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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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das plötzliche Wiederauftauchen des dramatischen Teufelsspuks nicht eine gewisse
Bedeutung? so frug ich mich, angeregt durch das Interesse, das Dumas Vampire
im /^ndltz-u, Roni-iue immerwährend hervorruft. Alexander Dumas ist mit den
politischen Verbannten nach Brüssel ausgewandert, aber er hinterließ Paris die
Erbschaft eines täglichen Schauers, und sein Name wird mit sehr verschiedenen
Empfindungen von den naiven Gläubigen der Boulevardtheater und den gegen¬
theiligen Gläubigern des t.k6ü,er<z distori^e und seines phantasiereichen Direktors
genannt. Monte-Christo ist nicht ans politischen Rücksichten von uns wegge¬
gangen. Er war blos politisch genug, das allgemeine öffentliche Märtyrerthum
seiner Freunde zu benutzen, und sein Privatmärtyrerthnm darin aufgehen zu lassen.
Monte-Christo verließ Frankreich, weil ihm seine Phantasie und seine Phantasien
treuer geblieben sind, als die Schätze seiner Insel. Er hat dafür gesorgt , daß
wir ihn nicht vergessen. Sein Vampire treibt den zarten Frauen und den nerven-
sesteren Männern täglich das Blut aus dem Gesichte, und im ^.indiZu Ooinicju"
sieht mau das . Schauspiel eines blutrothen Drama's und eines kreidebleichen
Publicums, und begreift, wie leicht diesen, erregbaren Gemüthern beizukommen
ist. Erwarten Sie von mir weder eine Kritik, noch eine Beschreibung dieser
haarsträubenden dramatistrten Nachahmung von Byron's versificirtem Schrecken.
Die deutsche Uebersetzung ist hier besser an ihrem Platze, und die löblichen Theater-
directionen -- die deutschen Directionen haben wol noch die löbliche Gewohnheit
löblich zu sein? -- denen es um ein Zugstück, um ein unsterbliches Sonutags-
spectakel zu thun ist, die mögen sich ja beeilen, den BlutauSsauger des Boulevard-
theaterö ins Deutsche zu übertragen. Marschner's Oper braucht sie nichts zu
erschrecken. Wo Alexander Dumas und August Macquet in Compagnie arbeiten,
dort muß selbst ein deutscher Librettoschreiber beschämt das Feld räumen. Solche
Situationen mit solchen Phrasen, solchen Spectakel mit solchem Unsinn erwarte man
nnr auf französischem Boden. Der Magier d'Harlem von M6ry ist eine andere
Teufelsgeschichte, deren Held Cvster ist. Hier ist die Teufelei transscendentalerer
Natur, und steckt in dramatischer Beziehung nur in den Costümen und den Un¬
möglichkeiten. Ein östreichischer Hofrath, der auch wieder kein anderer, als der
Gott sei bei uus in Person ist, hat am meisten Glück in dem Stücke gemacht, und
Melinque hat die lächerliche und fürchterliche Maske, die dieser Rolle zukommt,
mit viel Geschick und Geschmack zusammengesetzt. Im Odeontheater werden die
Marionetten des Doctors in vier Stockwerken zugleich gespielt, und da kann's
selbstverständlich nicht mit natürlichen Dingen zugehen. Der Teufel spielt auch
hier die Hauptrolle. Dem Talente nach geht es aber leider nur zu natürlich
und zu gewöhnlich bei dem Stücke einher. -- In den Varil^of wird eine abge¬
schmackte Posse: ont ciuenL rouA-v, gegeben, an der Nichts bemerkenswerth ist, als
daß selbst Arrak nicht im Stande ist, dem Machwerke auch nur einiges Interesse zu


Grenzboten. I. 30

das plötzliche Wiederauftauchen des dramatischen Teufelsspuks nicht eine gewisse
Bedeutung? so frug ich mich, angeregt durch das Interesse, das Dumas Vampire
im /^ndltz-u, Roni-iue immerwährend hervorruft. Alexander Dumas ist mit den
politischen Verbannten nach Brüssel ausgewandert, aber er hinterließ Paris die
Erbschaft eines täglichen Schauers, und sein Name wird mit sehr verschiedenen
Empfindungen von den naiven Gläubigen der Boulevardtheater und den gegen¬
theiligen Gläubigern des t.k6ü,er<z distori^e und seines phantasiereichen Direktors
genannt. Monte-Christo ist nicht ans politischen Rücksichten von uns wegge¬
gangen. Er war blos politisch genug, das allgemeine öffentliche Märtyrerthum
seiner Freunde zu benutzen, und sein Privatmärtyrerthnm darin aufgehen zu lassen.
Monte-Christo verließ Frankreich, weil ihm seine Phantasie und seine Phantasien
treuer geblieben sind, als die Schätze seiner Insel. Er hat dafür gesorgt , daß
wir ihn nicht vergessen. Sein Vampire treibt den zarten Frauen und den nerven-
sesteren Männern täglich das Blut aus dem Gesichte, und im ^.indiZu Ooinicju«
sieht mau das . Schauspiel eines blutrothen Drama's und eines kreidebleichen
Publicums, und begreift, wie leicht diesen, erregbaren Gemüthern beizukommen
ist. Erwarten Sie von mir weder eine Kritik, noch eine Beschreibung dieser
haarsträubenden dramatistrten Nachahmung von Byron's versificirtem Schrecken.
Die deutsche Uebersetzung ist hier besser an ihrem Platze, und die löblichen Theater-
directionen — die deutschen Directionen haben wol noch die löbliche Gewohnheit
löblich zu sein? — denen es um ein Zugstück, um ein unsterbliches Sonutags-
spectakel zu thun ist, die mögen sich ja beeilen, den BlutauSsauger des Boulevard-
theaterö ins Deutsche zu übertragen. Marschner's Oper braucht sie nichts zu
erschrecken. Wo Alexander Dumas und August Macquet in Compagnie arbeiten,
dort muß selbst ein deutscher Librettoschreiber beschämt das Feld räumen. Solche
Situationen mit solchen Phrasen, solchen Spectakel mit solchem Unsinn erwarte man
nnr auf französischem Boden. Der Magier d'Harlem von M6ry ist eine andere
Teufelsgeschichte, deren Held Cvster ist. Hier ist die Teufelei transscendentalerer
Natur, und steckt in dramatischer Beziehung nur in den Costümen und den Un¬
möglichkeiten. Ein östreichischer Hofrath, der auch wieder kein anderer, als der
Gott sei bei uus in Person ist, hat am meisten Glück in dem Stücke gemacht, und
Melinque hat die lächerliche und fürchterliche Maske, die dieser Rolle zukommt,
mit viel Geschick und Geschmack zusammengesetzt. Im Odeontheater werden die
Marionetten des Doctors in vier Stockwerken zugleich gespielt, und da kann's
selbstverständlich nicht mit natürlichen Dingen zugehen. Der Teufel spielt auch
hier die Hauptrolle. Dem Talente nach geht es aber leider nur zu natürlich
und zu gewöhnlich bei dem Stücke einher. — In den Varil^of wird eine abge¬
schmackte Posse: ont ciuenL rouA-v, gegeben, an der Nichts bemerkenswerth ist, als
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[0243] das plötzliche Wiederauftauchen des dramatischen Teufelsspuks nicht eine gewisse Bedeutung? so frug ich mich, angeregt durch das Interesse, das Dumas Vampire im /^ndltz-u, Roni-iue immerwährend hervorruft. Alexander Dumas ist mit den politischen Verbannten nach Brüssel ausgewandert, aber er hinterließ Paris die Erbschaft eines täglichen Schauers, und sein Name wird mit sehr verschiedenen Empfindungen von den naiven Gläubigen der Boulevardtheater und den gegen¬ theiligen Gläubigern des t.k6ü,er<z distori^e und seines phantasiereichen Direktors genannt. Monte-Christo ist nicht ans politischen Rücksichten von uns wegge¬ gangen. Er war blos politisch genug, das allgemeine öffentliche Märtyrerthum seiner Freunde zu benutzen, und sein Privatmärtyrerthnm darin aufgehen zu lassen. Monte-Christo verließ Frankreich, weil ihm seine Phantasie und seine Phantasien treuer geblieben sind, als die Schätze seiner Insel. Er hat dafür gesorgt , daß wir ihn nicht vergessen. Sein Vampire treibt den zarten Frauen und den nerven- sesteren Männern täglich das Blut aus dem Gesichte, und im ^.indiZu Ooinicju« sieht mau das . Schauspiel eines blutrothen Drama's und eines kreidebleichen Publicums, und begreift, wie leicht diesen, erregbaren Gemüthern beizukommen ist. Erwarten Sie von mir weder eine Kritik, noch eine Beschreibung dieser haarsträubenden dramatistrten Nachahmung von Byron's versificirtem Schrecken. Die deutsche Uebersetzung ist hier besser an ihrem Platze, und die löblichen Theater- directionen — die deutschen Directionen haben wol noch die löbliche Gewohnheit löblich zu sein? — denen es um ein Zugstück, um ein unsterbliches Sonutags- spectakel zu thun ist, die mögen sich ja beeilen, den BlutauSsauger des Boulevard- theaterö ins Deutsche zu übertragen. Marschner's Oper braucht sie nichts zu erschrecken. Wo Alexander Dumas und August Macquet in Compagnie arbeiten, dort muß selbst ein deutscher Librettoschreiber beschämt das Feld räumen. Solche Situationen mit solchen Phrasen, solchen Spectakel mit solchem Unsinn erwarte man nnr auf französischem Boden. Der Magier d'Harlem von M6ry ist eine andere Teufelsgeschichte, deren Held Cvster ist. Hier ist die Teufelei transscendentalerer Natur, und steckt in dramatischer Beziehung nur in den Costümen und den Un¬ möglichkeiten. Ein östreichischer Hofrath, der auch wieder kein anderer, als der Gott sei bei uus in Person ist, hat am meisten Glück in dem Stücke gemacht, und Melinque hat die lächerliche und fürchterliche Maske, die dieser Rolle zukommt, mit viel Geschick und Geschmack zusammengesetzt. Im Odeontheater werden die Marionetten des Doctors in vier Stockwerken zugleich gespielt, und da kann's selbstverständlich nicht mit natürlichen Dingen zugehen. Der Teufel spielt auch hier die Hauptrolle. Dem Talente nach geht es aber leider nur zu natürlich und zu gewöhnlich bei dem Stücke einher. — In den Varil^of wird eine abge¬ schmackte Posse: ont ciuenL rouA-v, gegeben, an der Nichts bemerkenswerth ist, als daß selbst Arrak nicht im Stande ist, dem Machwerke auch nur einiges Interesse zu Grenzboten. I. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/243>, abgerufen am 11.05.2024.