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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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im Stande, über diesen Situationen die Charaktere consequent zu empfinden,
und eine Reihe von Begebenheiten zur künstlerischen Einheit zu verbinden. Ihm
fällt nach allen Seiten hin Interessantes und Bedeutendes ein, das seine Helden
sagen oder erleben möchten, aber es fehlt ihm der Takt, diese Einfälle zu zügeln
und abzuweisen, und in bestimmter Richtung gemäß der Grundidee frei zu erfin¬
den. Daher nach allen Seiten hin Motive, Anfänge zu Schilderungen, nach
keiner eine zweckvolle Ausführung.

Die Erzählung besteht zum größten Theil aus Unterhaltungen, in denen die
Figuren, welche sich um den Helden gruppiren, verschiedene politische und sociale Stand¬
punkte vertreten. Im Roman kann dramatische Lebendigkeit und bunte Färbung dnrch
das häufige Einführen charakteristischer Reden nur daun erreicht werden, wenn solche
Unterredungen dazu dienen, das jedesmalige Handeln der Personen zu motiviren
und zu erkläre"; sie müssen sehr fest gelenkt werden, so daß die Personen
nur das reden, was dazu dient, die Situation,, in welcher sie sich befinden, ein¬
dringlich und glänzend in unsrer Phantasie lebendig zu machen. Unterredungen
über Gott und die Welt und das Ganze des Menschengeschlechts, über Völker-,
leben und Kunst u. s. w. gehören in keinen Roman, sobald sie daraus hinaus-
laufen, irgend eine Wahrheit als Resultat festzustellen, nicht aber eine dem Zweck
gemäße Handlung vorzubereiten oder zu erklären. Als Mittel, einen Satz zu be-
leuchten, siud sie im Roman als ein Ungehöriges störend, ja ermüdend, selbst wenn
ein Goethe sich darauf einläßt, was dem großen Herrn zuweilen begegnete. Je¬
denfalls aber und unter allen Umständen müssen sie doch wenigstens ein Resultat
haben, d. h. man muß deutlich ans ihnen erkennen, welcher Partei der Verfasser
Recht giebt. Selbst das ist in unsrem Buch oft nicht' der Fall. Die verschie¬
denen Standpunkte sprechen sich mit gleicher Berechtigung aus, der wilde Demo¬
krat, der edle Demokrat, der Gothaner, der wüste Strömer, denn aus den Re¬
den eines Jeden empfindet mau die behagliche Freude des Verfassers uicht am
Ausmalen des Charakteristischen, sondern am geistreichen Inhalt ihrer Worte.
Jeder präsentirt sich in vollem Licht. Einer nach dem Andern beherrscht die Un¬
terhaltung, und uur selten springt am Schluß eine Wahrheit, ein gefundener Satz
als Resultat heraus. Dadurch erscheinen die Dialoge nicht nur unkünstlerisch,
sondern ganz zwecklos, und der Leser ist genöthigt, eine ganze Gruppe von Per¬
sonen als Abstractionen zu betrachten, welche nur dazu da sind, irgend einen
Standpunkt zur Geltung zu bringen: Kronauer, Kaidl, selbst die Baronin.

Des Dichters poetische Einfälle siud nicht, wie noch in den Dorfgeschichten,
durchweg epische Momente, welche sich am einfachen Faden zusammenreihen lassen.
Sie sind jetzt zum Theil Reflexionen, Sentenzen, sogenannte geistreiche Redens¬
arten, manchmal an sich recht schön, manchmal auch schielend und wunderlich, durch
ihr häufiges Vorkommen aber pretiös, peinlich und zerstörend für die gesammte
Handlung. So oft die gebildeten Personell des Romans, namentlich Eugen und


im Stande, über diesen Situationen die Charaktere consequent zu empfinden,
und eine Reihe von Begebenheiten zur künstlerischen Einheit zu verbinden. Ihm
fällt nach allen Seiten hin Interessantes und Bedeutendes ein, das seine Helden
sagen oder erleben möchten, aber es fehlt ihm der Takt, diese Einfälle zu zügeln
und abzuweisen, und in bestimmter Richtung gemäß der Grundidee frei zu erfin¬
den. Daher nach allen Seiten hin Motive, Anfänge zu Schilderungen, nach
keiner eine zweckvolle Ausführung.

Die Erzählung besteht zum größten Theil aus Unterhaltungen, in denen die
Figuren, welche sich um den Helden gruppiren, verschiedene politische und sociale Stand¬
punkte vertreten. Im Roman kann dramatische Lebendigkeit und bunte Färbung dnrch
das häufige Einführen charakteristischer Reden nur daun erreicht werden, wenn solche
Unterredungen dazu dienen, das jedesmalige Handeln der Personen zu motiviren
und zu erkläre»; sie müssen sehr fest gelenkt werden, so daß die Personen
nur das reden, was dazu dient, die Situation,, in welcher sie sich befinden, ein¬
dringlich und glänzend in unsrer Phantasie lebendig zu machen. Unterredungen
über Gott und die Welt und das Ganze des Menschengeschlechts, über Völker-,
leben und Kunst u. s. w. gehören in keinen Roman, sobald sie daraus hinaus-
laufen, irgend eine Wahrheit als Resultat festzustellen, nicht aber eine dem Zweck
gemäße Handlung vorzubereiten oder zu erklären. Als Mittel, einen Satz zu be-
leuchten, siud sie im Roman als ein Ungehöriges störend, ja ermüdend, selbst wenn
ein Goethe sich darauf einläßt, was dem großen Herrn zuweilen begegnete. Je¬
denfalls aber und unter allen Umständen müssen sie doch wenigstens ein Resultat
haben, d. h. man muß deutlich ans ihnen erkennen, welcher Partei der Verfasser
Recht giebt. Selbst das ist in unsrem Buch oft nicht' der Fall. Die verschie¬
denen Standpunkte sprechen sich mit gleicher Berechtigung aus, der wilde Demo¬
krat, der edle Demokrat, der Gothaner, der wüste Strömer, denn aus den Re¬
den eines Jeden empfindet mau die behagliche Freude des Verfassers uicht am
Ausmalen des Charakteristischen, sondern am geistreichen Inhalt ihrer Worte.
Jeder präsentirt sich in vollem Licht. Einer nach dem Andern beherrscht die Un¬
terhaltung, und uur selten springt am Schluß eine Wahrheit, ein gefundener Satz
als Resultat heraus. Dadurch erscheinen die Dialoge nicht nur unkünstlerisch,
sondern ganz zwecklos, und der Leser ist genöthigt, eine ganze Gruppe von Per¬
sonen als Abstractionen zu betrachten, welche nur dazu da sind, irgend einen
Standpunkt zur Geltung zu bringen: Kronauer, Kaidl, selbst die Baronin.

Des Dichters poetische Einfälle siud nicht, wie noch in den Dorfgeschichten,
durchweg epische Momente, welche sich am einfachen Faden zusammenreihen lassen.
Sie sind jetzt zum Theil Reflexionen, Sentenzen, sogenannte geistreiche Redens¬
arten, manchmal an sich recht schön, manchmal auch schielend und wunderlich, durch
ihr häufiges Vorkommen aber pretiös, peinlich und zerstörend für die gesammte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/110>, abgerufen am 23.05.2024.