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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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verleihen. Das Vaudeville zollt der Teufels- und Galgell-Mode in den "Träumen
des Herrn Mathier's" seinen Tribut. Das Publicum sieht zu seiner Verwunderung,
daß das dramatische Talent unsrer Vandevilleschneider bei weitem älter und schwächer
geworden, als jenes vou Mlle. Dejazet, jener Ninon des Lampenlichtes.
Mlle. Dejazet bleibt ewig jung, und verzehrt ihre funfzig bis achtzig tausend
Franken jährlich mit der vervs einer jungen lucro^litte der (Al^usses cIVXmin.
Si" verdient so viel, als unsere im Preise aufgeschlagenen Minister, dreimal
so viel, als ein künftiger Senator, beinahe viermal so viel, als ein Mitglied des
Staatsraths, und ich fordere sämmtliche Rechenmeister von Deutschland auf, mir
zu sagen, wie vielmal sie mehr verdiene, als ein künftiges Mitglied der Steuer¬
gesetze gebenden Versammlungen. Im Gymnase wird Nnnsieur lZarde diene auf¬
geführt, seit George Saud's Fortsetzung von Sedaine's Lustspiel nicht mehr Zug¬
kraft besitzt, aber der unglückliche Theater-Director muß doch immer noch Bal¬
zac's Mercadet ,auf den Zettel setzen, will er die leere Kasse nur einigermaßen
füllen. Die Theater sind eben so schlecht daran, als die Gesellschaft überhaupt,
und es ist eben so unangenehm, über unsre Theaterzustäude, als über unsre
politischen Komödie" zu sprechen. Es kann anch Niemand zur rechten Stimmung
gelangen, die zu einem Kunstwerke erforderlich ist, und man ist zur Schöpfung
wie zum Genusse gleich unfähig. Die Polizei mengt sich in Alles, sie ist allge¬
genwärtig, wie sie allmächtig ist, und wenn den Franzosen dieses Oppositionsseld
benommen ist, siud sie wie Brod ohne Sauerteig, nur für den Nothfall genie߬
bar. Wie soll man heute für die französische Bühne schreiben, wenn sogar
Ponsard's Lucretia verboten wird? Wer wird überhaupt im Theater Zerstreuung
suche", wenn man sich nicht entblödet, im Foyer des ^kwa-tre 5i-!uieais durch ge¬
druckte Placate anzukündigen, daß dieser Ort ausschließlich der Kunst geweiht,
die Mitglieder der Gesellschaft, so wie die Besucher sich jeder politischen Dis-
cussion zu enthalten haben. Was ist uun aber eine politische Discussion, wenn
Tarquinius als geheiligte Person betrachtet wird, von der ohne Majestäts¬
verbrechen nichts Uebles gesagt werden darf? Die Akademie und ihr Wörterbuch
siud eben so in Belagerungszustand versetzt, und es giebt gewisse Worte, die allein
genügen, von der Polizei in Bann gethan zu werden. Man darf nicht vom
gelben Fieber reden, weil die geheimen Agenten glauben könnten, man rede von
Cayenne, wohin die unglücklichen Deportirten dem gewissen Tode entgegengebracht
werden. Man kann nicht von der Constitution sprechen, weil man meinen könnte,
wir bedauren die im Staatsstreiche selig entschlafene. Von Meineid' muß man
schweigen, weil im Hause des Gehängten nicht an den Strick erinnert werden
darf. Das Wort Republik darf uicht genannt werden, eben so wenig, als das
Wort Kaiser, weil dieses ironisch, ersteres ernst gemeint sein könnte. Man darf
von der Börse Nichts sagen, weil die Börse anfängt, antibuonapartistisch zu sein,
und von den griechischen Künstelt muß mau besonders schweigen, weil die katho>


verleihen. Das Vaudeville zollt der Teufels- und Galgell-Mode in den „Träumen
des Herrn Mathier's" seinen Tribut. Das Publicum sieht zu seiner Verwunderung,
daß das dramatische Talent unsrer Vandevilleschneider bei weitem älter und schwächer
geworden, als jenes vou Mlle. Dejazet, jener Ninon des Lampenlichtes.
Mlle. Dejazet bleibt ewig jung, und verzehrt ihre funfzig bis achtzig tausend
Franken jährlich mit der vervs einer jungen lucro^litte der (Al^usses cIVXmin.
Si» verdient so viel, als unsere im Preise aufgeschlagenen Minister, dreimal
so viel, als ein künftiger Senator, beinahe viermal so viel, als ein Mitglied des
Staatsraths, und ich fordere sämmtliche Rechenmeister von Deutschland auf, mir
zu sagen, wie vielmal sie mehr verdiene, als ein künftiges Mitglied der Steuer¬
gesetze gebenden Versammlungen. Im Gymnase wird Nnnsieur lZarde diene auf¬
geführt, seit George Saud's Fortsetzung von Sedaine's Lustspiel nicht mehr Zug¬
kraft besitzt, aber der unglückliche Theater-Director muß doch immer noch Bal¬
zac's Mercadet ,auf den Zettel setzen, will er die leere Kasse nur einigermaßen
füllen. Die Theater sind eben so schlecht daran, als die Gesellschaft überhaupt,
und es ist eben so unangenehm, über unsre Theaterzustäude, als über unsre
politischen Komödie» zu sprechen. Es kann anch Niemand zur rechten Stimmung
gelangen, die zu einem Kunstwerke erforderlich ist, und man ist zur Schöpfung
wie zum Genusse gleich unfähig. Die Polizei mengt sich in Alles, sie ist allge¬
genwärtig, wie sie allmächtig ist, und wenn den Franzosen dieses Oppositionsseld
benommen ist, siud sie wie Brod ohne Sauerteig, nur für den Nothfall genie߬
bar. Wie soll man heute für die französische Bühne schreiben, wenn sogar
Ponsard's Lucretia verboten wird? Wer wird überhaupt im Theater Zerstreuung
suche«, wenn man sich nicht entblödet, im Foyer des ^kwa-tre 5i-!uieais durch ge¬
druckte Placate anzukündigen, daß dieser Ort ausschließlich der Kunst geweiht,
die Mitglieder der Gesellschaft, so wie die Besucher sich jeder politischen Dis-
cussion zu enthalten haben. Was ist uun aber eine politische Discussion, wenn
Tarquinius als geheiligte Person betrachtet wird, von der ohne Majestäts¬
verbrechen nichts Uebles gesagt werden darf? Die Akademie und ihr Wörterbuch
siud eben so in Belagerungszustand versetzt, und es giebt gewisse Worte, die allein
genügen, von der Polizei in Bann gethan zu werden. Man darf nicht vom
gelben Fieber reden, weil die geheimen Agenten glauben könnten, man rede von
Cayenne, wohin die unglücklichen Deportirten dem gewissen Tode entgegengebracht
werden. Man kann nicht von der Constitution sprechen, weil man meinen könnte,
wir bedauren die im Staatsstreiche selig entschlafene. Von Meineid' muß man
schweigen, weil im Hause des Gehängten nicht an den Strick erinnert werden
darf. Das Wort Republik darf uicht genannt werden, eben so wenig, als das
Wort Kaiser, weil dieses ironisch, ersteres ernst gemeint sein könnte. Man darf
von der Börse Nichts sagen, weil die Börse anfängt, antibuonapartistisch zu sein,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/244>, abgerufen am 04.06.2024.