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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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heit der Erbfeind des Menschen ist, bezieht sich auch ans die Kunst. Gotthelf
producirt so unbefangen, daß er sich an kein Maß und an kein Gesetz bindet.
Seine Geschichten sind so formlos, daß sie sich von Jean Paul und Dickens nur
durch die kleinere Anzahl der Personen unterscheiden, mit denen er es zu thun
hat. Dafür wissen diese beiden Dichter aber das Interesse durch die Beziehung
zu den allgemeinen Culwrverhältuissen zu fesseln. Unser Interesse an dem schwei¬
zer Particularismus ist doch nur ein reflectirtes, und es gehört eine große Kunst
der Composition dazu, um es im Fluß zu^erhalten. Bei Gotthelf begegnet es
uns leicht, daß wir zwar beim Durchblättern fast auf jeder Seite auf einen Zug
stoßen, der uns anregt und befriedigt, daß wir aber einen ganzen Roman nur
mit.einiger Mühe zu Ende bringen. In dieser Knustlosigkeit ist leider Gotthelf
durch seine neugewonnene Popularität und durch die dadurch veranlaßte Viel¬
schreiberei nur zu sehr bestärkt worden. -- Dazu kommt die Sprache. Der
schweizer Dialekt nimmt sich in einzelnen Redensarten auch für uus anmuthig
und originell genug aus, aber auf die Länge ermüdet er, und die Ungenirtheit,
die uns Anfangs Spaß machte, artet zuletzt in Rohheit aus; und wenn Gotthelf
davon abgeht und sich hochdeutsch ausdrücken will, so sieht man diesem Versuch
bald das Gemachte an, er wird ganz gegen seine Natur schwülstig und manierirt.
-- Eben so ist es mit seiner beständigen Beziehung ans particuläre Verhältutsse.
Wenn er zunächst mir für seine Landsleute schriebe, so wäre dagegen Nichts zu
sagen; er hat aber zugleich das deutsche Publicum im Auge, und so verfällt er
in eine falsche Verallgemeinerung, die nach beiden Seiten hin Unrecht thut; daun
tritt der Prediger hervor, ans, der Unbefangenheit wird Geschwätzigkeit, aus dem
Gefühl Salbung. Während sich Gotthelf sonst vor den übrigen Dichtern, die
in demselben Genre arbeiten, gerade durch die unbefangene Frende an seinen Er¬
findungen auszeichnet, verfällt er in solchen Augenblicken in eine höchst unerfreu¬
liche Absichtlichkeit, und dann merkt man, daß seine Bildung doch von der unsri-
gen wesentlich abweicht. -- So lange er natürlich erzählt, fällt es einem ver¬
ständigen Leser z. B. nicht ein, an seinen religiösen Ansichten zu mäkeln. Echte
Frömmigkeit ist eine zu edle Erscheinung, als daß mau sich die Freude darüber
durch die irrationeller Formen, in die sie sich hüllt, verkümmern lassen sollte.
Ein tüchtiges, reines Herz, welches das Bild seines Glaubens und Hoffens in
den historischen Gott verlegt, ist uns, auch wenn es sich dadurch zu ungerechtfer¬
tigten Zorn gegen die Philosophie verleiten läßt, unendlich lieber, als die mo¬
dernen Weltschmerz-Narren, die nur darum keinen Gott fühlen, weil sie in ihrer
Zerfahrenheit unfähig sind, sich überhaupt einen bestimmten Charakter zu denken;
weil ihr ganzer Gedankenkreis aus Reminiscenzen zusammengesetzt ist, und weil
sich ihnen jede neue Anschauung in Reminiscenzen und Abstractionen auslöst.
Was kümmert es uus, ob wir in dem historischen Christenthum viele böse und
unvernünftige Momente entdecken, wenn diese in der concreren Erscheinung, die


heit der Erbfeind des Menschen ist, bezieht sich auch ans die Kunst. Gotthelf
producirt so unbefangen, daß er sich an kein Maß und an kein Gesetz bindet.
Seine Geschichten sind so formlos, daß sie sich von Jean Paul und Dickens nur
durch die kleinere Anzahl der Personen unterscheiden, mit denen er es zu thun
hat. Dafür wissen diese beiden Dichter aber das Interesse durch die Beziehung
zu den allgemeinen Culwrverhältuissen zu fesseln. Unser Interesse an dem schwei¬
zer Particularismus ist doch nur ein reflectirtes, und es gehört eine große Kunst
der Composition dazu, um es im Fluß zu^erhalten. Bei Gotthelf begegnet es
uns leicht, daß wir zwar beim Durchblättern fast auf jeder Seite auf einen Zug
stoßen, der uns anregt und befriedigt, daß wir aber einen ganzen Roman nur
mit.einiger Mühe zu Ende bringen. In dieser Knustlosigkeit ist leider Gotthelf
durch seine neugewonnene Popularität und durch die dadurch veranlaßte Viel¬
schreiberei nur zu sehr bestärkt worden. — Dazu kommt die Sprache. Der
schweizer Dialekt nimmt sich in einzelnen Redensarten auch für uus anmuthig
und originell genug aus, aber auf die Länge ermüdet er, und die Ungenirtheit,
die uns Anfangs Spaß machte, artet zuletzt in Rohheit aus; und wenn Gotthelf
davon abgeht und sich hochdeutsch ausdrücken will, so sieht man diesem Versuch
bald das Gemachte an, er wird ganz gegen seine Natur schwülstig und manierirt.
— Eben so ist es mit seiner beständigen Beziehung ans particuläre Verhältutsse.
Wenn er zunächst mir für seine Landsleute schriebe, so wäre dagegen Nichts zu
sagen; er hat aber zugleich das deutsche Publicum im Auge, und so verfällt er
in eine falsche Verallgemeinerung, die nach beiden Seiten hin Unrecht thut; daun
tritt der Prediger hervor, ans, der Unbefangenheit wird Geschwätzigkeit, aus dem
Gefühl Salbung. Während sich Gotthelf sonst vor den übrigen Dichtern, die
in demselben Genre arbeiten, gerade durch die unbefangene Frende an seinen Er¬
findungen auszeichnet, verfällt er in solchen Augenblicken in eine höchst unerfreu¬
liche Absichtlichkeit, und dann merkt man, daß seine Bildung doch von der unsri-
gen wesentlich abweicht. — So lange er natürlich erzählt, fällt es einem ver¬
ständigen Leser z. B. nicht ein, an seinen religiösen Ansichten zu mäkeln. Echte
Frömmigkeit ist eine zu edle Erscheinung, als daß mau sich die Freude darüber
durch die irrationeller Formen, in die sie sich hüllt, verkümmern lassen sollte.
Ein tüchtiges, reines Herz, welches das Bild seines Glaubens und Hoffens in
den historischen Gott verlegt, ist uns, auch wenn es sich dadurch zu ungerechtfer¬
tigten Zorn gegen die Philosophie verleiten läßt, unendlich lieber, als die mo¬
dernen Weltschmerz-Narren, die nur darum keinen Gott fühlen, weil sie in ihrer
Zerfahrenheit unfähig sind, sich überhaupt einen bestimmten Charakter zu denken;
weil ihr ganzer Gedankenkreis aus Reminiscenzen zusammengesetzt ist, und weil
sich ihnen jede neue Anschauung in Reminiscenzen und Abstractionen auslöst.
Was kümmert es uus, ob wir in dem historischen Christenthum viele böse und
unvernünftige Momente entdecken, wenn diese in der concreren Erscheinung, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/289>, abgerufen am 07.06.2024.