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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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dslle Romaine" genannt. Das Mädchen verdiente diesen Beinamen, auf den
die kleine Cadin nicht wenig eifersüchtig war, denn sie war in ihrer Art eine
vollendete Schönheit, groß, schlank und dabei doch voll gebaut, mit einem
regelmäßigen Gesicht, in dem dunkle, feurige Augen von tiefem Ausdruck glühten.
Der Uniformauzug einer vivarMere, so trefflich er der kleinen Cadin stand, paßte
schlecht zu dieser stolzen, hohen Gestalt. Auch der ernste, ja düstere Ausdruck
ihres Gesichts wollte sich uicht recht mit der lustigeis Umgebung reimen, in der
sie lebte. Es war auch eine wilde Geschichte, die dieses Weib, das ich in Grenoble,
beim Bataillon uoch uicht gesehen, zur Marketenderin gemacht hatte. Kurz nach der
Einnahme vou Rom durch die frauzöstscheu Truppen waren starke Patrouillen der
Chasseurs in die Umgebung geschickt worden, um die päbstlichen "Sbirren" und
neapolitanischen Soldaten bei der Zersprengung der zahlreichen Räuberbanden zu
unterstützen, die sich aus Trümmern der Garibaldi'schen Legion gebildet hatten. Es
soll bei dieser Gelegenheit oft etwas unmenschlich hergegangen sein, und sich besonders
die Neapolitaner dnrch Grausamkeit ausgezeichnet haben. "Oos soM etes assassws,
non PÄ8 8o1ÄLtt.8", sagten die Chasseurs mir noch in Algerien. Bei einem
solchen Streifzug im Salerner Gebirge hatten neapolitanische Truppen nach ziem¬
lich heftigem Gefechte ein Haus, in das sich mehrere Ränder geworfen, um¬
zingelt und angezündet, um es mit allen darin befindlichen Menschen zu ver¬
brennen. Ein Sergeant der französischen Chasseurs, der zufällig mit einigen
Soldaten dazukommt, sieht, wie eine Fran sich zuletzt auf deu Altan des Hauses
vor der Gluth flüchtet, und von dort aus noch mit ihrem kurzen Karabiner auf
die Neapolitaner feuert. Von einem ritterlichen Gefühl getrieben, stürzt der
Franzose in das schon brennende Haus, packt das Weib, welches, vou der Hitze
und dem Rauch betäubt, unterdeß gesunken ist, und trägt sie mit großer Kraft¬
anstrengung glücklich aus dem Feuer heraus. Draußen wollen die wüthenden
Neapolitaner dem Franzosen seine Beute entreißen, und eiuer derselben sticht mit
dem Bayonnette dem Mädchen durch den Arm. Ohne sich viel zu besinnen, legt
der Retter seine Last nieder, stellt sich schützend über 'sie, und vertheidigt sich
mit dem Seitengewehr gegen die Andringenden, bis auf seinen lauten Ruf
mehrere Chasseurs zu Hilfe kommen, und die fluchenden und drohenden Neapo¬
litaner verjagen. Dieses auf solche Weise gerettete römische Näuberkiud, deren
Vater und Brüder bei dieser Gelegenheit umgekommen waren, ward nun unter
den Schutz der Chasseurs der Compagnie gestellt. Eine düstere Wildheit, zu¬
gleich aber auch eine tiefe Anhänglichkeit an ihren Lebensretter beherrschte das
ganze Gefühl dieses Mädchens. Der Sergeant, schon zum Sergeant-Major der
Compagnie avancirt, war freilich anch eine männliche Erscheinung. Körperlich
wie geistig hatte er viele Aehnlichkeit mit seiner Geliebten, war stolz gewachsen,
und von einem ernsten festen Sinn, der sehr von der Lustigkeit seiner Kameraden
abstach. - Der Commandant des Bataillons lobte die militairischen Eigenschaften


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dslle Romaine" genannt. Das Mädchen verdiente diesen Beinamen, auf den
die kleine Cadin nicht wenig eifersüchtig war, denn sie war in ihrer Art eine
vollendete Schönheit, groß, schlank und dabei doch voll gebaut, mit einem
regelmäßigen Gesicht, in dem dunkle, feurige Augen von tiefem Ausdruck glühten.
Der Uniformauzug einer vivarMere, so trefflich er der kleinen Cadin stand, paßte
schlecht zu dieser stolzen, hohen Gestalt. Auch der ernste, ja düstere Ausdruck
ihres Gesichts wollte sich uicht recht mit der lustigeis Umgebung reimen, in der
sie lebte. Es war auch eine wilde Geschichte, die dieses Weib, das ich in Grenoble,
beim Bataillon uoch uicht gesehen, zur Marketenderin gemacht hatte. Kurz nach der
Einnahme vou Rom durch die frauzöstscheu Truppen waren starke Patrouillen der
Chasseurs in die Umgebung geschickt worden, um die päbstlichen „Sbirren" und
neapolitanischen Soldaten bei der Zersprengung der zahlreichen Räuberbanden zu
unterstützen, die sich aus Trümmern der Garibaldi'schen Legion gebildet hatten. Es
soll bei dieser Gelegenheit oft etwas unmenschlich hergegangen sein, und sich besonders
die Neapolitaner dnrch Grausamkeit ausgezeichnet haben. „Oos soM etes assassws,
non PÄ8 8o1ÄLtt.8", sagten die Chasseurs mir noch in Algerien. Bei einem
solchen Streifzug im Salerner Gebirge hatten neapolitanische Truppen nach ziem¬
lich heftigem Gefechte ein Haus, in das sich mehrere Ränder geworfen, um¬
zingelt und angezündet, um es mit allen darin befindlichen Menschen zu ver¬
brennen. Ein Sergeant der französischen Chasseurs, der zufällig mit einigen
Soldaten dazukommt, sieht, wie eine Fran sich zuletzt auf deu Altan des Hauses
vor der Gluth flüchtet, und von dort aus noch mit ihrem kurzen Karabiner auf
die Neapolitaner feuert. Von einem ritterlichen Gefühl getrieben, stürzt der
Franzose in das schon brennende Haus, packt das Weib, welches, vou der Hitze
und dem Rauch betäubt, unterdeß gesunken ist, und trägt sie mit großer Kraft¬
anstrengung glücklich aus dem Feuer heraus. Draußen wollen die wüthenden
Neapolitaner dem Franzosen seine Beute entreißen, und eiuer derselben sticht mit
dem Bayonnette dem Mädchen durch den Arm. Ohne sich viel zu besinnen, legt
der Retter seine Last nieder, stellt sich schützend über 'sie, und vertheidigt sich
mit dem Seitengewehr gegen die Andringenden, bis auf seinen lauten Ruf
mehrere Chasseurs zu Hilfe kommen, und die fluchenden und drohenden Neapo¬
litaner verjagen. Dieses auf solche Weise gerettete römische Näuberkiud, deren
Vater und Brüder bei dieser Gelegenheit umgekommen waren, ward nun unter
den Schutz der Chasseurs der Compagnie gestellt. Eine düstere Wildheit, zu¬
gleich aber auch eine tiefe Anhänglichkeit an ihren Lebensretter beherrschte das
ganze Gefühl dieses Mädchens. Der Sergeant, schon zum Sergeant-Major der
Compagnie avancirt, war freilich anch eine männliche Erscheinung. Körperlich
wie geistig hatte er viele Aehnlichkeit mit seiner Geliebten, war stolz gewachsen,
und von einem ernsten festen Sinn, der sehr von der Lustigkeit seiner Kameraden
abstach. - Der Commandant des Bataillons lobte die militairischen Eigenschaften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/309>, abgerufen am 17.06.2024.