr lebhaft an die von
1819. Wie damals, scheinen die Regierungen nichts Besseres zu thun zu haben,
als Spione zu halten, und jedes Individuum, dessen Existenz mit ihren Ansichten
und Zwecken nicht ganz in Einklang zu setzen ist, auf jede mögliche Weise zu
belästigen.

In den andern Classen der Gesellschaft wird diese Verfolgung nur von Ein¬
zelnen empfunden, eine Classe wird aber in ihrer Totalität davon getroffen, die
Classe der sogenannten Literaten, d. h. der Schriftsteller ohne amtliche Stellung.

Ich spreche hier nicht von den gesetzlichen Verfolgungen, von der Härte der
Preßgesetze u. s. w. Das Gesetz muß gehandhabt werden, und der Einzelne
muß sich ihm fügen, auch wenn es nach seiner Ueberzeugung zu der Natur der
Dinge in keinem richtigen Verhältniß steht. Ich spreche nur von den Willknr-
maßregeln, die man gegen Einzelne ergreift, und die bei der vollkommenen Anarchie
in unsern Heimathsgesetzen ganz dazu geeignet sind, eine sehr zahlreiche, gefähr¬
liche und erbitterte Gesellschaft von Vagabunden hervorzubringen, die zuletzt durch
die Noth getrieben siud, sich ein Geschäft daraus zu macheu, die Grundvesten des
Staates zu unterwühlen.

Man möge gegen die Presse so strenge sein, als man will; man möge sich
die Garantie verschaffen, daß die Strafen, welche auf Preßvergehen gesetzt sind,
auch wirklich ein Rechtssubject vorfinden, an dem sie ausgeübt werden können.
Soweit ist der Staat in seinem Recht, auch wenn man vom Standpunkt der
Staatsraison oder Billigkeit Einwendung dagegen zu machen hat.

Aber der Staat ist nicht in seinem Recht, wenn er Präventivmaßregeln nicht
nur gegen die Presse selbst, sondern auch gegen diejenigen Personen ergreift, die
in irgend einer Beziehung zu derselben stehen; wenn er sie aus einer Stadt in
die andere hetzt, bis endlich in das kaschubische Dorf, wo sie geboren sind. Jeder
Staatsbürger hat das Recht, sich seinen Unterhalt zu suchen, wo er ihn findet;
der Staat, der seinem Bürger die Möglichkeit des Erwerbes abschneidet, begeht
ein Unrecht; um so mehr, da der Aufenthalt die Thätigkeit nicht bedingt.


Grenzboten. I. 1851. 28

Ohne alles eigne Princip, alle selbständige Idee (von dem angeblichen Ultramon-
tanismus dieser Coterie, denn eine Partei ist es nicht, ist doch nichts zu
sagen), den zufälligen Umstand zu benutzen, daß die principiellen Gegensätze sich
genau die Waage halten, um mit dem Gewicht eines Sandkorns den Ausschlag
zu geben, eigentlich aber nnr, um persönlich den richtigen Mittelpunkt der politi¬
schen Bestrebungen darzustellen! — Diese Anmaßungen zu hintertreiben, sollten
alle Mitglieder der Kammer, die es ernst mit der Sache meinen, sich vereinigen,
welcher Partei sie auch angehören mögen.


3.
Die Jagd auf Lirerate u.

Das Verfahren unserer heutigen Reaction erinnert sehr lebhaft an die von
1819. Wie damals, scheinen die Regierungen nichts Besseres zu thun zu haben,
als Spione zu halten, und jedes Individuum, dessen Existenz mit ihren Ansichten
und Zwecken nicht ganz in Einklang zu setzen ist, auf jede mögliche Weise zu
belästigen.

In den andern Classen der Gesellschaft wird diese Verfolgung nur von Ein¬
zelnen empfunden, eine Classe wird aber in ihrer Totalität davon getroffen, die
Classe der sogenannten Literaten, d. h. der Schriftsteller ohne amtliche Stellung.

Ich spreche hier nicht von den gesetzlichen Verfolgungen, von der Härte der
Preßgesetze u. s. w. Das Gesetz muß gehandhabt werden, und der Einzelne
muß sich ihm fügen, auch wenn es nach seiner Ueberzeugung zu der Natur der
Dinge in keinem richtigen Verhältniß steht. Ich spreche nur von den Willknr-
maßregeln, die man gegen Einzelne ergreift, und die bei der vollkommenen Anarchie
in unsern Heimathsgesetzen ganz dazu geeignet sind, eine sehr zahlreiche, gefähr¬
liche und erbitterte Gesellschaft von Vagabunden hervorzubringen, die zuletzt durch
die Noth getrieben siud, sich ein Geschäft daraus zu macheu, die Grundvesten des
Staates zu unterwühlen.

Man möge gegen die Presse so strenge sein, als man will; man möge sich
die Garantie verschaffen, daß die Strafen, welche auf Preßvergehen gesetzt sind,
auch wirklich ein Rechtssubject vorfinden, an dem sie ausgeübt werden können.
Soweit ist der Staat in seinem Recht, auch wenn man vom Standpunkt der
Staatsraison oder Billigkeit Einwendung dagegen zu machen hat.

Aber der Staat ist nicht in seinem Recht, wenn er Präventivmaßregeln nicht
nur gegen die Presse selbst, sondern auch gegen diejenigen Personen ergreift, die
in irgend einer Beziehung zu derselben stehen; wenn er sie aus einer Stadt in
die andere hetzt, bis endlich in das kaschubische Dorf, wo sie geboren sind. Jeder
Staatsbürger hat das Recht, sich seinen Unterhalt zu suchen, wo er ihn findet;
der Staat, der seinem Bürger die Möglichkeit des Erwerbes abschneidet, begeht
ein Unrecht; um so mehr, da der Aufenthalt die Thätigkeit nicht bedingt.


Grenzboten. I. 1851. 28
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[0229] Ohne alles eigne Princip, alle selbständige Idee (von dem angeblichen Ultramon- tanismus dieser Coterie, denn eine Partei ist es nicht, ist doch nichts zu sagen), den zufälligen Umstand zu benutzen, daß die principiellen Gegensätze sich genau die Waage halten, um mit dem Gewicht eines Sandkorns den Ausschlag zu geben, eigentlich aber nnr, um persönlich den richtigen Mittelpunkt der politi¬ schen Bestrebungen darzustellen! — Diese Anmaßungen zu hintertreiben, sollten alle Mitglieder der Kammer, die es ernst mit der Sache meinen, sich vereinigen, welcher Partei sie auch angehören mögen. 3. Die Jagd auf Lirerate u. Das Verfahren unserer heutigen Reaction erinnert sehr lebhaft an die von 1819. Wie damals, scheinen die Regierungen nichts Besseres zu thun zu haben, als Spione zu halten, und jedes Individuum, dessen Existenz mit ihren Ansichten und Zwecken nicht ganz in Einklang zu setzen ist, auf jede mögliche Weise zu belästigen. In den andern Classen der Gesellschaft wird diese Verfolgung nur von Ein¬ zelnen empfunden, eine Classe wird aber in ihrer Totalität davon getroffen, die Classe der sogenannten Literaten, d. h. der Schriftsteller ohne amtliche Stellung. Ich spreche hier nicht von den gesetzlichen Verfolgungen, von der Härte der Preßgesetze u. s. w. Das Gesetz muß gehandhabt werden, und der Einzelne muß sich ihm fügen, auch wenn es nach seiner Ueberzeugung zu der Natur der Dinge in keinem richtigen Verhältniß steht. Ich spreche nur von den Willknr- maßregeln, die man gegen Einzelne ergreift, und die bei der vollkommenen Anarchie in unsern Heimathsgesetzen ganz dazu geeignet sind, eine sehr zahlreiche, gefähr¬ liche und erbitterte Gesellschaft von Vagabunden hervorzubringen, die zuletzt durch die Noth getrieben siud, sich ein Geschäft daraus zu macheu, die Grundvesten des Staates zu unterwühlen. Man möge gegen die Presse so strenge sein, als man will; man möge sich die Garantie verschaffen, daß die Strafen, welche auf Preßvergehen gesetzt sind, auch wirklich ein Rechtssubject vorfinden, an dem sie ausgeübt werden können. Soweit ist der Staat in seinem Recht, auch wenn man vom Standpunkt der Staatsraison oder Billigkeit Einwendung dagegen zu machen hat. Aber der Staat ist nicht in seinem Recht, wenn er Präventivmaßregeln nicht nur gegen die Presse selbst, sondern auch gegen diejenigen Personen ergreift, die in irgend einer Beziehung zu derselben stehen; wenn er sie aus einer Stadt in die andere hetzt, bis endlich in das kaschubische Dorf, wo sie geboren sind. Jeder Staatsbürger hat das Recht, sich seinen Unterhalt zu suchen, wo er ihn findet; der Staat, der seinem Bürger die Möglichkeit des Erwerbes abschneidet, begeht ein Unrecht; um so mehr, da der Aufenthalt die Thätigkeit nicht bedingt. Grenzboten. I. 1851. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/229>, abgerufen am 07.05.2024.