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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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einer subjectiven Nachlässigkeit. Das Princip ist von allen Kritikern anerkannt, und
gerade Wagner sündigt dagegen, wenn er seine ideale Universalmcnschheit den zeitlich
bedingten Menschengeschlechtern im Gedicht wie in der Kritik gegenüberstellt. -- Wir
lassen damit seine theoretischen Ansichten^ die nach gerade in eine etwas starke Mono¬
tonie versallen, bei Seite. -- Die Berichte über sein eigenes künstlerisches Leben und
Treiben, namentlich über seinen Aufenthalt in'Paris 1838 --184-1, und über sein Ver¬
hältniß zur Schröder-Devrient sind zum Theil recht interessant, wenn sie auch einiger¬
maßen durch das Bestreben, in alle Züge desselben eine ideale und symbolische Bedeu¬
tung hineinzulegen, verkümmert werden. Für das weitere Verständniß seiner Opern
gewinnt man daraus nicht viel. Wenn er uns versichert, daß er schon'in seiner ersten
Oper, dem "Liebcsversuch" (einer Nachbildung des Shakspcar'schen Maß für Maß), uoch
mehr aber in allen späteren, nicht dieses oder jenes Weib habe darstellen wollen, sondern
das Weib überhaupt, das Weib der Zukunft, in dem der moderne Odysseus, der
fliegende Holländer, das Bild seiner ersehnten Heimath, der Tannhäuser das Bild seiner
idealisirten Leidenschaft, Lohengrin das Bild der unbedingten weiblichen Hingebung sieht,
so hilft diese symbolische Verallgemeinerung dem endlichen Kunstwerk Nichts, wenn wir
sie nicht bereits darin finden, sondern erst hineinlegen müssen. Es kann uus sehr gleich-
giltig sein, ob alle diese Sagen christlich-germanischen Ursprungs sind, oder ob wir einen
allgemeinen menschlichen Ausdruck darin zu suchen haben. Für das ästhetische Urtheil
ist nur dasjenige in dem Kunstwerk vorhanden, was vollständig darin ausgedrückt ist.
Der Dichter kann bei seinem Werke die vortrefflichsten Gedanken haben, sie sind aber
unfruchtbar, wenn sie nicht in Realität übergehen. -- Sehen wir von diesen idealisirenden
Vorstellungen ab, und betrachten jene Operntexte für sich. Als solche sind sie alle
drei (der fliegende Holländer, der Tannhäuser und der Lohengrin) sehr geschickt gemacht,
und übertreffen die meisten anderen Operntexte bei weitem; namentlich der Tannhäuser
ist ganz vortrefflich, und Wagner, der sich über den Effect so geringschätzig ausspricht,
hat gezeigt, daß er sehr gut den Effect zu berechnen versteht. Das Bachantenballet
im Venusberg, dann als Gegensatz die friedliche Hirtenschalmei, dann wieder im Con¬
trast auf der einen Seite das Pilgerlicd, auf der andern der Jagdchor u. s. w., das Alles
ist sehr verständig auf den Effect berechnet, ohne die Klarheit der Handlung zu stören. Die
beiden anderen Opern sind zwar viel schwächer; die erfte, eigentlich nur eine ausgeführte Bal¬
lade, leidet an einer gewissen Monotonie, die letzte zerstreut uns durch phantastisches Beiwerk
und durch eine geisterhaft spiritualistische Moral, die zu dem historischen Hintergrund nicht
paßt: aber auch in ihnen sind einzelne ganz vorzüglich ausgearbeitete Scenen, z. B. im fliegen¬
den Holländer der Wettgesang zwischen dem Geisterschiff und den norwegischen Matrosen.
-- Aber es gehört eine seltsame Verblendung dazu, diese Operntexte und die ganze
Gattung, zu der sie gehören, in das Gebiet des Drama's rechnen zu wollen. Schon
die äußerliche Form macht einen Unterschied. Wenn man 'diese Jamben liest, begreift
man allerdings den Glauben Wagner's an die Unfähigkeit der modernen Sprachen,
einen Vers zu produciren. Von wirtlich ausgeführten Gedanken ist keine Rede, es sind
nur ganz allgemein gehaltene lyrische Empfindungen, die häufig genug in den conventio-
nellen Klingklang von Liebe und Triebe, Herzen und Schmerzen auslaufen. Eine
Charakteristik der einzelnen Figuren oder eine durchsichtige Motivirung der Situationen
ist nicht einmal versucht. -- Das alles sind keine Vorwürfe gegen einen Operntext,
denn dieser soll Nichts weiter sein, als die Schablone, in die der Farbenreichthum der
Musik das eigentliche Leben bringt; es soll nur die unbedingte Gcschiedcnheit der
Gattungen ausdrücken. Wenn Wagner durch dieses Genre das Drama zu ersetzen
glaubt, so zeigt er ebeu damit, daß er keinen Begriff vom Drama hat, eben so wie
seine Jeremiade über die vollständige Verwahrlosung des gegenwärtigen Menschenge¬
schlechts die Abwesenheit alles geschichtlichen Sinns bezeugt. Seine Bestrebungen können
fruchtbar werden, wenn er sie auf das ihm zugewiesene Maß beschränkt; sie sind aber


einer subjectiven Nachlässigkeit. Das Princip ist von allen Kritikern anerkannt, und
gerade Wagner sündigt dagegen, wenn er seine ideale Universalmcnschheit den zeitlich
bedingten Menschengeschlechtern im Gedicht wie in der Kritik gegenüberstellt. — Wir
lassen damit seine theoretischen Ansichten^ die nach gerade in eine etwas starke Mono¬
tonie versallen, bei Seite. — Die Berichte über sein eigenes künstlerisches Leben und
Treiben, namentlich über seinen Aufenthalt in'Paris 1838 —184-1, und über sein Ver¬
hältniß zur Schröder-Devrient sind zum Theil recht interessant, wenn sie auch einiger¬
maßen durch das Bestreben, in alle Züge desselben eine ideale und symbolische Bedeu¬
tung hineinzulegen, verkümmert werden. Für das weitere Verständniß seiner Opern
gewinnt man daraus nicht viel. Wenn er uns versichert, daß er schon'in seiner ersten
Oper, dem „Liebcsversuch" (einer Nachbildung des Shakspcar'schen Maß für Maß), uoch
mehr aber in allen späteren, nicht dieses oder jenes Weib habe darstellen wollen, sondern
das Weib überhaupt, das Weib der Zukunft, in dem der moderne Odysseus, der
fliegende Holländer, das Bild seiner ersehnten Heimath, der Tannhäuser das Bild seiner
idealisirten Leidenschaft, Lohengrin das Bild der unbedingten weiblichen Hingebung sieht,
so hilft diese symbolische Verallgemeinerung dem endlichen Kunstwerk Nichts, wenn wir
sie nicht bereits darin finden, sondern erst hineinlegen müssen. Es kann uus sehr gleich-
giltig sein, ob alle diese Sagen christlich-germanischen Ursprungs sind, oder ob wir einen
allgemeinen menschlichen Ausdruck darin zu suchen haben. Für das ästhetische Urtheil
ist nur dasjenige in dem Kunstwerk vorhanden, was vollständig darin ausgedrückt ist.
Der Dichter kann bei seinem Werke die vortrefflichsten Gedanken haben, sie sind aber
unfruchtbar, wenn sie nicht in Realität übergehen. — Sehen wir von diesen idealisirenden
Vorstellungen ab, und betrachten jene Operntexte für sich. Als solche sind sie alle
drei (der fliegende Holländer, der Tannhäuser und der Lohengrin) sehr geschickt gemacht,
und übertreffen die meisten anderen Operntexte bei weitem; namentlich der Tannhäuser
ist ganz vortrefflich, und Wagner, der sich über den Effect so geringschätzig ausspricht,
hat gezeigt, daß er sehr gut den Effect zu berechnen versteht. Das Bachantenballet
im Venusberg, dann als Gegensatz die friedliche Hirtenschalmei, dann wieder im Con¬
trast auf der einen Seite das Pilgerlicd, auf der andern der Jagdchor u. s. w., das Alles
ist sehr verständig auf den Effect berechnet, ohne die Klarheit der Handlung zu stören. Die
beiden anderen Opern sind zwar viel schwächer; die erfte, eigentlich nur eine ausgeführte Bal¬
lade, leidet an einer gewissen Monotonie, die letzte zerstreut uns durch phantastisches Beiwerk
und durch eine geisterhaft spiritualistische Moral, die zu dem historischen Hintergrund nicht
paßt: aber auch in ihnen sind einzelne ganz vorzüglich ausgearbeitete Scenen, z. B. im fliegen¬
den Holländer der Wettgesang zwischen dem Geisterschiff und den norwegischen Matrosen.
— Aber es gehört eine seltsame Verblendung dazu, diese Operntexte und die ganze
Gattung, zu der sie gehören, in das Gebiet des Drama's rechnen zu wollen. Schon
die äußerliche Form macht einen Unterschied. Wenn man 'diese Jamben liest, begreift
man allerdings den Glauben Wagner's an die Unfähigkeit der modernen Sprachen,
einen Vers zu produciren. Von wirtlich ausgeführten Gedanken ist keine Rede, es sind
nur ganz allgemein gehaltene lyrische Empfindungen, die häufig genug in den conventio-
nellen Klingklang von Liebe und Triebe, Herzen und Schmerzen auslaufen. Eine
Charakteristik der einzelnen Figuren oder eine durchsichtige Motivirung der Situationen
ist nicht einmal versucht. — Das alles sind keine Vorwürfe gegen einen Operntext,
denn dieser soll Nichts weiter sein, als die Schablone, in die der Farbenreichthum der
Musik das eigentliche Leben bringt; es soll nur die unbedingte Gcschiedcnheit der
Gattungen ausdrücken. Wenn Wagner durch dieses Genre das Drama zu ersetzen
glaubt, so zeigt er ebeu damit, daß er keinen Begriff vom Drama hat, eben so wie
seine Jeremiade über die vollständige Verwahrlosung des gegenwärtigen Menschenge¬
schlechts die Abwesenheit alles geschichtlichen Sinns bezeugt. Seine Bestrebungen können
fruchtbar werden, wenn er sie auf das ihm zugewiesene Maß beschränkt; sie sind aber


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[0248] einer subjectiven Nachlässigkeit. Das Princip ist von allen Kritikern anerkannt, und gerade Wagner sündigt dagegen, wenn er seine ideale Universalmcnschheit den zeitlich bedingten Menschengeschlechtern im Gedicht wie in der Kritik gegenüberstellt. — Wir lassen damit seine theoretischen Ansichten^ die nach gerade in eine etwas starke Mono¬ tonie versallen, bei Seite. — Die Berichte über sein eigenes künstlerisches Leben und Treiben, namentlich über seinen Aufenthalt in'Paris 1838 —184-1, und über sein Ver¬ hältniß zur Schröder-Devrient sind zum Theil recht interessant, wenn sie auch einiger¬ maßen durch das Bestreben, in alle Züge desselben eine ideale und symbolische Bedeu¬ tung hineinzulegen, verkümmert werden. Für das weitere Verständniß seiner Opern gewinnt man daraus nicht viel. Wenn er uns versichert, daß er schon'in seiner ersten Oper, dem „Liebcsversuch" (einer Nachbildung des Shakspcar'schen Maß für Maß), uoch mehr aber in allen späteren, nicht dieses oder jenes Weib habe darstellen wollen, sondern das Weib überhaupt, das Weib der Zukunft, in dem der moderne Odysseus, der fliegende Holländer, das Bild seiner ersehnten Heimath, der Tannhäuser das Bild seiner idealisirten Leidenschaft, Lohengrin das Bild der unbedingten weiblichen Hingebung sieht, so hilft diese symbolische Verallgemeinerung dem endlichen Kunstwerk Nichts, wenn wir sie nicht bereits darin finden, sondern erst hineinlegen müssen. Es kann uus sehr gleich- giltig sein, ob alle diese Sagen christlich-germanischen Ursprungs sind, oder ob wir einen allgemeinen menschlichen Ausdruck darin zu suchen haben. Für das ästhetische Urtheil ist nur dasjenige in dem Kunstwerk vorhanden, was vollständig darin ausgedrückt ist. Der Dichter kann bei seinem Werke die vortrefflichsten Gedanken haben, sie sind aber unfruchtbar, wenn sie nicht in Realität übergehen. — Sehen wir von diesen idealisirenden Vorstellungen ab, und betrachten jene Operntexte für sich. Als solche sind sie alle drei (der fliegende Holländer, der Tannhäuser und der Lohengrin) sehr geschickt gemacht, und übertreffen die meisten anderen Operntexte bei weitem; namentlich der Tannhäuser ist ganz vortrefflich, und Wagner, der sich über den Effect so geringschätzig ausspricht, hat gezeigt, daß er sehr gut den Effect zu berechnen versteht. Das Bachantenballet im Venusberg, dann als Gegensatz die friedliche Hirtenschalmei, dann wieder im Con¬ trast auf der einen Seite das Pilgerlicd, auf der andern der Jagdchor u. s. w., das Alles ist sehr verständig auf den Effect berechnet, ohne die Klarheit der Handlung zu stören. Die beiden anderen Opern sind zwar viel schwächer; die erfte, eigentlich nur eine ausgeführte Bal¬ lade, leidet an einer gewissen Monotonie, die letzte zerstreut uns durch phantastisches Beiwerk und durch eine geisterhaft spiritualistische Moral, die zu dem historischen Hintergrund nicht paßt: aber auch in ihnen sind einzelne ganz vorzüglich ausgearbeitete Scenen, z. B. im fliegen¬ den Holländer der Wettgesang zwischen dem Geisterschiff und den norwegischen Matrosen. — Aber es gehört eine seltsame Verblendung dazu, diese Operntexte und die ganze Gattung, zu der sie gehören, in das Gebiet des Drama's rechnen zu wollen. Schon die äußerliche Form macht einen Unterschied. Wenn man 'diese Jamben liest, begreift man allerdings den Glauben Wagner's an die Unfähigkeit der modernen Sprachen, einen Vers zu produciren. Von wirtlich ausgeführten Gedanken ist keine Rede, es sind nur ganz allgemein gehaltene lyrische Empfindungen, die häufig genug in den conventio- nellen Klingklang von Liebe und Triebe, Herzen und Schmerzen auslaufen. Eine Charakteristik der einzelnen Figuren oder eine durchsichtige Motivirung der Situationen ist nicht einmal versucht. — Das alles sind keine Vorwürfe gegen einen Operntext, denn dieser soll Nichts weiter sein, als die Schablone, in die der Farbenreichthum der Musik das eigentliche Leben bringt; es soll nur die unbedingte Gcschiedcnheit der Gattungen ausdrücken. Wenn Wagner durch dieses Genre das Drama zu ersetzen glaubt, so zeigt er ebeu damit, daß er keinen Begriff vom Drama hat, eben so wie seine Jeremiade über die vollständige Verwahrlosung des gegenwärtigen Menschenge¬ schlechts die Abwesenheit alles geschichtlichen Sinns bezeugt. Seine Bestrebungen können fruchtbar werden, wenn er sie auf das ihm zugewiesene Maß beschränkt; sie sind aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/248>, abgerufen am 14.05.2024.