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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Stephanie, einander begegnen, läuft ihre Unterhaltung in solchen pointirter Phra¬
sen fort, an welchen die Sprechenden sich befriedigen und ihren Geist selbstge¬
fällig spielen lassen.

Es ist wol keine Seite im Buche, in welcher sich nicht dergleichen kleine
Ziererei vorfände; sogar den Bauern wird das Verständniß solcher Redensarten
zugemuthet. Von dem Helden sagt der Demokrat Kaidl zu den Bauern: "Er
ist einer von Denen, die das Feld der Politik mit Gemüthsjauche düngen, und
wißt ihr, was daraus wächst? Gefühlspilze." Allgemeines Lachen der Bauern
entsteht. -- Der Dichter irrt, eine so pretiöse Redensart mit neuen Wortbil¬
dungen belacht kein deutscher Bauer, weil es ihm zu große Mühe macht, sie zu
verstehen. Hunderte von ähnlichen Redensarten, welche gleich brillanten Steinen
in das Mosaik der Rede eingesetzt sind, müssen in diesem Buche von der Kritik
verdammt werden. Sieht es doch zuweilen so ans, als wäre manche Unterredung,
wenigstens einzelne Wendungen des Gespräches, nnr solchen glänzenden Phrasen
zu Liebe gemacht. -- Eine so schlechte Angewöhnung setzt unsren Freund in die größte
Gefahr, seine Darstellungskraft ganz einzubüßen. Denn Nichts ist gefährlicher für
ein erzählendes oder lyrisches Talent, als wenn die Spielereien des Scharfsinns
anfangen, die Bilder und Empfindungen der producirenden Phantasie zu verdrän¬
gen. Und deshalb ist dieser neue Roman Auerbach's ein Moment in seinem
Leben, wo die Kritik alle anderen Rücksichten bei Seite setzen und mit Entschieden¬
heit ihre Verurtheilung aussprechen muß, so weh das auch thun mag, dem Ver¬
fasser und vielleicht auch dem Recensenten.

Diese Fehler des Romans stechen so sehr hervor, daß sie all-das Einzelne,
welches schön, ja vortrefflich ist, seiner Wirkung berauben. Zunächst die vielen
interessanten Beobachtungen über Lehre und Kindererziehung, aus denen eine feine
Beobachtung und ein liebenswürdiges Gemüth an vielen Stellen erfreut. Es ist
lebhast zu bedauern, daß der Dichter so vielen anmuthigen Stoff für eine Schul¬
lehreridylle uicht durch kluge Beschränkung seines Thema's zu voller Geltung ge¬
bracht hat. Auch in der Charakteristik der Personen ist Vieles sehr lobenswert!).
Zwar sind die Gestalten der meisten Schullehrer sehr leicht skizzirt und nicht viel
mehr als närrische Einfälle, aber die Figur Dreegers ist dafür um so besser aus¬
geführt und ein Beweis, daß der Dichter von Haus aus das Talent hatte, Cha¬
raktere zu bilden. Auch unter den Bauern sind viele meisterhaft gezeichnete Genre¬
bilder, besonders die Kirchbauerin und ihre Dorfcotterie sind mit guter Laune por-
traitirt. Die Baronin Stephanie, ein Weib von edler Anlage, durch Unthätigkeit
und Genuß blastrt, spiritueller Aufregungen und wechselnder Empfindungen bedürftig,
hat ebenfalls viele gute Züge erhalten, obgleich der Dichter selbst der Versuchung nicht
widerstehen kann, unpassende kleine Witze über sie zu machen, und den Leser dadurch
zu stören. Wenn er den Dreeger z. B. die Phrase eines Andern nacherzählen läßt: die
Baronin komme ihm vor, als ob sie heimlich rohes Fleisch äße, so ist diese Aeuße^


Stephanie, einander begegnen, läuft ihre Unterhaltung in solchen pointirter Phra¬
sen fort, an welchen die Sprechenden sich befriedigen und ihren Geist selbstge¬
fällig spielen lassen.

Es ist wol keine Seite im Buche, in welcher sich nicht dergleichen kleine
Ziererei vorfände; sogar den Bauern wird das Verständniß solcher Redensarten
zugemuthet. Von dem Helden sagt der Demokrat Kaidl zu den Bauern: „Er
ist einer von Denen, die das Feld der Politik mit Gemüthsjauche düngen, und
wißt ihr, was daraus wächst? Gefühlspilze." Allgemeines Lachen der Bauern
entsteht. — Der Dichter irrt, eine so pretiöse Redensart mit neuen Wortbil¬
dungen belacht kein deutscher Bauer, weil es ihm zu große Mühe macht, sie zu
verstehen. Hunderte von ähnlichen Redensarten, welche gleich brillanten Steinen
in das Mosaik der Rede eingesetzt sind, müssen in diesem Buche von der Kritik
verdammt werden. Sieht es doch zuweilen so ans, als wäre manche Unterredung,
wenigstens einzelne Wendungen des Gespräches, nnr solchen glänzenden Phrasen
zu Liebe gemacht. — Eine so schlechte Angewöhnung setzt unsren Freund in die größte
Gefahr, seine Darstellungskraft ganz einzubüßen. Denn Nichts ist gefährlicher für
ein erzählendes oder lyrisches Talent, als wenn die Spielereien des Scharfsinns
anfangen, die Bilder und Empfindungen der producirenden Phantasie zu verdrän¬
gen. Und deshalb ist dieser neue Roman Auerbach's ein Moment in seinem
Leben, wo die Kritik alle anderen Rücksichten bei Seite setzen und mit Entschieden¬
heit ihre Verurtheilung aussprechen muß, so weh das auch thun mag, dem Ver¬
fasser und vielleicht auch dem Recensenten.

Diese Fehler des Romans stechen so sehr hervor, daß sie all-das Einzelne,
welches schön, ja vortrefflich ist, seiner Wirkung berauben. Zunächst die vielen
interessanten Beobachtungen über Lehre und Kindererziehung, aus denen eine feine
Beobachtung und ein liebenswürdiges Gemüth an vielen Stellen erfreut. Es ist
lebhast zu bedauern, daß der Dichter so vielen anmuthigen Stoff für eine Schul¬
lehreridylle uicht durch kluge Beschränkung seines Thema's zu voller Geltung ge¬
bracht hat. Auch in der Charakteristik der Personen ist Vieles sehr lobenswert!).
Zwar sind die Gestalten der meisten Schullehrer sehr leicht skizzirt und nicht viel
mehr als närrische Einfälle, aber die Figur Dreegers ist dafür um so besser aus¬
geführt und ein Beweis, daß der Dichter von Haus aus das Talent hatte, Cha¬
raktere zu bilden. Auch unter den Bauern sind viele meisterhaft gezeichnete Genre¬
bilder, besonders die Kirchbauerin und ihre Dorfcotterie sind mit guter Laune por-
traitirt. Die Baronin Stephanie, ein Weib von edler Anlage, durch Unthätigkeit
und Genuß blastrt, spiritueller Aufregungen und wechselnder Empfindungen bedürftig,
hat ebenfalls viele gute Züge erhalten, obgleich der Dichter selbst der Versuchung nicht
widerstehen kann, unpassende kleine Witze über sie zu machen, und den Leser dadurch
zu stören. Wenn er den Dreeger z. B. die Phrase eines Andern nacherzählen läßt: die
Baronin komme ihm vor, als ob sie heimlich rohes Fleisch äße, so ist diese Aeuße^


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[0111] Stephanie, einander begegnen, läuft ihre Unterhaltung in solchen pointirter Phra¬ sen fort, an welchen die Sprechenden sich befriedigen und ihren Geist selbstge¬ fällig spielen lassen. Es ist wol keine Seite im Buche, in welcher sich nicht dergleichen kleine Ziererei vorfände; sogar den Bauern wird das Verständniß solcher Redensarten zugemuthet. Von dem Helden sagt der Demokrat Kaidl zu den Bauern: „Er ist einer von Denen, die das Feld der Politik mit Gemüthsjauche düngen, und wißt ihr, was daraus wächst? Gefühlspilze." Allgemeines Lachen der Bauern entsteht. — Der Dichter irrt, eine so pretiöse Redensart mit neuen Wortbil¬ dungen belacht kein deutscher Bauer, weil es ihm zu große Mühe macht, sie zu verstehen. Hunderte von ähnlichen Redensarten, welche gleich brillanten Steinen in das Mosaik der Rede eingesetzt sind, müssen in diesem Buche von der Kritik verdammt werden. Sieht es doch zuweilen so ans, als wäre manche Unterredung, wenigstens einzelne Wendungen des Gespräches, nnr solchen glänzenden Phrasen zu Liebe gemacht. — Eine so schlechte Angewöhnung setzt unsren Freund in die größte Gefahr, seine Darstellungskraft ganz einzubüßen. Denn Nichts ist gefährlicher für ein erzählendes oder lyrisches Talent, als wenn die Spielereien des Scharfsinns anfangen, die Bilder und Empfindungen der producirenden Phantasie zu verdrän¬ gen. Und deshalb ist dieser neue Roman Auerbach's ein Moment in seinem Leben, wo die Kritik alle anderen Rücksichten bei Seite setzen und mit Entschieden¬ heit ihre Verurtheilung aussprechen muß, so weh das auch thun mag, dem Ver¬ fasser und vielleicht auch dem Recensenten. Diese Fehler des Romans stechen so sehr hervor, daß sie all-das Einzelne, welches schön, ja vortrefflich ist, seiner Wirkung berauben. Zunächst die vielen interessanten Beobachtungen über Lehre und Kindererziehung, aus denen eine feine Beobachtung und ein liebenswürdiges Gemüth an vielen Stellen erfreut. Es ist lebhast zu bedauern, daß der Dichter so vielen anmuthigen Stoff für eine Schul¬ lehreridylle uicht durch kluge Beschränkung seines Thema's zu voller Geltung ge¬ bracht hat. Auch in der Charakteristik der Personen ist Vieles sehr lobenswert!). Zwar sind die Gestalten der meisten Schullehrer sehr leicht skizzirt und nicht viel mehr als närrische Einfälle, aber die Figur Dreegers ist dafür um so besser aus¬ geführt und ein Beweis, daß der Dichter von Haus aus das Talent hatte, Cha¬ raktere zu bilden. Auch unter den Bauern sind viele meisterhaft gezeichnete Genre¬ bilder, besonders die Kirchbauerin und ihre Dorfcotterie sind mit guter Laune por- traitirt. Die Baronin Stephanie, ein Weib von edler Anlage, durch Unthätigkeit und Genuß blastrt, spiritueller Aufregungen und wechselnder Empfindungen bedürftig, hat ebenfalls viele gute Züge erhalten, obgleich der Dichter selbst der Versuchung nicht widerstehen kann, unpassende kleine Witze über sie zu machen, und den Leser dadurch zu stören. Wenn er den Dreeger z. B. die Phrase eines Andern nacherzählen läßt: die Baronin komme ihm vor, als ob sie heimlich rohes Fleisch äße, so ist diese Aeuße^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/111>, abgerufen am 13.05.2024.