Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

trotz der erhaltenen Versprechungen der Handel keine Fortschritte macht, und die
ersehnte Erlösung vom materiellen Elende noch keinen Schritt zu ihrer Verwirk¬
lichung gethan, ist Frankreich in diejenige Phase getreten, wo die Negierung sich
mit allgemeiner Gleichgiltigkeit umgeben sieht. Daß dieser Gleichgiltigkeit die
Opposition auf dem Fuße zu folgen pflege, beweist die Geschichte dieses merkwür¬
digen Volkes unwiderleglich. Bis heute hat Louis Buonaparte noch Enthusiasten
gezählt -- bellte hat er blos bezahlte Diener, und wer nicht bezahlt ist, ist gleich-
giltig oder feindselig. Diese Umgestaltung kann man am besten aus dem Ein¬
drucke beurtheilen, deu Maßregeln macheu, die man sonst zu verlangen schien.
So war die Aufhebung der Nationalgarde von der Bourgeoisie seit lange gewünscht,
und nun, da sie erfolgt, ist kein Mensch damit zufrieden, die revolutionären
Männer nicht, weil sie in der Nationalgarde selbst, trotz ihrer gegenwärtigen
reactionairen Stimmung und corrumpirten Indifferenz, doch eine Bürgschaft gegen
die Regierung zu erkennen glaubten, und die Reactionaire nicht, weil die Reorga-
nisiruug eines Elitencorps eben sie mit dem lästigen Dienste treffen muß, und
auch weil sie befürchten, daß die Waffe", die heute zur Vertheidigung der Regierung
dienen, morgen gegen diese gerichtet sein konnten. Die Bourgeoisie merkt über¬
haupt jetzt erst, daß sie den Sieg, den ihr die Blutscenen vom zweiten December
und die Deportation der Socialisten per Panhas und Bogen gebracht, am Ende allein
bezahlen werde, und die arbeitenden Klassen ihrerseits sind zur Einsicht gekommen,
daß ans dem Wege deö Belagerungsznstandes und der Willkürherrschaft die
socialen Reformen nicht zu Stande kommen können, die nur durch Ineinander¬
greifen sämmtlicher Interessen und durch eine auf langjährigen Studien und all¬
mählichen Versuchen gegründete Transaction möglich sind. Die Art und Weise,
wie der Volkskaiser mit allen populairen Institutionen verfährt, ist nicht geeignet,
sie zu beruhigen, und vor der Hand kann Louis Buouaparte mir noch auf die
Dummheit der Bauern unbedingt zählen, denen man einreden wird, daß Louis
Buouaparte nichts Erkleckliches für sie thun könne, so lauge er nicht Kaiser gewor¬
den ist. Das Verhältniß unsrer Negierung zu deu auswärtigen Mächten ist
ähnlicher Natur, wie seine Stellung im Innern. Man sieht ihm zu und wartet.
Wenn auch die halbofficielleu Journale des gesammten Continents Louis Buona¬
parte in Schutz nehmen, und sein Regime vertheidigen, herrscht doch die größte
Reserve zwischen diesem und den meisten Höfen. So wie man nun in ganz
Europa nach der Febrnarrevolutivu glaubte, die socialistische;! Tendenzen derselben
werden die Regierung zwingen, in einem Kriege ihr Heil zu suchen, so äußert
sich in den Depeschen der Regierungen des Auslandes eine unverkennbare Scheu
vor unliebsamen Ereignissen. Man beobachtet Bnonaparte gegenüber die Diplo¬
matie, die er dem Lande gegenüber befolgte. Man spricht von dein außerordent¬
lichen Dienste, den er der Sache der Ordnung geleistet, verlangt aber neue
Bürgschaften für die Zukunft. Der Präsident thut sehr verletzt, und antwortet


trotz der erhaltenen Versprechungen der Handel keine Fortschritte macht, und die
ersehnte Erlösung vom materiellen Elende noch keinen Schritt zu ihrer Verwirk¬
lichung gethan, ist Frankreich in diejenige Phase getreten, wo die Negierung sich
mit allgemeiner Gleichgiltigkeit umgeben sieht. Daß dieser Gleichgiltigkeit die
Opposition auf dem Fuße zu folgen pflege, beweist die Geschichte dieses merkwür¬
digen Volkes unwiderleglich. Bis heute hat Louis Buonaparte noch Enthusiasten
gezählt — bellte hat er blos bezahlte Diener, und wer nicht bezahlt ist, ist gleich-
giltig oder feindselig. Diese Umgestaltung kann man am besten aus dem Ein¬
drucke beurtheilen, deu Maßregeln macheu, die man sonst zu verlangen schien.
So war die Aufhebung der Nationalgarde von der Bourgeoisie seit lange gewünscht,
und nun, da sie erfolgt, ist kein Mensch damit zufrieden, die revolutionären
Männer nicht, weil sie in der Nationalgarde selbst, trotz ihrer gegenwärtigen
reactionairen Stimmung und corrumpirten Indifferenz, doch eine Bürgschaft gegen
die Regierung zu erkennen glaubten, und die Reactionaire nicht, weil die Reorga-
nisiruug eines Elitencorps eben sie mit dem lästigen Dienste treffen muß, und
auch weil sie befürchten, daß die Waffe«, die heute zur Vertheidigung der Regierung
dienen, morgen gegen diese gerichtet sein konnten. Die Bourgeoisie merkt über¬
haupt jetzt erst, daß sie den Sieg, den ihr die Blutscenen vom zweiten December
und die Deportation der Socialisten per Panhas und Bogen gebracht, am Ende allein
bezahlen werde, und die arbeitenden Klassen ihrerseits sind zur Einsicht gekommen,
daß ans dem Wege deö Belagerungsznstandes und der Willkürherrschaft die
socialen Reformen nicht zu Stande kommen können, die nur durch Ineinander¬
greifen sämmtlicher Interessen und durch eine auf langjährigen Studien und all¬
mählichen Versuchen gegründete Transaction möglich sind. Die Art und Weise,
wie der Volkskaiser mit allen populairen Institutionen verfährt, ist nicht geeignet,
sie zu beruhigen, und vor der Hand kann Louis Buouaparte mir noch auf die
Dummheit der Bauern unbedingt zählen, denen man einreden wird, daß Louis
Buouaparte nichts Erkleckliches für sie thun könne, so lauge er nicht Kaiser gewor¬
den ist. Das Verhältniß unsrer Negierung zu deu auswärtigen Mächten ist
ähnlicher Natur, wie seine Stellung im Innern. Man sieht ihm zu und wartet.
Wenn auch die halbofficielleu Journale des gesammten Continents Louis Buona¬
parte in Schutz nehmen, und sein Regime vertheidigen, herrscht doch die größte
Reserve zwischen diesem und den meisten Höfen. So wie man nun in ganz
Europa nach der Febrnarrevolutivu glaubte, die socialistische;! Tendenzen derselben
werden die Regierung zwingen, in einem Kriege ihr Heil zu suchen, so äußert
sich in den Depeschen der Regierungen des Auslandes eine unverkennbare Scheu
vor unliebsamen Ereignissen. Man beobachtet Bnonaparte gegenüber die Diplo¬
matie, die er dem Lande gegenüber befolgte. Man spricht von dein außerordent¬
lichen Dienste, den er der Sache der Ordnung geleistet, verlangt aber neue
Bürgschaften für die Zukunft. Der Präsident thut sehr verletzt, und antwortet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93564"/>
          <p xml:id="ID_554" prev="#ID_553" next="#ID_555"> trotz der erhaltenen Versprechungen der Handel keine Fortschritte macht, und die<lb/>
ersehnte Erlösung vom materiellen Elende noch keinen Schritt zu ihrer Verwirk¬<lb/>
lichung gethan, ist Frankreich in diejenige Phase getreten, wo die Negierung sich<lb/>
mit allgemeiner Gleichgiltigkeit umgeben sieht. Daß dieser Gleichgiltigkeit die<lb/>
Opposition auf dem Fuße zu folgen pflege, beweist die Geschichte dieses merkwür¬<lb/>
digen Volkes unwiderleglich. Bis heute hat Louis Buonaparte noch Enthusiasten<lb/>
gezählt &#x2014; bellte hat er blos bezahlte Diener, und wer nicht bezahlt ist, ist gleich-<lb/>
giltig oder feindselig. Diese Umgestaltung kann man am besten aus dem Ein¬<lb/>
drucke beurtheilen, deu Maßregeln macheu, die man sonst zu verlangen schien.<lb/>
So war die Aufhebung der Nationalgarde von der Bourgeoisie seit lange gewünscht,<lb/>
und nun, da sie erfolgt, ist kein Mensch damit zufrieden, die revolutionären<lb/>
Männer nicht, weil sie in der Nationalgarde selbst, trotz ihrer gegenwärtigen<lb/>
reactionairen Stimmung und corrumpirten Indifferenz, doch eine Bürgschaft gegen<lb/>
die Regierung zu erkennen glaubten, und die Reactionaire nicht, weil die Reorga-<lb/>
nisiruug eines Elitencorps eben sie mit dem lästigen Dienste treffen muß, und<lb/>
auch weil sie befürchten, daß die Waffe«, die heute zur Vertheidigung der Regierung<lb/>
dienen, morgen gegen diese gerichtet sein konnten. Die Bourgeoisie merkt über¬<lb/>
haupt jetzt erst, daß sie den Sieg, den ihr die Blutscenen vom zweiten December<lb/>
und die Deportation der Socialisten per Panhas und Bogen gebracht, am Ende allein<lb/>
bezahlen werde, und die arbeitenden Klassen ihrerseits sind zur Einsicht gekommen,<lb/>
daß ans dem Wege deö Belagerungsznstandes und der Willkürherrschaft die<lb/>
socialen Reformen nicht zu Stande kommen können, die nur durch Ineinander¬<lb/>
greifen sämmtlicher Interessen und durch eine auf langjährigen Studien und all¬<lb/>
mählichen Versuchen gegründete Transaction möglich sind. Die Art und Weise,<lb/>
wie der Volkskaiser mit allen populairen Institutionen verfährt, ist nicht geeignet,<lb/>
sie zu beruhigen, und vor der Hand kann Louis Buouaparte mir noch auf die<lb/>
Dummheit der Bauern unbedingt zählen, denen man einreden wird, daß Louis<lb/>
Buouaparte nichts Erkleckliches für sie thun könne, so lauge er nicht Kaiser gewor¬<lb/>
den ist. Das Verhältniß unsrer Negierung zu deu auswärtigen Mächten ist<lb/>
ähnlicher Natur, wie seine Stellung im Innern. Man sieht ihm zu und wartet.<lb/>
Wenn auch die halbofficielleu Journale des gesammten Continents Louis Buona¬<lb/>
parte in Schutz nehmen, und sein Regime vertheidigen, herrscht doch die größte<lb/>
Reserve zwischen diesem und den meisten Höfen. So wie man nun in ganz<lb/>
Europa nach der Febrnarrevolutivu glaubte, die socialistische;! Tendenzen derselben<lb/>
werden die Regierung zwingen, in einem Kriege ihr Heil zu suchen, so äußert<lb/>
sich in den Depeschen der Regierungen des Auslandes eine unverkennbare Scheu<lb/>
vor unliebsamen Ereignissen. Man beobachtet Bnonaparte gegenüber die Diplo¬<lb/>
matie, die er dem Lande gegenüber befolgte. Man spricht von dein außerordent¬<lb/>
lichen Dienste, den er der Sache der Ordnung geleistet, verlangt aber neue<lb/>
Bürgschaften für die Zukunft.  Der Präsident thut sehr verletzt, und antwortet</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] trotz der erhaltenen Versprechungen der Handel keine Fortschritte macht, und die ersehnte Erlösung vom materiellen Elende noch keinen Schritt zu ihrer Verwirk¬ lichung gethan, ist Frankreich in diejenige Phase getreten, wo die Negierung sich mit allgemeiner Gleichgiltigkeit umgeben sieht. Daß dieser Gleichgiltigkeit die Opposition auf dem Fuße zu folgen pflege, beweist die Geschichte dieses merkwür¬ digen Volkes unwiderleglich. Bis heute hat Louis Buonaparte noch Enthusiasten gezählt — bellte hat er blos bezahlte Diener, und wer nicht bezahlt ist, ist gleich- giltig oder feindselig. Diese Umgestaltung kann man am besten aus dem Ein¬ drucke beurtheilen, deu Maßregeln macheu, die man sonst zu verlangen schien. So war die Aufhebung der Nationalgarde von der Bourgeoisie seit lange gewünscht, und nun, da sie erfolgt, ist kein Mensch damit zufrieden, die revolutionären Männer nicht, weil sie in der Nationalgarde selbst, trotz ihrer gegenwärtigen reactionairen Stimmung und corrumpirten Indifferenz, doch eine Bürgschaft gegen die Regierung zu erkennen glaubten, und die Reactionaire nicht, weil die Reorga- nisiruug eines Elitencorps eben sie mit dem lästigen Dienste treffen muß, und auch weil sie befürchten, daß die Waffe«, die heute zur Vertheidigung der Regierung dienen, morgen gegen diese gerichtet sein konnten. Die Bourgeoisie merkt über¬ haupt jetzt erst, daß sie den Sieg, den ihr die Blutscenen vom zweiten December und die Deportation der Socialisten per Panhas und Bogen gebracht, am Ende allein bezahlen werde, und die arbeitenden Klassen ihrerseits sind zur Einsicht gekommen, daß ans dem Wege deö Belagerungsznstandes und der Willkürherrschaft die socialen Reformen nicht zu Stande kommen können, die nur durch Ineinander¬ greifen sämmtlicher Interessen und durch eine auf langjährigen Studien und all¬ mählichen Versuchen gegründete Transaction möglich sind. Die Art und Weise, wie der Volkskaiser mit allen populairen Institutionen verfährt, ist nicht geeignet, sie zu beruhigen, und vor der Hand kann Louis Buouaparte mir noch auf die Dummheit der Bauern unbedingt zählen, denen man einreden wird, daß Louis Buouaparte nichts Erkleckliches für sie thun könne, so lauge er nicht Kaiser gewor¬ den ist. Das Verhältniß unsrer Negierung zu deu auswärtigen Mächten ist ähnlicher Natur, wie seine Stellung im Innern. Man sieht ihm zu und wartet. Wenn auch die halbofficielleu Journale des gesammten Continents Louis Buona¬ parte in Schutz nehmen, und sein Regime vertheidigen, herrscht doch die größte Reserve zwischen diesem und den meisten Höfen. So wie man nun in ganz Europa nach der Febrnarrevolutivu glaubte, die socialistische;! Tendenzen derselben werden die Regierung zwingen, in einem Kriege ihr Heil zu suchen, so äußert sich in den Depeschen der Regierungen des Auslandes eine unverkennbare Scheu vor unliebsamen Ereignissen. Man beobachtet Bnonaparte gegenüber die Diplo¬ matie, die er dem Lande gegenüber befolgte. Man spricht von dein außerordent¬ lichen Dienste, den er der Sache der Ordnung geleistet, verlangt aber neue Bürgschaften für die Zukunft. Der Präsident thut sehr verletzt, und antwortet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/199>, abgerufen am 12.05.2024.