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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Es dämmerte noch, als ich am andern Morgen in einem Einspänner, den
ein kleiner Savoyard lenkte, zum Thor von Avignon hinausfuhr. Daß mau in
der Provence ist, merkt man bald an den Oelpflanzungen, die sich zu beide"
Seite" des Weges in unübersehbare Fernen erstrecken. Doch war der Anblick der
Landschaft kein erfreulicher. Das Laud schmachtete, wie man mir sagte, uuter
einer fünfmonatlichen Dürre. Der trockene, harte Boden war vor Hitze geborsten,
das gräulich grüne Laub der Oelbäume, ganz mit weißlichem Staube überzogen, sah
nur um so trister ans. Zwischen den Oelbäumen standen häufig Weinstöcke mit
blauen Trauben überdeckt, aber mit schlaff hängenden Blättern: sie dürfen sich
nicht, wie in Italien, frei um Bäume schlingen, sondern werden niedrig gehalten,
ohne daß der gewöhnliche Wein darum besser wäre. Nächst dem Oelbaum sieht
man am häufigsten den Maulbeerbaum, Feigen und Mandeln mehr einzeln. Von
einem hohen Punkt aus gesehen erscheint das Rhonethal wie ein einförmiges, grünes,
leicht wogendes Meer, ans dem hier und da Flecken und Städte sich inselartig
erheben, oder einzelne weiße Häuser auftauchen, die manchmal von einer Gruppe
schwarzer spitzragender Cypressen eingefaßt sind. Zum ersten Mal seit so langer
Zeit war hente die tiefe erbarmungslose Bläue des Himmels von Wolken über¬
zogen, in denen alle Augen mit äußerster Spannung forschten.

In der Nähe von Vaucluse hatte ich mein Cabriolet, voraussahren lassen,
und schlenderte zu Fuß deu Weg entlang, als einige Regentropfen zu fallen be¬
gannen. Ich befand mich gerade vor einem stattlichen Landhause, das in einem
wohlgehaltenen Garten, durch eine mächtige, steilragende Felswand vor dem Mistral
(dem kalten Nordwinde) geschützt, hart an der Straße lag. Mein kleiner Vetturin
hatte es mir schon von ferne gezeigt, und mir viel von den Herrlichkeiten dieses
Besitzthums erzählt. Es sei da ein Orangerie, eine Voliere, eine Fontaine, ein
Brunnen mit einer ungeheuren Forelle, eine Muschelgrotte, und ein Zimmer ganz
voll von Bildern -- Wut musäe: ein Reisender müsse dies nothwendig sehen.
Ich war gleichwol nicht neugierig, aber um den Regen abzuwarten, trat ich in die offene
Thür des zierlichen Gitters. Der Gärtner wies mich in die berühmte Grotte, wo ich
einen alten Herrn in einem leiuwandenen Rocke, die Brille auf der Nase, mit Aus-
besserung schadhaft gewordener Verzierungen beschäftigt fand. Meine Bitte wurde
freundlich gewährt. Die Grotte war ganz, wie man sie noch mitunter in Deutschland
in französisch angelegten Garten aus dem vorige" Jahrhundert findet, über und über
mit Muscheln, Steinen und Korallen aller Art verkleidet. Die bekannte kleine Bron-
zestatnette Napoleon's, die auf einem spitzen Steine stand, zog meine Aufmerksam¬
keit auf sich. Voilü, 1v i-OoKor co l^. iMöne, sagte der alte Herr, und erklärte mir
die allegorische Bedeutuug der ringsum befindlichen Gegenstände: eine röthliche
Muschel stellte das Herz Napoleons vor, ein Bergkrystall la "MmcZeur 6<z
ez'lou-k, eine blasse Koralle mit hängenden Zweigen le saule plsureur. Ich äußerte
meine Bewunderung über diese geistvolle allegorische Erfindung, woraus er ge-


Es dämmerte noch, als ich am andern Morgen in einem Einspänner, den
ein kleiner Savoyard lenkte, zum Thor von Avignon hinausfuhr. Daß mau in
der Provence ist, merkt man bald an den Oelpflanzungen, die sich zu beide«
Seite» des Weges in unübersehbare Fernen erstrecken. Doch war der Anblick der
Landschaft kein erfreulicher. Das Laud schmachtete, wie man mir sagte, uuter
einer fünfmonatlichen Dürre. Der trockene, harte Boden war vor Hitze geborsten,
das gräulich grüne Laub der Oelbäume, ganz mit weißlichem Staube überzogen, sah
nur um so trister ans. Zwischen den Oelbäumen standen häufig Weinstöcke mit
blauen Trauben überdeckt, aber mit schlaff hängenden Blättern: sie dürfen sich
nicht, wie in Italien, frei um Bäume schlingen, sondern werden niedrig gehalten,
ohne daß der gewöhnliche Wein darum besser wäre. Nächst dem Oelbaum sieht
man am häufigsten den Maulbeerbaum, Feigen und Mandeln mehr einzeln. Von
einem hohen Punkt aus gesehen erscheint das Rhonethal wie ein einförmiges, grünes,
leicht wogendes Meer, ans dem hier und da Flecken und Städte sich inselartig
erheben, oder einzelne weiße Häuser auftauchen, die manchmal von einer Gruppe
schwarzer spitzragender Cypressen eingefaßt sind. Zum ersten Mal seit so langer
Zeit war hente die tiefe erbarmungslose Bläue des Himmels von Wolken über¬
zogen, in denen alle Augen mit äußerster Spannung forschten.

In der Nähe von Vaucluse hatte ich mein Cabriolet, voraussahren lassen,
und schlenderte zu Fuß deu Weg entlang, als einige Regentropfen zu fallen be¬
gannen. Ich befand mich gerade vor einem stattlichen Landhause, das in einem
wohlgehaltenen Garten, durch eine mächtige, steilragende Felswand vor dem Mistral
(dem kalten Nordwinde) geschützt, hart an der Straße lag. Mein kleiner Vetturin
hatte es mir schon von ferne gezeigt, und mir viel von den Herrlichkeiten dieses
Besitzthums erzählt. Es sei da ein Orangerie, eine Voliere, eine Fontaine, ein
Brunnen mit einer ungeheuren Forelle, eine Muschelgrotte, und ein Zimmer ganz
voll von Bildern — Wut musäe: ein Reisender müsse dies nothwendig sehen.
Ich war gleichwol nicht neugierig, aber um den Regen abzuwarten, trat ich in die offene
Thür des zierlichen Gitters. Der Gärtner wies mich in die berühmte Grotte, wo ich
einen alten Herrn in einem leiuwandenen Rocke, die Brille auf der Nase, mit Aus-
besserung schadhaft gewordener Verzierungen beschäftigt fand. Meine Bitte wurde
freundlich gewährt. Die Grotte war ganz, wie man sie noch mitunter in Deutschland
in französisch angelegten Garten aus dem vorige» Jahrhundert findet, über und über
mit Muscheln, Steinen und Korallen aller Art verkleidet. Die bekannte kleine Bron-
zestatnette Napoleon's, die auf einem spitzen Steine stand, zog meine Aufmerksam¬
keit auf sich. Voilü, 1v i-OoKor co l^. iMöne, sagte der alte Herr, und erklärte mir
die allegorische Bedeutuug der ringsum befindlichen Gegenstände: eine röthliche
Muschel stellte das Herz Napoleons vor, ein Bergkrystall la «MmcZeur 6<z
ez'lou-k, eine blasse Koralle mit hängenden Zweigen le saule plsureur. Ich äußerte
meine Bewunderung über diese geistvolle allegorische Erfindung, woraus er ge-


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[0121] Es dämmerte noch, als ich am andern Morgen in einem Einspänner, den ein kleiner Savoyard lenkte, zum Thor von Avignon hinausfuhr. Daß mau in der Provence ist, merkt man bald an den Oelpflanzungen, die sich zu beide« Seite» des Weges in unübersehbare Fernen erstrecken. Doch war der Anblick der Landschaft kein erfreulicher. Das Laud schmachtete, wie man mir sagte, uuter einer fünfmonatlichen Dürre. Der trockene, harte Boden war vor Hitze geborsten, das gräulich grüne Laub der Oelbäume, ganz mit weißlichem Staube überzogen, sah nur um so trister ans. Zwischen den Oelbäumen standen häufig Weinstöcke mit blauen Trauben überdeckt, aber mit schlaff hängenden Blättern: sie dürfen sich nicht, wie in Italien, frei um Bäume schlingen, sondern werden niedrig gehalten, ohne daß der gewöhnliche Wein darum besser wäre. Nächst dem Oelbaum sieht man am häufigsten den Maulbeerbaum, Feigen und Mandeln mehr einzeln. Von einem hohen Punkt aus gesehen erscheint das Rhonethal wie ein einförmiges, grünes, leicht wogendes Meer, ans dem hier und da Flecken und Städte sich inselartig erheben, oder einzelne weiße Häuser auftauchen, die manchmal von einer Gruppe schwarzer spitzragender Cypressen eingefaßt sind. Zum ersten Mal seit so langer Zeit war hente die tiefe erbarmungslose Bläue des Himmels von Wolken über¬ zogen, in denen alle Augen mit äußerster Spannung forschten. In der Nähe von Vaucluse hatte ich mein Cabriolet, voraussahren lassen, und schlenderte zu Fuß deu Weg entlang, als einige Regentropfen zu fallen be¬ gannen. Ich befand mich gerade vor einem stattlichen Landhause, das in einem wohlgehaltenen Garten, durch eine mächtige, steilragende Felswand vor dem Mistral (dem kalten Nordwinde) geschützt, hart an der Straße lag. Mein kleiner Vetturin hatte es mir schon von ferne gezeigt, und mir viel von den Herrlichkeiten dieses Besitzthums erzählt. Es sei da ein Orangerie, eine Voliere, eine Fontaine, ein Brunnen mit einer ungeheuren Forelle, eine Muschelgrotte, und ein Zimmer ganz voll von Bildern — Wut musäe: ein Reisender müsse dies nothwendig sehen. Ich war gleichwol nicht neugierig, aber um den Regen abzuwarten, trat ich in die offene Thür des zierlichen Gitters. Der Gärtner wies mich in die berühmte Grotte, wo ich einen alten Herrn in einem leiuwandenen Rocke, die Brille auf der Nase, mit Aus- besserung schadhaft gewordener Verzierungen beschäftigt fand. Meine Bitte wurde freundlich gewährt. Die Grotte war ganz, wie man sie noch mitunter in Deutschland in französisch angelegten Garten aus dem vorige» Jahrhundert findet, über und über mit Muscheln, Steinen und Korallen aller Art verkleidet. Die bekannte kleine Bron- zestatnette Napoleon's, die auf einem spitzen Steine stand, zog meine Aufmerksam¬ keit auf sich. Voilü, 1v i-OoKor co l^. iMöne, sagte der alte Herr, und erklärte mir die allegorische Bedeutuug der ringsum befindlichen Gegenstände: eine röthliche Muschel stellte das Herz Napoleons vor, ein Bergkrystall la «MmcZeur 6<z ez'lou-k, eine blasse Koralle mit hängenden Zweigen le saule plsureur. Ich äußerte meine Bewunderung über diese geistvolle allegorische Erfindung, woraus er ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/121>, abgerufen am 30.05.2024.