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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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leeres Wort bleiben soll, müßte der Präsident sich selbst schuldig suhlen, und beim
Volke anklagen. Kein Anderer darf so Etwas wagen. Der Senat bestimmt die
Civilliste des Prinzen, der constitutionsmäßig le pririoo Louis Napoleon Buona-
parte heißt, und der vom Präsidenten auf ein Jahr ernannte Präsident des Se¬
nats tritt an die Stelle des Präsidenten, falls dieser vor Verlauf seiner zehn¬
jährigen Amtsthätigkeit sterben sollte. Doch hat sich der Präsident das Recht
vorbehalten, der Nation den Mann testamentarisch zu empfehlen, den er ihres
Vertrauens würdig befunden. Hierdurch wird ein Anknüpfungspunkt zu Intriguen
mit den Prätendenten der beiden königlichen Familien gegeben, die durch die Lock¬
speise dieser Empfehlung gewonnen werden sollen. Empfehlen aber würde der
Präsident doch in Wahrheit nur einen Associe des Geschäfts aus seiner eigenen
Familie. Der Hochverrat!) gegen den Präsidenten wi.rd durch einen vom Senate
zu organisirenden hohen Gerichtshof bestraft; doch kann dieser nur in Folge eines
Decretes von Louis Buonaparte zusammentreten. Die Sitzungen des Senats sind
geheim; jene der gesetzgebenden Versammlung zwar öffentlich, doch genügt das
Verlangen von fünf Mitgliedern zur Umwandlung der Sitzung in ein geheimes
Comite.

Louis'Buonaparte ist aber so zufrieden mit seiner gegenwärtigen Stellung,
daß er selbst den Schatten einer Controle, welche ihm die Konstitution auferlegen
würde, so lauge als möglich zu vertage" sucht, und das jüngste Kind seiner Lanne
wird noch eine gute Weile warten müssen, ehe es ins Leben' tritt. Bis dahin
hat er sich, sein eigener Tetzel, Ablaß für alle erlassenen und noch zu erlassenden
Decrete gegeben, und es scheint nicht, daß er sich besonders beeilen werde, das
Ende dieses uuconstitntiouellen Interregnums zu beschleunigen. Hier hat man
der neuen Verfassung, vielleicht hauptsächlich aus diesem Grunde/ uur wenig Auf¬
merksamkeit gewidmet, und die armen Canardverkänfer, welche auf diesen fetten
Bissen seit vielen Tagen lauerten, siud um ihren Profit gekommen. Kaum, daß
sich die neugierige Menge dazu herbeiließ, das an den Straßenecken angeheftete
Document zu lesen.

Von den Folgen der neuen Verfassung jetzt schon zu sprechen, scheint mir
vor der Zeit -- aber daß diese Folgen in einen neuen Umsturz ausgehen müssen,
scheint mir über jeden Zweifel erhaben. Louis Buonaparte weiß dies besser als
Jedermann, und er scheint sich auch blos als Nuhmesopfer des Napoleon'schen
Namens zu betrachten. Er glaubt an sein Fatum, er glaubte immer daran, Kaiser
werden, und dann fallen zu müssen. Seine ganze Politik war auch uur ein
Commentar zu diesem fatalistischen Glauben, und seit dem "10. December 1848
wußte ganz Frankreich, daß der 2. December kommen müsse. Man glaubte
nur nicht an sein Gelingen, weil man eben nicht gern an den eigenen Verfall
glaubt. Jetzt, wo man das kalt accompli als selbst verschuldetes, selbst verbrochenes
Unglück über das Land hereinbrechen sieht, jetzt, wo trotz der geschöpften Hoffnungen,


leeres Wort bleiben soll, müßte der Präsident sich selbst schuldig suhlen, und beim
Volke anklagen. Kein Anderer darf so Etwas wagen. Der Senat bestimmt die
Civilliste des Prinzen, der constitutionsmäßig le pririoo Louis Napoleon Buona-
parte heißt, und der vom Präsidenten auf ein Jahr ernannte Präsident des Se¬
nats tritt an die Stelle des Präsidenten, falls dieser vor Verlauf seiner zehn¬
jährigen Amtsthätigkeit sterben sollte. Doch hat sich der Präsident das Recht
vorbehalten, der Nation den Mann testamentarisch zu empfehlen, den er ihres
Vertrauens würdig befunden. Hierdurch wird ein Anknüpfungspunkt zu Intriguen
mit den Prätendenten der beiden königlichen Familien gegeben, die durch die Lock¬
speise dieser Empfehlung gewonnen werden sollen. Empfehlen aber würde der
Präsident doch in Wahrheit nur einen Associe des Geschäfts aus seiner eigenen
Familie. Der Hochverrat!) gegen den Präsidenten wi.rd durch einen vom Senate
zu organisirenden hohen Gerichtshof bestraft; doch kann dieser nur in Folge eines
Decretes von Louis Buonaparte zusammentreten. Die Sitzungen des Senats sind
geheim; jene der gesetzgebenden Versammlung zwar öffentlich, doch genügt das
Verlangen von fünf Mitgliedern zur Umwandlung der Sitzung in ein geheimes
Comite.

Louis'Buonaparte ist aber so zufrieden mit seiner gegenwärtigen Stellung,
daß er selbst den Schatten einer Controle, welche ihm die Konstitution auferlegen
würde, so lauge als möglich zu vertage» sucht, und das jüngste Kind seiner Lanne
wird noch eine gute Weile warten müssen, ehe es ins Leben' tritt. Bis dahin
hat er sich, sein eigener Tetzel, Ablaß für alle erlassenen und noch zu erlassenden
Decrete gegeben, und es scheint nicht, daß er sich besonders beeilen werde, das
Ende dieses uuconstitntiouellen Interregnums zu beschleunigen. Hier hat man
der neuen Verfassung, vielleicht hauptsächlich aus diesem Grunde/ uur wenig Auf¬
merksamkeit gewidmet, und die armen Canardverkänfer, welche auf diesen fetten
Bissen seit vielen Tagen lauerten, siud um ihren Profit gekommen. Kaum, daß
sich die neugierige Menge dazu herbeiließ, das an den Straßenecken angeheftete
Document zu lesen.

Von den Folgen der neuen Verfassung jetzt schon zu sprechen, scheint mir
vor der Zeit — aber daß diese Folgen in einen neuen Umsturz ausgehen müssen,
scheint mir über jeden Zweifel erhaben. Louis Buonaparte weiß dies besser als
Jedermann, und er scheint sich auch blos als Nuhmesopfer des Napoleon'schen
Namens zu betrachten. Er glaubt an sein Fatum, er glaubte immer daran, Kaiser
werden, und dann fallen zu müssen. Seine ganze Politik war auch uur ein
Commentar zu diesem fatalistischen Glauben, und seit dem "10. December 1848
wußte ganz Frankreich, daß der 2. December kommen müsse. Man glaubte
nur nicht an sein Gelingen, weil man eben nicht gern an den eigenen Verfall
glaubt. Jetzt, wo man das kalt accompli als selbst verschuldetes, selbst verbrochenes
Unglück über das Land hereinbrechen sieht, jetzt, wo trotz der geschöpften Hoffnungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/198>, abgerufen am 26.05.2024.